Politologin über Trumps Außenpolitik

"Frontalangriff gegen die EU"

US-Präsident Donald Trump auf dem Nato-Gipfel in Brüssel.
US-Präsident Donald Trump auf dem Nato-Gipfel in Brüssel. © Alexey Vitvitsky/ Sputnik/ dpa
Almut Möller im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 14.07.2018
Der US-Präsident will die EU schwächen, sagt Almut Möller vom European Council on Foreign Relations. Dabei gehe er mit seinen Angriffen gegen Deutschland und Kanzlerin Angela Merkel "voll auf die Chefin des Rudels". Die Europäer werde das aber näher zusammenbringen.
Deutschlandfunk Kultur: Heute im Tachelesgespräch Almut Möller, die Berliner Stimme einer internationalen, einer vor allem europäischen Denkfabrik, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations. Guten Tag, herzlich willkommen.
Almut Möller: Guten Tag, vielen Dank.
Deutschlandfunk Kultur: Es gibt, Frau Möller, in diesen Wochen eine Gewissheit. Am Ende wird die Europäische Union gewinnen.
Möller: Ist das so? Können wir uns darüber freuen, können wir das ausrufen, Herr Frenzel?
Deutschlandfunk Kultur: Sie ahnen wahrscheinlich, welchen Bereich ich meine, den Fußball. Denn Platz 1, Platz 2, Platz 3, Platz 4, alle sind festgelegt für folgende Mannschaften: Frankreich, Kroatien, Belgien, England. Jetzt habe ich gerade meine Wunschreihenfolge genannt, aber gut. Wir reden heute nicht über Fußball. Das soll auf dem Platz entschieden werden. Wobei, das kann man vielleicht sagen und das ist die Brücke zu dem, was ich vorhabe mit Ihnen heute, da kann man definitiv sagen, die europäische Stunde schlägt.
Wir reden über eine Woche, die diese Frage auch provoziert. Vielleicht eher in dieser Ausprägung: Müsste jetzt Europas Stunde schlagen? Nach einer Woche, die es in sich hatte, mit einem harten Donald Trump in Brüssel, jetzt auch aktuell noch in Großbritannien – mit einer kleinen Überraschung aus Großbritannien zu Beginn der Woche. Damit möchte ich auch beginnen, Almut Möller.
Der neue Brexit-Kurs der britischen Regierungschefin Theresa May ist was aus Ihrer Sicht? Die Erkenntnis, dass man in dieser Welt besser nicht alleine segelt?

May versucht, die Hardliner-Kräfte "zu zähmen"

Möller: Ganz gewiss ist das ein Teil davon. Sie hat je versucht, die Hardliner-Kräfte in ihrer Regierung schon seit einer ganzen Zeit ein bisschen zu zähmen. Das ist ihr jetzt übers Wochenende erstmal gelungen mit zwei Rücktritten, Boris Johnson, David Davis, in einem Papier, was – sagen wir mal – auf eher etwas abgeschliffene Kanten setzt. Das hat sicherlich auch etwas damit zu tun, dass die Briten sehen, sie sind Teil Europas und die Welt um uns herum wird eher zugiger. Und die Dinge, auf die wir uns glaubten verlassen zu können, vor allen Dingen die transatlantische Perspektive, verändern sich. Die Briten haben jetzt ein Signal gesendet, dass sie eigentlich ein bisschen weniger auf diesen harten Brexit zusteuern wollen. Die Frage ist, ob sie das durchhalten.
Deutschlandfunk Kultur: Das ist auf jeden Fall die Frage, die man diskutieren muss und die sicherlich auch noch nicht ausgemacht ist. Ob dieser weichere Brexit-Kurs in der britischen Politik letztendlich durchkommt, ob Theresa May damit durchkommt?
Möller: Sie wird sicherlich noch einige Kämpfe ausfechten müssen innerhalb ihrer Regierung, im Parlament. Insofern halte ich das noch nicht für ausgemacht. Den Plan, wir jetzt haben, der ist ja erstmal positiv auch aufgenommen worden von der EU als solches, dass wir jetzt ein bisschen was haben, mit dem wir arbeiten können, Substanz haben. Aber die Grundbotschaft ist eher: Macht euch da keine zu großen Hoffnungen. Wir haben unsere roten Linien gesetzt. Da kann man nicht im Weiteren sozusagen sich die Dinge raussuchen, die einen interessieren im Binnenmarkt. Also, wahrscheinlich wird die EU-Haltung sich nicht sehr stark verändern, aber der Ton ist momentan etwas konzilianter. Und das ist auch gut so.

