Pressefreiheit und Zensur in Israel

In vorauseilendem Gehorsam

Von Ruth Kinet  · 22.03.2017
Immer wieder findet Zensur in Israel statt, sowohl in der Kunst als auch im Journalismus. Besonders Miri Regev, Ministerin für Kultur und Sport, hat einen besonderen Drang sich einzumischen. Aber heißt das wirklich, dass sich die Künstler keine Spielräume für ihre Kunst mehr schaffen können?
TV-Satiresendung Gav ha’Uma, Shir ahava le Miri Regev, Lior Schleien: "Hört mal her. Wir müssen über Miri Regev sprechen. Sie produziert Provokationen und erfindet abwegige Gesetze, nur damit die Leute über sie sprechen, vor allem Journalisten und Kulturschaffende."
Die israelische Satiresendung "Gav ha’Uma", "Rücken der Nation", spießt den Geltungsdrang der Ministerin für Kultur und Sport Miri Regev auf:
Lior Schleien: "Sie wird das weiter machen, bis ihr alle Künstler sagen, wie toll sie ist und wichtig und geliebt und vielleicht ist jetzt die Zeit gekommen, dass wir das einfach mal machen!"
Die fünf Satiriker wollen Miri Regev das geben, wonach es sie so sehr zu verlangen scheint und stimmen ein Liebeslied auf die Ministerin an.
Miri Regev: "Auch ich darf schauspielern."
...stellte die Kulturministerin neulich bei der Verleihung eines Theaterpreises klar.
Miri Regev: "Warum solltet nur ihr das dürfen? Auch ich darf schauspielern! Ich darf meine Stimme heben und senken. Dank Dir! Dem Regisseur! Danke. Danke."
Seit Miri Regev im Juni 2015 ihr Amt antrat, wird in Israel so viel über Kultur diskutiert wie selten zuvor. Eigentlich ist das eine erfreuliche Entwicklung. Dabei geht es darum, ob Staatstreue und Kunst zusammengehören, und das nicht nur, weil sie sich im Hebräischen so schön reimen, Ne’emanut und Omanut. Es geht um die Freiheitsräume von Bildender Kunst, Literatur und Film, Theater und Tanztheater.
Zensur ist für Regev ein bewährtes Mittel politischer Steuerung. Als Leiterin der Zensurbehörde des Israelischen Militärs und Pressesprecherin der Armee hat sie reiche Erfahrung damit sammeln können. Bei vielen Kulturschaffenden in Israel löst der Name Miri Regev inzwischen einen Beißreflex aus.
"Shitz" ist eine bitterböse Tragikomödie des israelischen Dramatikers Hanoch Levin. Geschrieben 1974, kurz nach dem Jom-Kippur-Krieg. "Shitz" führt die Verstrickungen unter Menschen vor, die den anderen nur noch als Vehikel betrachten. Integrität tritt nur im Gewand der Illusion auf.

