Prekäre Jazz-Szene

Für eine Pizza als Gage

Ein Saxophonspieler
Jazz hat eine große Fangemeinde in Berlin - doch leben können die wenigsten Musiker davon © imago / Tillmann
Von Ralf bei der Kellen · 21.06.2016
Die meisten Jazz-Musiker haben jahrelang studiert, trotzdem verdienen wenige von ihnen mehr als ein paar hundert Euro im Monat. Viele können sich nur mit weiteren Jobs über Wasser halten.
Freitags abends im Schokoladen, einem Musikclub in Berlin-Mitte: Die zehnköpfige Band Jam Connection macht Soundcheck. Am Baritonsaxophon: Franz Stahl.
Autor: "Was verdienst Du heute Abend hier?"
Franz Stahl: "Weiß ich nicht, das kommt innen Topf und dann gehen wir mal ein Eis essen am Ende des Jahres wenn genug zusammengekommen ist."
Seit der Jazzstudie vom März 2016 hat man viel gehört über die Lebenssituation der Jazzmusiker hierzulande. Aber – ist es wirklich so schlimm?
"Nee, ich glaub, es kommt mehr als ein Eis dabei rum, aber es wird erstmal gesammelt, dass man sich nicht immer so über 7,25 Euro ärgert, da kriegt man dann eben von fünf Gigs dann halt 70 Euro, was halt rumkommt."

Der Brotjob neben dem Musiker-Sein: Hausmeister

Franz Stahl ist 29 Jahre alt, geboren in der Nähe von Frankfurt an der Oder. Mit 21 kam er nach Berlin, um professioneller Musiker zu werden.
"Der Witz ist, ich hab mir überhaupt erst überlegt, professionell Musik machen zu wollen, weil ick von zwei Amateurbands in Frankfurt/Oder quasi ein Jahr lang gelebt hab. Da haack jedacht: Ach, denn machste nochma richtig, versuchst mal zu studieren und so und gehst mal nach Berlin…"
Aber in der Hauptstadt merkte er schnell, dass der Verdienst für eine "Mucke" aber eben auch nur 7,25 Euro betragen konnte.
Samstagmittag. Nach einer langen Konzertnacht begibt sich Franz Stahl auf den Weg zu seinem Brotjob: Hausmeister im Veranstaltungsort "Ballhaus Berlin". Nachdem er zuvor im Bereich Messebau seine Brötchen verdiente, arbeitet er nun hier für 30 Stunden die Woche und verdient so Dreiviertel seines Einkommens. Seine Lebenshaltungskosten waren bei einer Miete von 215 Euro für eine Wohnung mit Ofenheizung bislang eher niedrig. Jetzt aber ist das Haus an einen Investor verkauft worden. Die Gentrifizierung macht auch vor dem Jazz nicht halt.
"Als erster Arbeitsgang, det is extrem wichtig, man muss immer erstmal die Kaffeemaschine anmachen – sonst geht hier nämlich gar nichts."

Die Musik ist ihm heilig

Für Franz Stahl ist Musik eine Herzensangelegenheit, man könnte auch sagen: Sie ist ihm heilig. Und daher möchte er sie gerne von finanziellen Zwängen abgekoppelt sehen.
"Diese Ebene kann aber verloren gehen, wenn man versucht, damit Geld zu verdienen und permanent an andere Sachen denkt als an die Ausdrucksfähigkeit der Musik an sich."
Und da sorgt der Brotjob als Hausmeister für Entlastung.
"Ich will morgens auch gute Laune haben. Und nicht in den Kühlschrank gucken und denn is der schon wieder leer, die dumme Sau."
Dann bricht es aber doch noch aus ihm heraus. Hätte ich ihn interviewt, als er noch versuchte, in Berlin von seiner Musik zu leben, wäre unser Gespräch wahrscheinlich ganz anders verlaufen.
"Ick find die Moral von vielen Veranstaltern hier unterirdisch, zu erwarten, dass man als Band die GEMA, den Türsteher, den Tontechniker plus Saalmiete übernimmt, und hofft, dass dann irgendwie auch die Band genug Werbung macht, um den Laden vollzukriegen, also – an Dir bleibt alles kleben als Musiker hier in Berlin."
"Bottrop, Duisburg, Gelsenkirchen, Essen ist da! Pizza, Jungs!"
Am Montag Abend spielt Franz Stahl beim Omniversal Earkestra – einer 15-köpfigen Bigband. Hier gibt es ausnahmsweise mal eine Festgage: eine Pizza für jeden Musiker. Was von dem Eintritt von fünf Euro übrigbleibt, kommt in die Bandkasse, aus der GEMA und andere Umlagen bezahlt werden. An diesem Abend gibt es immerhin 25 zahlende Gäste. Organisator des Konzerts ist der Plattenladenbesitzer und Konzertveranstalter Ingo Vaupel.
"Also, ich würde sagen, die meisten Jazzmusiker sind auf Sozialhilfe. Oder haben reiche Eltern. Oder ne reiche Freundin. Oder Grundbesitz. Oder auch nicht. - Die meisten sind auf Sozialhilfe.

Das Gagenniveau ist tragisch

In Deutschland ist Berlin mit Sicherheit die Jazzhauptstadt. Das Mietenproblem: Es wird hier teurer, aber es ist immer noch billiger als München, Hamburg oder Düsseldorf. Und Berlin bietet unglaublich viele Auftrittsmöglichkeiten – die aber allesamt schlecht bezahlt sind. Also in Berlin kannst Du jeden zweiten Tag spielen, wenn Du das willst, aber die Gagen wären in Düsseldorf besser gewesen."
Der Endvierziger Vaupel kennt die Berliner Jazzszene seit Jahrzehnten. Im Omniversal Earkestra ist Franz Stahl der einzige Autodidakt – für die meisten der großen Jazzmusiker galt ja: learning by doing. Alle anderen aber haben vier, fünf Jahre ihres Lebens in eine Ausbildung an einer Hochschule investiert. Ist das Gagenniveau in Berliner auf diesem Hintergrund nicht noch tragischer?
"Es ist unglaublich tragisch. (lacht) Und es kommen ja auch jedes Jahr noch mehr gut ausgebildete Musiker dazu. Gleichzeitig gibt’s immer weniger Auftrittsmöglichkeiten – Du musst in dem Metier besessen sein, sonst machste doch lieber was anderes…" (lacht)
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