Trump, May und die Europäische Union

Deutschlandfunk Kultur: Der Ton ist wahrscheinlich auch konzilianter, weil man merkt, dass auf allen Ebenen der Ton eher schärfer wird in der internationalen Politik. Vielleicht domestiziert das alle gerade auch ein bisschen, was ein guter Nebeneffekt wäre.
Wenn wir nochmal kurz auf die Frage schauen: Diejenigen, die austreten wollten, die Brexiteers, wie sie ja genannt werden, auch gerade die, die eben den harten Austritt aus der Europäischen Union wollten in Großbritannien, die haben das ja ganz häufig verknüpft mit der Hoffnung auf neue Allianzen, zum Teil auch anknüpfend an alte Tradition wie das Commonwealth, mit Indien zum Beispiel, aber eben auch vor allem in Richtung der Vereinigten Staaten von Amerika.
Jetzt gibt es ja ganz frische Breitseiten von Donald Trump, der gerade in diesen Tagen in Großbritannien zu Besuch ist, gegen Theresa May. – Gibt es für London am Ende nur einen verlässlichen Partner im Moment, nämlich die EU?
Möller: Die Europäische Union hat zumindest ein konsistentes Angebot und konsistente Botschaften ausgesendet. Trump, na ja, gut, Trump stellt sich hin in London und gibt ein Interview der Sun, das eine ziemliche Breitseite ist, wie Sie beschrieben haben, und sagt: Also, wenn du, liebe Theresa May glaubst, dass du mit den Europäern hier etwas mehr verbunden sein kannst in Zukunft als die Brexiteers, wie mein guter alter Freund Boris Johnson das wollte, dann können wir vergessen, dass wir miteinander gut ins Geschäft kommen im Bereich des Freihandels. – Da hat er sicher einen Punkt. Da muss sich London schon in gewisser Weise entscheiden.
Die Politikwissenschaftlerin Almut Möller, hier im Februar 2016 während der ZDF-Talksendung "Maybrit Illner" zum Thema "Auf verlorenem Posten - Scheitert Merkel an Europa?"
Die Politikwissenschaftlerin Almut Möller© picture alliance/dpa-Zentralbild
Deutschlandfunk Kultur: Ist das so? Ist möglicherweise das Entweder-Oder in dem, was wir früher mal als den Westen bezeichnet haben, so groß, dass man als Großbritannien in dieser Rolle dazwischen sagen muss, entweder Richtung USA orientieren oder Richtung Europäischer Union?
Möller: Es gibt sicher Bereiche, in denen diese Entscheidung einem nicht abverlangt wird. Aber wenn es um diese Handelsthematik geht und das, was die Briten ja jetzt vorgeschlagen haben, wie sie mit der EU weiterhin zusammenarbeiten wollen, ist sozusagen eine stärkere Anbindung an die EU. Ob sie das durchkriegt, wie gesagt, ist die eine Sache. Aber das hieße dann auch, dass sie eben nicht so viel Freiheiten hat, weil sie sozusagen mit den Amerikanern ein neues Freihandelsabkommen abzuschließen. Das schaut sich Trump wahrscheinlich nicht im Detail so an. Was Trump macht, ist etwas anderes, was die Europäer wahrscheinlich auch näher zusammenbringt.
Trump ist ja auch in den letzten Tagen gegenüber Berlin auf dem Nato-Gipfel voll auf die Chefin des Rudels gegangen. Frau Merkel hat er ja schon seit einigen Monaten und Deutschland aufs Korn genommen. Das ist phänomenal zu sehen, in welcher Form er quasi so einem Jagdinstinkt da folgt. Er weiß, dass Deutschland ein entscheidendes Land in der Europäischen Union ist. Er weiß, dass Deutschland auch nicht immer unumstritten ist in der Europäischen Union. Und er will diese Union schwächen. Das macht er, indem er unter anderem auf die Stärksten geht und ihre Schwächen an die Oberfläche zerrt – im Sicherheitsbereich, in der Frage, wie europäisch ist das eigentlich, was Berlin da macht in der Eurozone. Das hat er schon ganz früh in seiner Präsidentschaft gemacht, als er in der BILD-Zeitung ein Interview gegeben hat wenige Wochen, bevor er als Präsident eingeführt wurde.