Mit kleinen Akzenten maximale Aufmerksamkeit erzeugen

"Shitz" ist eine der vielen erfolgreichen Produktionen des Cameri-Theaters, des größten Theaters des Landes. An seiner Finanzierung sind Staat und Stadt beteiligt, allerdings nur mit zehn bis zwölf Prozent.
Miri Regevs Budget für die Subventionierung der Theater des Landes ist übersichtlich. Insgesamt sind es rund 25 Millionen Euro im Jahr. Angesichts dieses überschaubaren faktischen Einflusses versucht Miri Regev, mit kleinen Akzenten maximale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ihre Präsenz in den Medien und in den Köpfen der Kulturschaffenden übertrifft ihren tatsächlichen Gestaltungsspielraum um ein Vielfaches.
Im Oktober 2016 zum Beispiel erließ Miri Regev eine Regelung, nach der die Theater ihren Anspruch auf staatliche Subventionen erhöhen können, wenn sie jenseits der so genannten Grünen Linie auftreten, der Linie also, die zwischen dem israelischen Kernland und den im Sechstagekrieg von 1967 von Israel besetzten Gebieten verläuft.
Semel: "Wo ist das denn... (Blättern in Papieren) ... Da! Das Theater, das im Westjordanland auftritt, bekommt doppelt so viele Punkte wie das, das nur im Israelischen Kernland auftritt. Das ist neu. Vollkommen neu. Das sind die Kriterien. Sie sind seit Oktober gültig. Es geht hier nicht um große Summen. Das ist symbolisch."
Noam Semel muss es wissen. Er ist Intendant des Cameri-Theaters. Der 70-Jährige ist der Prototyp eines Impresarios: kraftvoll, entschieden, energetisch. Seit 24 Jahren führt er die Geschicke des Cameri-Theaters, unter ihm ist das Stadttheater von Tel Aviv-Yafo zu einem Theaterkonzern herangewachsen. 2250 Vorstellungen bringt es jährlich auf die Bühnen der Kulturzentren im ganzen Land. 2015 hat das Cameri einen Jahresumsatz von 27 Millionen Euro gemacht, ein geringer Teil davon auch in jüdischen Siedlungen.
Vier Bühnen gibt es jenseits der so genannten Grünen Linie. Eine von ihnen in Ariel, wo der Schauspieler Shimon Mimran mit seiner Satire "Angina Pectoris" auftritt.
Mimran: "In unserem Stück braucht der Minister für Nationale Sicherheit dringend ein Spenderherz und will um keinen Preis das einzig verfügbare Herz annehmen, weil es das Herz eines Arabers ist. Und hier beginnt die Satire. In einer Szene sagt der Minister: 'Wenn ich jetzt das Herz dieses Arabers bekommen soll, dann setze ich das Stück sofort ab.' Wir ziehen die Linke genauso durch den Kakao wie die Rechte und mit dieser Produktion treten wir auch in Ariel auf. Und darüber bin ich richtig froh. Ich finde es sehr wichtig, mit dieser Satire in den Siedlungen aufzutreten, denn das führt zu Debatten. Ich will nicht nur vor Leuten auftreten, die mit mir einer Meinung sind. Es waren schon Siedler in unserer Vorstellung und ich habe gemerkt, dass sich ihre Perspektive plötzlich geweitet hat."
Der Schauspieler Doron Tavori hat schon an allen großen Theatern des Landes gearbeitet und ist zurzeit am Gesher-Theater in Yafo engagiert. Er weigert sich, die Siedlungen mit einem Gastspiel zu legitimieren. Man dürfe die Bedeutung der Kulturministerin nicht überschätzen, sagt Tavori. Die Schere im Kopf der Regisseure und Theaterchefs werde nicht von der Politik ferngesteuert, sondern vom Publikum.

"Wie eine Schafherde"

