Präzedenzfall Schloss Reinhardsbrunn

Thüringen drängt auf Enteignung

Ansicht von Schloss Reinhardsbrunn in Thüringen: Einige Fenster sind kaputt, andere durch Holz ersetzt
Schloss Reinhardsbrunn: Das wichtigste unter den Schlössern, die in Thüringen verfallen. © pa/dpa/Kahnert
Von Henry Bernhard · 21.06.2017
Da der Eigentümer das Schloss Reinhardsbrunn verfallen lässt, kommt Thüringen für die Pflege des Gebäudes auf, das schon einmal fast ein Denkmal war - bis die Treuhand intervenierte. Jetzt macht das Land ernst und plant einschneidende Maßnahmen.
Seit 2001 hat Schloss Reinhardsbrunn mehrfach den Besitzer gewechselt. Es ging an Briten, Russen und Ukrainer. Seit rund zehn Jahren gehört es der BOB Consult GmbH. Einige Spuren des Geldes führen nach Mittelamerika. Das Schloss, von der Treuhand einst ohne Erfolg als Hotel vermarktet, wurde mit Hypotheken belastet, um Geld herauszuziehen.
Zehn Millionen Euro Schulden lasten auf dem nun leerstehenden Schloss. Es stellt sich die Frage, ob und wie Reinhardsbrunn überhaupt noch zu retten ist. Das Land zeigt sich entschlossen, den Eigentümer notfalls zu enteignen - und würde damit rechtliches Neuland betreten. So oder so - die Zeit drängt.
Die Treuhand wollte auf Schloss Reinhardsbrunn ein Hotel betreiben lassen - ohne Erfolg. Nun verfällt das Bauwerk.

Das Manuskript im Wortlaut
Für ein Tor vor einem Schlosspark sieht der Bauzaun, den Christfried Boelter zur Seite schiebt, ziemlich mickrig aus. Auch das runde Schild, das ein "Travel Charme Hotel" verspricht, hat schon bessere Tage gesehen. Dabei war der Schlosspark Reinhardsbrunn mal einer der bedeutendsten in Europa. Fürst von Pückler-Muskau, Gartenschöpfer des 19. Jahrhunderts, schrieb:
"Reinhardsbrunn ist ohne Zweifel als Werk der Kunst und Natur zusammengenommen jetzt die schönste Anlage im Thüringer Wald, von reizender Wirkung voll Abwechslung und Poesie."
Davon ist auf dem Weg hinterm Tor noch nichts zu sehen. Links ein verwilderter Park, hohes Gras, Bäume. Rechts ein großer Teich, in dem fünf Reiher auf Fischzug sind. Würde der Förderverein Schloss Reinhardsbrunn hier nicht regelmäßig Arbeitseinsätze veranstalten, wäre das Gelände kaum noch zu betreten. Dass es nicht soweit kommt, dafür sorgt unter anderem Christfried Boelter, ein Pfarrer im Unruhestand, wie er sagt.
"Das heißt, wir haben ein Zugangsrecht auch auf dieses Grundstück, was uns nicht gehört. Und das hat uns dann als Verein auch die Möglichkeit gegeben, uns zu kümmern. Wir sind ja regelmäßig zu den sogenannten 'Subbotniks' im Park, um Aufräumarbeiten zu machen, denn die Führungen brauchen natürlich ein Gelände, das man auch betreten kann. Also Gras mähen, Hecken schneiden, runtergefallenes Laub wegräumen … Und das funktioniert. Und da merkt man gerade bei so einem 'Subbotnik', wie viel Engagement auch bei den Leuten da ist, die dann mit Hacke und Schaufel und Rasenmäher kommen und sich des Parks annehmen."