"Das ist ein ziemlicher Frontalangriff"

Das hat man sich in Berlin damals schon gemerkt und sich sehr, sehr genau angeschaut. Das ist natürlich etwas völlig Neues, dass die Amerikaner nicht mehr im Detail Kritik haben daran, wie Politiken in der EU funktionieren, und frustriert sind, sondern dass die Vereinigten Staaten momentan die Europäische Union als solche nicht mehr unterstützen als politischer Rahmen, unter dem sich sozusagen die Einigung des Kontinents vollzieht. Das ist neu. Das ist auch eine volle Breitseite in Richtung Berlin, weil Deutschland unter dieser Regierung, unter den vergangenen Regierungen ganz klar die Zukunft unseres Landes in den Kontext der EU gesetzt hat.
Das ist ein ziemlicher Frontalangriff. Man sieht ja jetzt auch, dass Berlin und auch andere Mitgliedsstaaten der EU, gemeinsam mit Frankreich, da – sagen wir mal – nicht in ähnlichem Temperament, aber doch in der Sache klar auch mal Position beziehen und auf Konfrontation gehen mit den USA.
Deutschlandfunk Kultur: Sieht man das? Vor dem Hintergrund des Nato-Gipfels, über den wir gleich noch ein bisschen ausführlicher sprechen, hatte ich eher den Eindruck, man sieht das relativ wenig.
Möller: Also, da ist natürlich ganz viel Diplomatie am Werk und Protokoll am Werk, wenn es um die Frage geht, reagiert man jetzt auf wirklich verbale Entgleisungen dieses Präsidenten. Da hat ja die Bundeskanzlerin für ihr Temperament schon relativ klar auch mit persönlichen Bemerkungen reagiert.
Deutschlandfunk Kultur: Mit dem Verweis darauf, dass sie weiß, was Abhängigkeit von der Sowjetunion bedeutet...
Möller: Richtig. Ansonsten hält sich das ja alles noch ziemlich im Diplomatischen und Protokollarischen. Ich kann das nachvollziehen, finde es aber nicht immer richtig. Das hat auch Grenzen, weil ich glaube, dass die Menschen in Deutschland auch irgendwann wollen, auch wenn viele wissen, meine Güte, was ist denn das für ein Präsident, hat der eigentlich noch alle Tassen im Schrank sozusagen, und das vielleicht etwas auf dieser Ebene nehmen, sich doch irgendwann fragen: Wie lange können wir eigentlich so was mit uns machen lassen? Wo ist eigentlich in der Diplomatie das, was wir in der Politik kennen, nämlich Benehmen, was unanständig ist und was kein Miteinander ist, auch als solches zu benennen?

"Die Europäer haben den Fehdehandschuh aufgenommen"