Der feinnervige große Schauspieler des israelischen Sprechtheaters scheint innerlich zu beben, wenn er die gesellschaftliche Entwicklung in seinem Land beschreibt.
Tavori: "Es geht eher um die Schaffung einer bestimmten Atmosphäre. In dieser Atmosphäre gedeiht eine Art von Selbstzensur, die man bei den Künstlern am Theater beobachten kann. Letztlich liegt die Verantwortung bei den Künstlern selbst. Deshalb mache ich den Künstlern am Theater auch schwere Vorwürfe. Sie verhalten sich wie eine Schafherde."
Während viele Schauspieler am Theater sich den Erwartungen ihres Publikums anzupassen versuchen, nutzen Künstler ihre Spielräume für freie Meinungsäußerung aus.
Im Juli 2016 diskutierte die israelische Öffentlichkeit auf allen Kanälen wie hier im Ersten Programm des öffentlich-rechtlichen Fernsehens über Kunst. Auslöser war ein weiblicher Akt. Ein Element in einer insgesamt 18 Meter langen Gemäldeserie des Kunststudenten Yam Amrani vom renommierten Tel Aviver Shenkar-College für Technik, Design und Kunst. Larry Abramson war einer seiner Professoren und leitete damals den Fachbereich Multidisziplinäre Kunst am Shenkar College:
Abramson: "Es geht um einen jungen Mann, der in einer postmodernen Wirklichkeit lebt, die gesättigt ist mit medialen Informationen und Bildern. Auch politische Themen spielten eine Rolle, es kamen Flüchtlinge vor, Fremdarbeiter, kommerzielle Logos, Polizei, abstrakte Elemente. Ein Element in dieser langen Bilderfolge war eine nackte Frau, die möglicherweise einem soft-pornographischen Poster nachempfunden war."
Bei der Preview der Abschlussausstellung des Shenkar College im Sommer 2016 glaubte ein Journalist in dem weiblichen Akt das Gesicht der Justizministerin Ayelet Shaked zu erkennen. Er fragte bei der Präsidentin des Colleges, Yuli Tamir, und dem Sprecher des Justizministeriums nach, was sie von dem Bild halten. Yuli Tamir war alarmiert. Sie entschied sich dafür, das Bild aus der Ausstellung entfernen zu lassen. Ohne äußeren Zwang. Die Geschichte wurde zur Nachricht.
Aus Protest legte Larry Abramson sein Amt als Leiter des Fachbereichs nieder.
Abramson: "Wenn ich weitergemacht hätte, dann hätte ich mich an einer Entwicklung beteiligt, die freiwillig die Meinungsfreiheit einschränkt. Und das ist am allergefährlichsten. Solange die äußeren Bedingungen es nicht erfordern, darf man um keinen Preis Grundfreiheiten wie die Meinungsfreiheit aus freien Stücken einschränken. Denn die Selbstzensur ist die gefährlichste Zensur!"
Ein zweites Beispiel aus der Kunstszene für den Kampf um die Meinungsfreiheit – an der Jerusalemer Kunsthochschule Bezalel. Eine Studentin im ersten Semester hatte Fingerübungen mit dem Programm Photoshop gemacht. Sie hatte das berühmte Obama-Poster des Künstlers Shepard Fairey mit dem Schriftzug "Hope" genommen,das Wort "Hope" durch "Rope" ersetzt, also "Strick", aus Obama Netanjahu gemacht und ihm einen Henkersknoten vors Gesicht montiert. Das Poster hing vor dem Seminarraum. Einer ihrer Kommilitonen postete es empört auf Facebook und Twitter. Im Nu wurde das Poster innerhalb der Filterblase seiner politisch rechtskonservativ, national bis nationalistisch orientierten Follower und Facebook-Freunde zum Skandal: das Poster sei Ausdruck einer Hetzkampagne gegen den Ministerpräsidenten und rufe zum Mord an Netanjahu auf. Die Regierung schaltete die Polizei ein. Die Studentin wurde verhört. Erziehungsminister Naftali Bennett und Kulturministerin Miri Regev drohten der Leitung der Hochschule mit Kürzung der staatlichen Subventionen. Die Kommilitonen solidarisierten sich mit der Kunststudentin.
TV-Nachrichtenton: "Die Studenten des Shenkar-Colleges blockierten heute für einige Minuten die Straße vor dem College."