Freiwillige mähen Rasen beim Schloss im Tiefschlaf

Freiwilliges Rasenmähen auf einem fremden Grundstück, um wiederum fremden Menschen einen verwilderten Park zu zeigen und ein Schloss, das sie nicht betreten können. Es muss schon etwas Besonderes sein am Schloss Reinhardsbrunn, dass es Menschen so anzieht.
Und in der Tat: Schon nach wenigen Metern auf dem Weg öffnet sich der Blick auf ein neogotisches Schloss, auf Torbögen und Gewölbe und einen von Efeu umrankten Turm. Märchenhaft, bezaubernd. Im Näherkommen wird deutlich: Fenster und Türen sind verbarrikadiert, der Turmuhr fehlen die Zeiger, im Schlosshof ist der Boden brüchig.
Schloss Reinhardsbrunn.
Schloss Reinhardsbrunn© Deutschlandradio / Henry Bernhard
Seit 16 Jahren schläft Schloss Reinhardsbrunn. Man könnte auch sagen: Es verfällt. Wird von Vandalismus und Dieben heimgesucht. Zerschlagene Fenster und Spiegel, herausgerissene Fußböden. Und der Park verwildert und gerät immer mehr zum Dickicht. Damit ist es nicht das einzige Schloss in Thüringen, das verfällt, unter denen aber das Wichtigste.
"Wir stehen jetzt im Innenhof des Schlosses und haben hinter uns das Hohe Haus. Und haben hier den Ahnensaal oben drüber, sozusagen die Prachträume des Schlosses. Und der Ahnensaal macht ja deutlich, auf welchen Fundamenten das alles hier steht. Da sind nämlich die Bilder der Herrscherfamilien bis in die Gründungszeit des Klosters Reinhardsbrunn – und das liegt ja unterhalb des Schlosses – zu sehen.
Das hat hier sehr viel mit den Ludowingern zu tun, den Thüringer Landgrafen. Sie hatten fünf Burgen über Thüringen bis nach Sachsen-Anhalt, aber hatten nur ein geistiges Zentrum, und das war eben Reinhardsbrunn. Hier sind sie alle beerdigt. Und diese Grablege macht den Ort natürlich noch mal besonders. Also wir gucken, wenn wir zum Schloss Reinhardsbrunn gucken, immer weit tiefer in die Vergangenheit, in die Klostergeschichte."
Das heutige Schloss Reinhardsbrunn ist ein weitgehender Neubau des frühen 19. Jahrhunderts auf Fundamenten des 11. und Resten des 17. Jahrhunderts. Dennoch ist die ideelle Bedeutung des Schlosses für Thüringen immens, meint der Landeskonservator Holger Reinhardt. Reinhardsbrunn stehe für den Mythos der ununterbrochenen Ahnenreihe der Thüringer Herrscher seit dem Mittelalter.
"Die Frage steht ja wirklich: Was ist Thüringen? Und was macht Thüringen aus und welche Geschichtsmerkmale sind da? Insofern steht Reinhardsbrunn durchaus für diese – ich nenn das jetzt mal: staatliche Identität Thüringens, in historischer Zeit und eben mit diesem idealisierten Herrschaftsanspruch bis in die demokratische Gesellschaft heute."

Hotel statt Denkmal auf Betreiben der Treuhand

In der DDR erst Feuerwehrschule, dann Ferienheim, später Devisenhotel ausschließlich für Besucher aus dem Westen, blieb Reinhardsbrunn doch der Öffentlichkeit erhalten, ebenso der Schlosspark. Und für DDR-Verhältnisse wurden beide sehr wenig in ihrer historischen Substanz beschädigt. Anfang der 90er Jahre, der Hotelbetrieb lief noch, wurde das Schloss von der Treuhandanstalt verkauft.
"Schloss Reinhardsbrunn war längst auf der Landesliste der Objekte, die in die Stiftung Schlösser und Gärten zu übernehmen sind. Und Birgit Breuel hat dann höchstpersönlich dafür gesorgt bei Bernhard Vogel, dem damaligen Ministerpräsidenten, dass das Schloss von der Liste des Landes wieder runter kam und in einem Paket mit insgesamt 15 Spitzenhotels der DDR reingenommen wurde, die dann insgesamt verkauft worden sind an diese beiden westdeutschen Hotelketten. Aber unser Pech: Von den 15 sind 14 gut angekommen in der Marktwirtschaft, leider Reinhardsbrunn nicht!"
Seit 2001 wechselte das Schloss mehrfach den Besitzer, Briten, Russen, Ukrainer; seit 10 Jahren gehört es der BOB Consult GmbH. Finanzielle Spuren führen auch nach Mittelamerika. Zweck des Kaufs: Das Schloss mit Hypotheken zu belasten und Geld herauszuziehen.
Knapp zehn Millionen Euro Schulden lasten auf dem nun leer stehenden Schloss. Frühere Geschäftsführer müssen sich wegen Computerbetrugs und Untreue vor Gericht verantworten. Von Geldwäsche ist die Rede. Für das Schloss hat der Besitzer nie einen Handschlag getan. Für Holger Reinhardt ein Skandal.