Das finden wir sozusagen zwischen den Zeilen, aber wir finden es nicht in dieser offenen Konfrontation – immer noch der Versuch der Bundesregierung in den offiziellen Verlautbarungen zu sagen, wir müssen vom Ergebnis her da drauf gucken. Und da sind wir eigentlich irgendwie immer noch beieinander und so. Aber das hat auch Grenzen. Und in der Handelspolitik, in einem anderen Feld, sehen wir ja, dass das inzwischen auch klare Grenzen hat, dass Trump sich positioniert hat. Die Europäer haben sozusagen den Fehdehandschuh aufgenommen und haben gesagt: Gut, dann gibt es retaliation, also, wir schlagen zurück. Das heißt, hier gibt es ganz klar auch rote Linien für die Europäer, die sie jetzt auch setzen, weil sie das Interesse daran haben, diese internationale Handelsordnung zu erhalten, die WTO zu erhalten, die Gerichtsbarkeit zu erhalten und die Rolle der Europäer, die ja sehr, sehr stark ist im Freihandel, auch zu schützen.
Deutschlandfunk Kultur: Sie haben über das Benehmen des Präsidenten gesprochen. Da bin ich nochmal gedanklich und auch von den Zitaten her in Großbritannien und diesem Sun-Interview, das Donald Trump gegeben hat, wo er ja auch an die Adresse Theresa Mays gesagt hat, sie habe den Brexit verbockt. Jetzt müssen wir ja bei Donald Trump auch immer mal genau hinhören, Stil nicht immer gleich mit Unwahrheit gleichsetzen. Ist an dieser Aussage was dran?
Möller: Also, die Briten haben sich schon sehr lange sehr schwer getan, in der Regierung May eine Position zu finden, die in Brüssel präsentabel ist. Und es ist schon enorm viel Zeit verstrichen, die die Briten in einer Art von Nabelschau verbracht haben, was ich jetzt aber auch nicht so verwunderlich finde. Denn das Abstimmungsergebnis war relativ knapp. Die Positionen zwischen denjenigen, die drin bleiben wollen, und denjenigen, die raus wollen, sind ziemlich verhärtet. Und dass Theresa May sich so lange gehalten hat, ist eigentlich erstaunlich. Aber für die Komplexität dieses Austritts, und wir haben das bisher ja noch nicht gehabt, so eine Rückabwicklung, ist das schlecht gewesen. Die Forderung war immer an Großbritannien: Jetzt legt endlich auf den Tisch, wo wir denn dann gemeinsam hin wollen sollen. Ihr habt da eine Bringschuld. Und die Briten haben es nicht geschafft.
Jetzt haben wir ein bisschen Licht am Ende des Tunnels, aber es ist schon reichlich spät.

Die EU wird beim Brexit in der Sache "hart bleiben"

Deutschlandfunk Kultur: Jetzt haben wir die Einigung des britischen Kabinetts mit, wie Sie gesagt haben, den Folgen: zwei Minister weniger oder vielmehr ersetzt. Es gibt jetzt ein Weißbuch, das diesen Plan skizziert. Ich verkürze mal diesen Plan auf die Kernüberschrift, die man vielleicht setzen könnte: Wir wollen gerne die Rosinen, allerdings ohne den Rest. Wir wollen gerne den Binnenmarkt, soweit möglich im ökonomischen Bereich. Wir wollen Freihandel, aber das andere nicht. – Ist das attraktiv für die andere Seite, für die Europäische Union?
Möller: Also, es gibt zwei Dinge. Das erste ist, dass die EU und ihre Mitglieder und auch Deutschland eigentlich kein Interesse daran hatten, dass dieser Fall eintritt. Keiner wollte wirklich, dass die Briten austreten, weil, eigentlich ist das für beide ein Verlustgeschäft. Zweitens hat man jetzt kein Interesse daran, Theresa May wieder destabilisiert zu sehen, sondern in der gegenwärtigen Lage ist man auch in Brüssel und in Berlin und andernorts ganz froh, dass sich die Dinge etwas beruhigt haben, dass man jetzt zur Sache zurückkehren kann. Deswegen hört man so in den ersten Reaktionen eigentlich verhalten positive Dinge aus den Hauptstädten in Kontinentaleuropa.
Aber in der Sache werden die Europäer hart bleiben. Diese Position, die sie eingenommen haben richtigerweise von Beginn an, dass die vier Grundfreiheiten es Binnenmarktes nicht nur zum Teil zu haben sind, sondern dass sie im Paket kommen, das ist etwas, davon wird die EU, davon wird die Kommission, die da chefmäßig verhandelt mit Unterstützung der Mitgliedsstaaten, nicht abweichen.
Warum? Das hat mit den Briten nur zum Teil was zu tun. Sondern es geht vor allen Dingen auch um den Druck, der insgesamt auf dem Kessel ist. In dem Moment, als die Briten abgestimmt haben und gesagt haben, wir wollen raus, war in Berlin die Angst sehr groß, dass das einen Dominoeffekt haben könnte. Wir sehen ja, dass zwischen den anderen 27 EU-Ländern einiges auch im Argen ist wirtschaftspolitisch, was die Zukunft des Euro angeht, aber auch in ganz grundlegenden Fragen von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Bezug auf Polen, in Bezug auf Ungarn. Diese Europäische Union zusammenzuhalten, ist keine triviale Aufgabe.
Als Kern dieser EU gelten diese vier Grundfreiheiten. Wenn man die preisgibt und das mit einem Präzedenzfall Großbritannien macht, …
Deutschlandfunk Kultur: ..keinem besonders kleinen Land, sondern einem relativ wichtigen Land.
Möller: Richtig, dann ist ein Präzedenzfall gesetzt. Der könnte Schule machen. Das heißt möglicherweise, dass eben dieser gemeinsame Rahmen Europäische Union aufgeweicht wird, verwässert wird, zerfasert, wie Trump das ja auch voraussagt. Andere werden diesem Beispiel folgen. Also, er bläst weiter zum Halali auf den Zusammenhalt in der EU. Und in Berlin und auch andernorts in Kontinentaleuropa hat man eben diesen Zusammenhalt der 27 im Blick – bei allen Problemen, die wir in der EU haben. Der Wert sozusagen der Mitgliedschaft und des Gemeinsamen wird ziemlich hoch weiterhin angesetzt, selbst in Hauptstädten, die wir momentan schwierig finden, selbst in Warschau, sicherlich auch in Budapest.

