Urbanes Prekariat

Food-Kuriere gehen auf die Barrikaden

Radfahrer mit pinken und türkisen Liefer-Rucksäcken von Foodora und Deliveroo stehen zusammen an einer Straßenecke.
Eine Fahraddemo von Lieferdienstfahrern von Foodora und Deliveroo. © imago / Christian Mang
Von Nina Scholz und Mirjam Kid · 04.07.2017
Keine Antwort, kein Geld, keine Unterstützung. Nicht nur bei Unfällen bekommen die Fahrradkuriere von Deliveroo und Foodora die Risiken des Freelancer-Modells oft hart zu spüren. Jetzt regt sich Widerstand - auch in Berlin und Wien.
Eine alltägliche Szene: Jemand bestellt Essen über eine App, kurze Zeit später kommt ein Kurier und bringt es.
Wer in einer Großstadt wohnt, hat die Fahrradkuriere bestimmt schon gesehen. Sie sitzen oft in Gruppen auf zentralen Plätzen und warten darauf, dass sie durch die App ihren nächsten Auftrag bekommen, dann fahren Sie los, holen das Essen im Restaurant und bringen es zum Kunden. Sie tragen große pinke oder grüne Käste auf dem Rücken. Ihre Firmen heißen Foodora und Deliveroo, und sie bieten nur einen Service an: Sie vermitteln zwischen den Fahrern und den Restaurants. Dafür erheben sie eine Gebühr.
An einem dieser Treffpunkte im Berliner Stadtteil Neukölln treffe ich Christian, der eigentlich anders heißt, der aber nicht erkannt werden will. Er erzählt mir, warum er bei Deliveroo angefangen hat:
"Ich fahre gerne Fahrrad. Also ich bin gerne unterwegs und es ist einfach super fürs Fahrrad fahren bezahlt zu werden, und das ist halt das wichtigste an dem Job, also mir persönlich. Und ich bin relativ flexibel. Ich kann mir meine Zeit selbst einteilen, das kommt mir sehr entgegen."
Die Flexibilität hat aber auch Nachteile:
"Dadurch dass ich als Freelancer tätig bin, kommt’s häufig vor, dass nichts los ist, kann es auch mal passieren, dass eine halbe, dreiviertel Stunde nichts passiert, dass ich kein Geld verdiene. Oder Kleinigkeiten, dass das Fahrrad kaputt ist oder ich mich verletzt habe. Dann verdiene ich kein Geld, das ist halt das Freelancer-Modell."
Die Risiken des Freelancer-Modells hat auch Dominik zu spüren bekommen, dessen Namen wir ebenfalls geändert haben. Er hat ein paar Monate als Fahrer bei Foodora gearbeitet:
"Ich bin von einem Auto angefahren worden während der Schicht. War erstmal so schon kein so witziges Ereignis, aber auch den Umgang von Foodora damit fand ich sehr komisch. Dann ging’s darum, ob der Autofahrer jetzt meine Kosten zahlt von meinem Schaden, und dann war nochmal die Frage, ob Foodora jetzt auch was dazu zahlt. Dann hatte ich probiert, Kontakt aufzunehmen mit denen. Von denen kam aber nie was zurück, also ich hatte denen eine Mail geschickt, aber nie eine Antwort deswegen erhalten."
Keine Antwort, kein Geld, keine Unterstützung, erklärt Daniel.

3,75 Pfund pro ausgeliefertem Essen

Gegen diese Arbeitsbedingungen regte sich letztem Sommer Widerstand. Im August 2016 streikten in London die Deliveroo-Kuriere. Ihnen wurde mitgeteilt, dass sie bald nur noch 3,75 Pfund pro ausgeliefertem Essen verdienen würden statt wie zuvor ein Pfund pro Essen plus Festlohn von sieben Pfund in der Stunde.
Auch in Deutschland müssen die Deliveroo- und Foodora-Fahrer einen Teil ihres Einkommens über die Kurierfahrten bestreiten. Foodora ist bei den deutschen Fahrern etwas beliebter als Deliveroo, weil sie festanstellen. Für ihre Gerätschaften müssen die Kuriere, anderes als andere Festangestellte, aber trotzdem aufkommen, erzählt uns Vincent Pfeiffer, Pressesprecher von Foodora Deutschland und Österreich:
"Die Telefone anzubieten, ist in sofern schwierig, weil wir die ganzen verschiedenen Tarife der verschiedenen Rider nicht so voll umfänglich ausgleichen und dann auch bezahlen können, weil das immer unterschiedliche Provider sind. Beim Fahrrad ist das so, dass es natürlich ein immenser Aufwand ist, bei weltweit knapp 8.000 Fahrern auch 8.000 Fahrräder zu kaufen und bereitzustellen."
Das wollen die Kuriere, die für beide Unternehmen in Berlin arbeiten, nicht hinnehmen und haben sich zusammengetan.
An einem Frühlingsabend versammeln sich etwa 100 von ihnen im Bezirk Friedrichshain. Hier treffe ich Susann aus Polen, die in Berlin ein Jahr lang für Deliveroo Essen ausgefahren hat. Mittlerweile hat sie aufgehört, und sie hat eine klare Vorstellung davon, was sich bei Foodora und Deliveroo ändern muss:
"Wir wollen, dass sie die Kosten für die Ausrüstung übernehmen, sie sollen für die Telefone und die Fahrradreparaturen aufkommen."
Wir sprechen mit Christoph Melzer, er ist Pressesesprecher der FAU, einer kleinen Basisgewerkschaft.
"Die Kampagne hat zunächst einmal das Ziel, die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Wir sind ja Basisgewerkschaften, das heißt da wird an der Basis entschieden, was sind die Bedürfnisse der Leute in den Betrieben, und das kann natürlich auch lokal unterschiedlich sein."

Der Kampf gegen die Scheinselbstständigkeit

"In Großbritannien ist Selbstständigkeit und Scheinselbstständigkeit und der Kampf dagegen ein großes Thema, das ist es hier weniger, weil hier fast alle festangestellt sind. Deswegen können die Forderungen variieren. Es geht aber um Verbesserung der Arbeitsbedingungen, dass man überhaupt Jobs schafft, von denen man Leben kann, aber auch ein Zeichen setzt gegen die zunehmende Prekarisierung. Es ist schon eine Kampagne, die auch politisch gemeint ist."
Auch in Österreich regt sich Widerstand. Die Foodora-Kuriere dort führte ihr Weg allerdings nicht zur Gewerkschaft – sie haben einen Betriebsrat gegründet. Die Vorsitzende ist Adele. Sie ist 28 und lebt in Wien.
"Es ist uns mal größtenteils darum gegangen, die Arbeitsbedingungen aufrecht zu halten, weil im Vergleich zu anderen Botenunternehmen oder anderen Foodora-Städten sind wir in Wien sowieso sehr gesegnet mit unseren Arbeitsverhältnissen, aber wir haben eben seit einem Jahr oder so zugeschaut, wie immer weiter gekürzt wird, also so Unternehmen wie Foodora eins ist, die so auf Wachstum aus sind. Die neigen halt dazu, dass die immer mehr bei ihren Mitarbeitern kürzen."
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