Steuerzahler zahlt statt des Eigentümers für die Erhaltung

"Es ist an der Zeit, was zu tun, höchste Eisenbahn! Besonders prekär ist die Situation in der Schlosskapelle, weil dort erst Ende der 80er Jahre die Sicherungsmaßnahmen durchgeführt wurden. Der Ahnensaal hat ganz eindeutig eine Gefährdung durch einen Schwammbefall an defekten Gauben. Und wir haben schon Verluste an der Malerei dort schon 2013 feststellen müssen."
Immer wieder müssen das Land und der Landkreis einspringen, um Schäden an Dach und Dachrinnen zu reparieren, um Schlimmeres zu verhindern. Und um illegale Zugänge zu verschließen, nachdem regelmäßig im Schloss randaliert und gestohlen wurde, zuletzt die historischen Glocken der Turmuhr. Deshalb hat schon die letzte schwarz-rote Landesregierung unter Christine Lieberknecht ein Rechtsgutachten anfertigen lassen, um festzustellen, ob eine Enteignung des Schlosses aus Denkmalschutzgründen möglich wäre. Michael Brenner von der Uni Jena führte damals aus:
"Der Landkreis hat zahlreiche Maßnahmen der vorläufigen Sicherung durchgeführt, wohlgemerkt Maßnahmen, die an sich dem Eigentümer obliegen würden, denn der hat ja eine Erhaltenspflicht gegenüber diesem Denkmal. Und das macht deutlich, dass ein Interesse des Eigentümers an dem Fortbestand des Schlosses letztlich nicht vorhanden ist. Und das bedeutet dann auch: Die Zumutbarkeitsgrenze ist dann für den Freistaat erreicht. Anders formuliert: Das Tor für eine Enteignung ist durch das bisherige Verhalten des Eigentümers ganz weit offen."

Thüringen will erstmals wegen Denkmalschutz enteignen

Das ist nun drei Jahre her. Unter der alten Landesregierung geschah nach der Ankündigung nichts mehr. Im vergangenen Sommer verkündete die neue, nunmehr rot-rot-grüne Landesregierung, dass sie keine gütliche Einigung mit dem Eigentümer erzielen konnte, da der darauf bestehe, dass das Land die Grundschuld übernimmt. Dies jedoch lehnt Thüringen ab.
Ein verblichenes Schild "Travel Charme Hotel" - das Schloss war bis 2001 ein Hotel.
Ein verblichenes Schild "Travel Charme Hotel" - das Schloss war bis 2001 ein Hotel. © Deutschlandradio / Henry Bernhard
Nach dem vorliegenden Rechtsgutachten würde in einem Enteignungsverfahren die Grundschuld nicht auf das Land übergehen, sondern beim jetzigen Eigentümer verbleiben. Das Verfahren ist nun angestoßen, vor dem Landesverwaltungsamt. Ministerpräsident Bodo Ramelow, ein Linker, hat sich schon als Oppositionsführer und in Absprache mit der damaligen CDU-Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht um den Fall gekümmert.
"Insofern war die Einleitung des Enteignungsverfahrens der berühmte Stein, den man in Wasser wirft, um dann mal zu schauen. Das hat in Deutschland noch nie eine Landesregierung versucht. Die zugrundeliegende Rechtslage ist das bayerische Denkmalschutzrecht, das Thüringen übernommen hat. Insoweit wäre das Verfahren in Bayern auch möglich. Aber noch nie hat eine Landesregierung so etwas versucht. Und wir wollen es jetzt versuchen. Wir wollen einfach sehen, ob wir das Schloss Reinhardsbrunn aus der Geiselhaft befreien können."
In ganz Deutschland wird das Verfahren mit großem Interesse erwartet, in der Staatskanzlei und beim Landesdenkmalamt gehen immer wieder Anfragen aus anderen Bundesländern ein, denn Reinhardsbrunn ist kein Einzelfall in Deutschland. Sollte die Enteignung schnell gelingen, stünde das Land in wenigen Monaten vor großen Aufgaben:

Langes Gerichtsverfahren gefährdet die Substanz

"Wir müssen 6,8 Millionen sofort aktivieren, um das denkmalrechtliche Verfahren überhaupt zu sichern. Und dann muss man sich überlegen: Soll es so etwas werden wie ein edles Schlosshotel? Soll es etwas werden wie eine Begegnungsstätte, die schon mal im Gespräch war, der Religionen? Oder gibt es andere Ideen? Wir müssen nur erst mal den gordischen Knoten durchschlagen.
Wir wollen auch nicht der dauerhafte Besitzer werden, sondern wir suchen dann jemand, der sich fürsorglich und umfassend um das ganze Gelände kümmert. Und da werden wir uns auch finanziell als Land mitbeteiligen müssen mit entsprechenden Fördermitteln."
Sollte sich der Eigentümer des Schlosses jedoch gegen den erwarteten Enteignungsbeschluss wehren, kann er den Gerichtsweg beschreiten, der Jahre dauern kann. Für das Schloss Reinhardsbrunn wäre das eine besonders bittere Variante, meint der Landeskonservator Holger Reinhardt, denn es sei – symbolisch gesprochen – 1 Minute vor 12.
"Ja dann sehe ich schwarz! Wenn man eine sehr stringente Haltung der Ersatzvornahme nur Gefahrenabwehr betreibt und nicht an einige Grundursachen – nämlich z.B. Schwammbefall – herangeht, dann habe ich Angst, dass alle Bemühungen um die Sicherung dieses Teils unserer kulturellen Identität in den vergangenen Jahren möglicherweise vergeblich gewesen sind."
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