Trump "reitet ins Gefecht"

Deutschlandfunk Kultur: Jetzt würde ich, Frau Möller, die Politik nicht unbedingt als Porzellanladen bezeichnen, aber wer der Elefant war in dieser Woche, das ist ziemlich klar. Über den Auftritt Donald Trumps in Großbritannien und auch beim Nato-Gipfel haben wir schon teils gesprochen. Nato-Gipfel, da war ja sicherlich der größte Rundumschlag, den wir so in letzter Zeit von ihm erlebt haben. Deutschland sei ein Gefangener Russlands, ein Land, das trotz seiner wirtschaftlichen Stärke viel zu wenig für die Verteidigung ausgebe. – Man könnte wirklich den Eindruck kriegen, Donald Trump, und Sie haben das ja anfangs auch gesagt, sieht in Deutschland das größte Problem auf internationaler Bühne.
Möller: Trump hat tatsächlich sich stark auf Deutschland fixiert bei einigen seiner Kernthemen. Und er reitet ins Gefecht. Die Bundesregierung ist darauf vorbereitet nach meinem Eindruck. Also, man hat schon ziemlich früh die Sensoren natürlich in Washington gehabt und festgestellt, dass dieser Präsident nicht nur Dinge sagt, sondern dass er sie auch tut und dass irgendwann nicht mehr, wie man sagte, so die Erwachsenen bleiben ja mit ihm im Raum und irgendwann wird jemand schon sagen und sich durchsetzen, so können wir das nicht machen. – Das passiert nicht.
Berlin hat natürlich ein Problem, wenn Trump den Finger in Wunden legt, die auch in Europa in anderen Hauptstädten so gewisse Schwingungen auslösen.
Deutschlandfunk Kultur: Nämlich welche?
Möller: Nämlich die Frage erstens: Was ist das eigentlich mit Deutschlands Bekenntnis für Sicherheit? Sind die Deutschen nicht diejenigen, die immer gerne davon profitieren, wenn andere in Sicherheit investieren? Viele Länder Mittel- und Osteuropas, die sich stärker bedroht fühlen, als wir das hier vielleicht tun, von einem russischen Nachbarn, der die Krim annektiert hat, die sagen: Dieses Land tut tatsächlich nicht genug.

