Preisverleihung als Wiedergutmachung

Von Joachim Gaertner · 22.04.2007
Ernst Toller war als Hurra-Patriot in die Schützengräben des Ersten Weltkrieges gezogen und kam als geläuterter Pazifist wieder heraus. In den 20er Jahren war er Mitglied der Münchner Räteregierung und schrieb gegen den heraufziehenden Faschismus an. Für Günter Grass mag es deshalb wie eine Art Wiedergutmachung gewirkt haben, dass er in diesem Jahr den Ernst Toller-Preis erhält. Zuletzt war von ihm schließlich nur in Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS die Rede.
Er muss ihm richtig gut getan haben, dieser Preis. Kämpferisch wie immer stellte der bald 80-jährige Nobelpreisträger Günter Grass im Interview selbst einen aktuellen Bezug für die Verleihung des Ernst Toller Preises am Sonntagnachmittag in Neuburg an der Donau her. Als eine Art Wiedergutmachung, ein Zurechtrücken der historischen Wahrheit. Denn der Preis im Namen des Kämpfers für Frieden und gegen Faschismus, dessen Dramen der 20er Jahre so wuchtig die politischen Konflikte seiner Zeit beschrieben, dieser Preis kommt für Grass gerade zur rechten Zeit, nachdem er sich von der deutschen Publizistik so heftig verfolgt fühlte nach dem späten Eingeständnis seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS.

Sie erscheint aber auch nahe liegend, die Verbindung Toller-Grass, deren Biographien tatsächlich erstaunliche Parallelen aufweisen: Beide als Jugendliche im nationalistischen Wahn in den Krieg gezogen - Toller in den Ersten, Grass in den Zweiten Weltkrieg - beide schwer erschüttert und verändert zurückgekehrt, gewandelt zu kämpferischen Pazifisten und kritischen Sozialisten. Die Kriegserfahrung wurde für beide zum entscheidenden Erlebnis.

In Ernst Tollers Beschreibung des Mordens vor Verdun, in seiner Autobiographie "Eine Jugend in Deutschland", bei der Preisverleihung gelesen von Jörg Hube, konnte Grass seine eigenen Erfahrungen als Jung-Nazi an der Ostfront sofort wiedererkennen.

Es war viel die Rede in Neuburg von diesen Ähnlichkeiten zwischen Toller und Grass, doch je mehr ihre Nähe betont wurde, desto mehr wurde auch bewusst, wovon hier nicht die Rede war: Von dem, was sie trennt. Denn während Toller bald nach seiner Rückkehr aus dem Ersten Weltkrieg öffentlich darüber sprach, dass er sich freiwillig mit großem Hurra-Patriotismus zum Kriegseinsatz gemeldet hatte, fand Grass über sechzig Jahre lang nicht die Worte für seine SS-Mitgliedschaft. Und Toller, als Jude und Anarchist, aber auch als Mitglied der bayerischen Räteregierung und Kommandant der Roten Armee, stand in ganz anderen Konflikten als Grass mit seinem Engagement für die Nachkriegs-SPD.

Und wenn man Grass fragte, was Ernst Toller für heute bedeutet, was heute die großen Fragen seien, zu denen man nicht schweigen dürfe, dann hatte seine Antwort weniger mit Ernst Toller zu tun. Das war dann Grass pur:

"Wir leben in einem absolut nur noch kapitalistischen Verständnis und Definition unseres Lebens. Wir sind alle zu Konsumenten degradiert und sind verschiebbar, je nachdem wie die Börse es will. Dagegen muss angesprochen werden, das ist eine Entwürdigung ohnegleichen. Wir haben nur noch eine einzige herrschende Ideologie, die übrig geblieben ist, die heißt Kapitalismus, und die richtet uns zugrunde."