Bloß nicht einschüchtern lassen

Die Abendnachrichten im "Kanal 2" berichten über deren Straßenblockade in Tel Aviv. Wieder gelingt es den Vertretern der Regierung und ihren Unterstützern eine Welle der Empörung zu erzeugen.
Ilana Dayan ist eine investigative Journalistin, die in Israel hohes Ansehen genießt. Denn sie lässt sich auch dann nicht von politischem Druck einschüchtern, wenn er von höchster Stelle kommt.
Dayan: "Der Chef des Mossad kommt in den späten Abendstunden zur Residenz des Regierungschefs in der Balfour-Straße. Es ist die Hoch-Zeit der geheimen Kampagne gegen das iranische Atomprogramm. Auf der Tagesordnung steht eine Geheimoperation außerhalb der Landesgrenzen..."
So begann die Sendung "Uvda", "Fakt", im Zweiten Israelischen Fernsehprogramm am Abend des 7. November 2016. Mit einem investigativen Feature wollen Ilana Dayan und ihre Rechercheure Revital Chovel und Daniel Dolev ihre Zuschauer über die Vorgänge im innersten Machtzirkel von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufklären. Sie wollen zeigen, was hinter der Glastür des Besprechungsraums in der Residenz Netanjahus in Jerusalem passiert, dem so genannten "Aquarium". Prominente Gesprächspartner kommen zu Wort wie ehemalige Sicherheitsberater, Geheimdienstchefs und Sprecher des Ministerpräsidenten. Sie berichten davon, wie weit der Einfluss der nicht demokratisch gewählten Ehefrau Sarah Netanjahu reicht.
Dayan: "Ich glaube, Netanjahu und seine Leute haben sich vorgestellt, dass etwas viel Schlimmeres kommen würde als das, was wir gesendet haben."
Einen Fragebogen der Redaktion zu den Entscheidungsprozessen in seinem nächsten Umfeld beantwortet Benjamin Netanjahu mit einem persönlichen Schmähbrief an Ilana Dayan. Als Dayan den Brief sieht, entscheidet sie spontan, ihn im Anschluss an ihr Feature zu verlesen. Sechseinhalb Minuten lang, ohne Kürzung und ohne weiteren Kommentar.
Dayan: "Netanjahu hat sehr gut verstanden, dass es ihm nützt, jede Kritik als 'links' zu brandmarken und jetzt sollte ich als sein Feind markiert werden. Aber ich bin nicht sein Feind. Ich bin auch nicht seine Freundin. Er ist mein Regierungschef. Er führt mein Land. Ich bin Bürgerin dieses Landes und Journalistin. Es ist meine Aufgabe, mich für ihn zu interessieren, ihm Fragen zu stellen und seine Antworten zu hören. Ich bin Journalistin. Das ist alles."

Die Regierung beansprucht Definitionshoheit

Mit seinem Schmähbrief versuchte Netanjahu das größte Kapital Ilana Dayans zu beschädigen: ihre Unabhängigkeit. Mit der öffentlichen Verlesung der gegen sie gerichteten Verleumdungen hat Ilana Dayan auch gezeigt, wie viel Urteilsvermögen sie ihren Zuschauern zutraut.
Dayan: "Die Verbindung zwischen Meinungsfreiheit und Demokratie ist wie die Verbindung zwischen Essen und Überleben: Wir müssen sprechen, um zu hören, wir müssen hören, um zu wissen, wir müssen wissen, um zu verstehen, wir müssen verstehen, um zu wählen. Das ist der Stoffwechsel der Demokratie."
In der Zwischenzeit beanspruchen geschickte Politiker auf der israelischen Regierungsbank immer wieder die alleinige Definitionshoheit darüber, was demokratisch ist und was nicht.
"Es gibt Grenzen der Meinungsfreiheit", ...
... sagt Kulturministerin Miri Regev.
Miri Regev: "Es gibt Gesetze, die die Demokratie schützen. Ohne sie würde aus Demokratie Anarchie."
Weil Miri Regev gern definiert, wo Demokratie aufhört und Anarchie anfängt, wird in Israel tagtäglich heftig über den Grenzverlauf der Meinungsfreiheit gestritten. Und dieser Streit ist Ausdruck der Lebendigkeit der israelischen Demokratie, sagt Ilana Dayan:
Dayan: "Bürger in einem demokratischen Staat zu sein, ist eine Herausforderung. Man muss die ganze Zeit auf den Füßen sein, wach und aufmerksam, neugierig. Das ist fordernd. Der apathische Bürger ist gefährlich für die Demokratie."
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