Deutschland ist "nicht der Hort der Stabilität"

Das Zweite ist natürlich im Feld der Wirtschafts- und Währungsunion, wo wir wissen, dass natürlich Deutschland auch von der Position der Schwäche von anderen profitiert hat in den vergangenen Jahren, was viel Frust ausgelöst hat. Aber das Verhältnis zu Deutschland ist ja in gewisser Weise auch schizophren, weil die allermeisten Mitgliedsstaaten natürlich wissen, dass man dieses stabile große und politisch stabile Land in der Mitte der Europäischen Union braucht, damit überhaupt jemand da ist, der diese EU zusammenhalten kann. Die Franzosen sind jetzt wieder mit an Bord, was gut ist. Und wir haben in den letzten Wochen gesehen, dass natürlich Deutschland auch nicht der Hort nur der Stabilität ist.
Also, Berlin muss zusehen, dass auf dieser rhetorischen Ebene der Trump da nicht auch eine gewisse Form von Oberwasser gewinnt. Und er ist ja extrem in seiner Rhetorik. Darauf will man natürlich nicht eingehen, sondern man versucht auf die Strukturthemen zu gehen. Und Trump hat natürlich einen Punkt, wenn er sagt, dass Europäer mehr in ihre Sicherheit investieren müssen, was er ja jetzt wiederholt hat.
Deutschlandfunk Kultur: Ob er den wirklich hat, Frau Möller, darüber würde ich gerne gleich nochmal mit Ihnen sprechen. Eine Frage nur vorweg mit Blick auf diese Obsession, die Trump offenbar hat in Richtung Deutschland: Die Punkte, die Sie genannt haben, sind ja rational irgendwie einzuordnen. Die Frage ist aber nur: Warum treibt es einen amerikanischen Präsidenten, der relativ weit davon entfernt ist, so sehr, dass er das politisch so instrumentalisiert?
Ich habe jetzt eine Vermutung, genährt übrigens durch jemanden, der Mitbegründer Ihres Think Tanks ist, Timothy Garton Ash, der den European Council on Foreign Relations mitgegründet hat und der, als Donald Trump gewählt wurde, Angela Merkel damals zum "Leader of the free World" ausgerufen hat anstelle des amerikanischen Präsidenten.
Ist das vielleicht die neue Frontstellung, die auch ein Donald Trump merkt, dass sie eine Welt verkörpert, die weiterhin festhält an der Idee des Multilateralismus? Und er ist eben derjenige, der eine neue Weltordnung im Blick hat.
Möller: Sicherlich. Angela Merkel selber würde sich nie als sozusagen Anführerin der freien Welt sehen wollen und sicherlich auch mit guten Gründen. Sie hat, glaube ich, eine realistische Einschätzung ihrer Rolle und auch der Rolle Deutschlands. Aber natürlich, Deutschland steht im Herzen der Europäischen Union wirklich für die Überzeugung, dass multilaterales Miteinander, die Verabschiedung von alter Mächtepolitik, also nicht nur die Großen und Starken und wirtschaftlich Potenten und diejenigen, die die größten Armeen haben, dürfen mit an den Tischen sitzen. Das ist etwas, was wir Gott sei Dank nach den Verwerfungen im letzten Jahrhundert, die von Deutschland ausgegangen sind, in den Orkus der Geschichte gejagt haben. Wir sitzen in der Europäischen Union mit deutlich kleineren Mitgliedsstaaten an einem Tisch. Und wenn es spitz auf Knopf geht und wir einstimmig entscheiden, dann kann auch Malta sagen, ich mache nicht mit. Und dann ist das so. Dann wird das nicht gemacht.
Deutschlandfunk Kultur: Oft genug gesehen, ja.

