Premiere in Cannes

Jim Jarmusch zeigt ein melancholisches Amerika

Jim Jarmusch bei den Filmfestspielen in Cannes 2016.
Jim Jarmusch bei den Filmfestspielen in Cannes 2016. © picture alliance / dpa / Guillaume Horcajuelo
Von Susanne Burg · 17.05.2016
Bei den Filmfestspielen in Cannes skizzieren die amerikanischen Wettbewerbsfilme den Kampf des täglichen Überlebens in der Provinz. Kultregisseur Jim Jarmusch ist mit seinem neuen Film "Paterson" dabei - gemeinsam mit "Girls"-Serienstar Adam Driver.
Montagnachmittag. Zehntausende Schaulustige stehen am roten Teppich. Jim Jarmusch kennt diesen roten Teppich gut. Seit 1984, seit "Stranger Than Paradise", hat fast jeder neue Film von ihm in Cannes Premiere gefeiert, nun ist er zum neunten Mal hier, mit "Paterson".
Adam Driver, seit der Fernsehserie "Girls" ein ziemlicher Star, spielt Paterson, einen Busfahrer, der im gleichnamigen Paterson (New Jersey) arbeitet und in jeder freien Minute Gedichte schreibt.
Eine Szene aus Jim Jarmuschs neuem Film  "Paterson" mit Schauspieler Adam Driver in der Hauptrolle.
Eine Szene aus Jim Jarmuschs neuem Film "Paterson" mit Schauspieler Adam Driver in der Hauptrolle.© picture alliance / dpa / Cannes Film Festival / Handout
Ein Leben voller Routine. Tagein tagaus küsst er morgens seine Frau Laura, nimmt seine Brotbox, geht zur Arbeit und fährt Bus. Ein Durchschnittsamerikaner, der trotzdem gar nicht durchschnittlich ist, sonst wäre es kein Jarmusch-Film, sondern etwas kauzig und wortkarg in seinem eigenen Kosmos lebt.

Paterson spielt einfach Mäuschen

"Im Drehbuch stand häufig: Paterson hört zu", sagt Adam Driver. "Das war großartig. Er spielt einfach Mäuschen."
Durch Patersons Augen sehen wir als Zuschauer die Menschen in seiner Umgebung und eine heruntergekommene alte Industriestadt, die ihre guten Tage definitiv schon lange hinter sich hat.
"Paterson war ein Zentrum für Textilien. Viele der Arbeiter in den Fabriken kamen aus Italien und Irland. Sie arbeiteten 13 Stunden am Tag, 6 Tage die Woche. Als Reaktion gab es riesige Streiks, unterstützt von italienischen Anarchisten. Die meisten Streiks wurden aber unterdrückt."
Es gibt im Film immer wieder Referenzen an die Geschichte der Stadt, eine Stadt, die mal voller Hoffnung und Aufbruch war. Inzwischen geben sich die Menschen aber mit sehr viel weniger zufrieden. Jim Jarmusch wirft in "Paterson" weniger einen kritischen Blick auf Amerika als einen melancholischen.

Traum der Freiheit am Rande des Existenzminimums

Auch die beiden anderen amerikanischen Filme im Wettbewerb von Cannes am Pfingstwochenende bleiben in der Provinz. Andrea Arnold hat mit "American Honey" ein Roadmovie gedreht über den Traum der Freiheit am Rande des Existenzminimums.
Die Britin zeigt jugendliche Aussteiger, die in einem Kleinbus durch die USA reisen und Zeitungsabos verkaufen. Der beste Verkäufer unter ihnen ist Jake, gespielt von Shia La Boeuf.
Für ihn waren in der Vorbereitung vor allem die Details interessant, sagt er:
"Die Hierarchie dieser Gruppe. Wie das Geld reinkommt, rausgeht, verwaltet wird. Wie sie die Zeitschriften verkaufen. Die Leute selbst musste ich nicht studieren. Ich komme aus der Unterschicht. Mir ging’s um technische Dinge."
Leider verpasst der Film die Chance, die prekäre Situation dieser Jugendlichen und die Härte dieser Arbeit nachfühlbar zu machen, sondern erfreut sich etwas zu sehr an den schönen Bildern feiernder Körper.

Liebe in Zeiten der Hoffnungslosigkeit

Der Film von Jeff Nichols, "Loving", taucht in die amerikanische Historie ein und ist dabei ganz aktuell: er erzählt die Geschichte hinter dem Fall "Loving vs. Virginia". 1967 wurde mit einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofs ein Gesetz aufgehoben, das sogenannte "gemischtrassige" Ehen verboten hatte. Ein historischer Stoff mit einem klaren Bezug zur Gegenwart:
"Wenn wir über Politik reden, über Rassismus, über Gleichberechtigung, dann geraten wir immer wieder ins Fahrwasser der politischen Gesinnung. Die Leute vergessen in diesen hitzigen Diskussionen die Menschen, um die es geht. Und als ich die Geschichte gelesen habe, schien es mir logisch, mich auf das Paar und die Familie zu konzentrieren."
Und so stehen in den amerikanischen Independent-Filmem im Wettbewerb von Cannes am Wochenende die Menschen im Mittelpunkt, nicht politische Botschaften.
Die Filme zeigen den Kampf des täglichen Überlebens in der Provinz, ein Kampf, bei dem wieder eine ganz alte Überlebensstrategie in den Vordergrund rückt: Liebe in Zeiten der Hoffnungslosigkeit.
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