Nicht in alte Mächtekonstellation reindrängen lassen

Möller: Ja, das ist natürlich auch irgendwie ein Problem in der EU, dass das so ist, aber es ist eine völlig andere Logik. Dieses postmoderne Verständnis von Macht, mit dem kann Trump nichts anfangen. Mit dem kann auch Wladimir Putin nichts anfangen. Und mit dem kann auch Herr Erdogan sicherlich nichts anfangen. Und auf einmal ist Deutschland in einer Position, wo wir mit unserer eigenen Macht wieder konfrontiert werden, weil da wieder jemand in alten Machtkonstellationen denkt und mit uns reden will und um die Tische herum fuhrwerkt.
Unsere französischen Nachbarn können das irgendwie besser. Die haben ein anderes Verhältnis zu ihrer eigenen Rolle und auch zu Fragen von Macht. Aber in Deutschland, glaube ich, löst das Verunsicherung aus. Wir wollen eigentlich nicht da hin. Wir wollen uns nicht in diese alte Mächtekonstellation reindrängen lassen. Das ist auch richtig so.
Weshalb wir jetzt noch ganz entschiedener auf die EU setzen müssen, weil die der Rahmen ist, in dem wir mit diesem Thema Macht Deutschlands ja eigentlich umgehen können.
Deutschlandfunk Kultur: Und das erklärt aber aus meiner Sicht vielleicht auch diese Zurückhaltung bei diesem berühmt gewordenen, mittlerweile allen bekannten Zweiprozentziel, also zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für Militär auszugeben, von der Nato, von allen gemeinsam beschlossen, darauf pocht ja Donald Trump.
Aber wenn Sie gerade so dieses Bild aufmachen von postmoderner Wahrnehmung von Politik und von Macht und eben der klassischen, habe ich manchmal den Eindruck, diese Logik, dass man durch Militärausgaben letztendlich Politik macht und auch idealerweise eine Welt ordnet, ist die nicht auch schrecklich gestrig?
Möller: Jein. Sie ist es in gewisser Weise. Und die Europäer haben ja geschafft, sagen wir mal, andere Zugänge zu finden zu ihrer Sicherheitspolitik, indem sie gesagt haben: Wir versuchen mit der Erweiterungspolitik, wir versuchen mit der Nachbarschaftspolitik so etwas wie einen Modernisierungsansatz zu entwickeln und zu sagen: Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Soziale Marktwirtschaft hilft uns allen und macht unseren Kontinent friedlicher. – Enormer Erfolg für alle EU-Mitgliedsstaaten, auch diejenigen, die das inzwischen kritisch sehen.

Ein neuer europäischer Ansatz der Sicherheitspolitik

In unseren Nachbarschaften darüber hinaus hat das ein bisschen weniger geklappt, aber das ist sozusagen ja der Ansatz, wo wir gemerkt haben, das ist ein guter Weg. Aber das ist ein Weg, der allein auch nicht funktioniert, weil in dieser Welt das nicht die Hard Power ist, die überall beeindruckt. Die Europäische Union kommt ja jetzt sozusagen aus der anderen Perspektive, zu sagen: Wir müssen jetzt, obwohl wir eigentlich die Friedensdividende sehr viel höher angesetzt hatten und gehofft haben, dass die dauerhafter hält, wir müssen wieder lernen, uns auch auf andere Art und Weise sicherer zu machen und zu verteidigen.
Ich bin sehr dafür, dass die Europäer jetzt für sich miteinander aushandeln, was das eigentlich heißt. Also, das Ende der Pax Americana kann ja nicht heißen, dass wir sozusagen reingehen und es genauso versuchen zu machen, sondern wir müssen uns überlegen, was sind eben europäische Ansätze, die auch weiterhin in unserer Nachbarschaft für mehr Sicherheit sorgen, aber die vielleicht auch andere Antworten finden als amerikanische Interventionspolitik im Nahen Osten, um ein Beispiel zu nennen, wo wir reingezogen werden oft in solche Situationen. Aber wir werden nicht darum herumkommen, uns auch mit dem Thema harte Sicherheit stärker zu beschäftigen.
Ich finde das sinnvoll, dass wir das nicht nur im Nato-Rahmen machen, sondern auch im EU-Rahmen. Denn wir haben im EU-Rahmen selber die Hebel und selber die Konferenztische und die Agenden, die wir einberufen.
Deutschlandfunk Kultur: Aber würden Sie denn sagen, gerade auch nach der Erfahrung dieser Woche und auch unter dieser großen Frage, die ich anfangs gestellt habe, schlägt die Stunde Europas, sollte sie schlagen, dass wir angesichts der Erfahrung mit den Vereinigten Staaten gerade dann sagen: Wenn wir mehr investieren, wenn wir mehr machen wollen, dann lasst uns das untereinander besprechen und nicht mehr allzu sehr auf diese Nato setzen?
Möller: Ich denke, wir müssen realistischer Weise beides tun und versuchen, die Dinge klüger miteinander zu verzahnen. Das passiert ja auch schon seit einiger Zeit.
Also, das, was Trump jetzt immer wieder auch zugespitzt in die Öffentlichkeit trägt, ist ja ein Prozess, der eigentlich in den letzten Monaten und Jahren schon läuft, nämlich erstens, dass man in Deutschland zunehmend anerkennt, dass wir wieder mehr in unsere Sicherheit investieren müssen, dass wir die Bundeswehr anders ausstatten müssen, dass wir anders auch mit anderen zusammen arbeiten lernen müssen und deutsche Beiträge nochmal überdenken müssen. Das ist das eine.
Das zweite ist, dass wir im EU-Rahmen, gerade auch gemeinsam mit Frankreich, mit Spanien, mit Italien, hoffentlich dann auch noch mit anderen überlegen, wie wir eigentlich eine stärkere europäische Säule für Sicherheit entwickeln können, die dann kompatibel ist mit dem, was wir im Rahmen der Nato tun. Also, es geht sozusagen darum, die Nato europäischer zu machen.

Europa und die Nato

Deutschlandfunk Kultur: Ich möchte gerade da einhaken, weil, Frau Möller, dieses zweibeinige Herangehen meine ich zu hören als die Grundantwort, die man seit Jahren, im Prinzip seit Ende des Kalten Krieges kriegt auf die Frage: Wie muss sich Europa sicherheitspolitisch aufstellen, sowohl Nato als eben auch eigene Kapazitäten? Wo ich manchmal den Eindruck habe, das überfordert und verschleiert, erstens, weil man sich immer noch auf die Nato verlässt, zweitens, weil es eben einfach auch begrenzte Kapazitäten gibt. Irgendwann muss man sagen, Nato oder Europäische Union.
Möller: Also, der Unterschied zu den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ist, dass tatsächlich jetzt Dinge passieren im europäischen Rahmen mit diesem sperrigen Begriff der ständigen strukturierten Zusammenarbeit. Das ist ein Unterschied.
Deutschlandfunk Kultur: Die mediale Übersetzung ist: Europäische Verteidigungsunion, im letzten November beschlossen.
Möller: So könnte man das nennen. Ich glaube nicht, dass wir schon an dem Entweder-Oder-Standpunkt stehen. Ich würde aber nicht ausschließen, dass wir irgendwann da hinkommen, weil wir uns immer weniger natürlich darauf verlassen können, dass die Amerikaner ihr Commitment an die Nato so halten. Je offener wir herangehen an diese Überlegung und uns Szenarien überlegen, wie wäre es eigentlich um europäische Sicherheit bestellt ohne diesen Rahmen der Nato, desto besser.
Das ist ja auch eine Reifung im sicherheits- und verteidigungspolitischen Denken, die da stattfindet. Das dauert ein bisschen. Wie gesagt, die Nato wird jetzt nicht über Nacht sozusagen wie auch die Europäische Union nicht irgendwie an Relevanz gewinnen oder verlieren in schwarz-weißer Hinsicht, aber irgendwann wird es sicherlich auch die Grundsatzfrage geben. Was ist denn jetzt dieser neue Rahmen?
Aber die Europäer haben entschieden, Berlin hat entschieden zusammen mit Paris und anderen, zu versuchen das zu beeinflussen, was man beeinflussen kann, und zwar am besten. Und das ist die Europäische Union an der Stelle.
Deutschlandfunk Kultur: Ich habe nochmal, um die Zahlendimension da vor Augen zu haben, nachgeschaut, wie viel Soldaten eigentlich zum Beispiel in der Europäischen Union, wenn man alle Armeen zusammenaddiert, wie viel Soldaten diese Europäische Union hat. Das sind über 1,5 Millionen. Und das sind nochmal gut 100.000 mehr als die Vereinigten Staaten haben. Rein nominell wäre das die größte Armee der Welt. Wir haben Ausgaben auf die EU bezogen von über 1,5 Prozent der Wirtschaftsleistung, also auch da eine Zahl, mit der man zumindest operieren könnte.
Warum kann man daraus so schlecht eine wirklich wirkungsmächtige Truppe machen?
Möller: Ich glaube, letztlich geht es tatsächlich darum, dass über Krieg und Frieden in unseren Ländern entschieden wird. Das sind ja wirklich existenzielle Fragen. Für wen und wer entsendet unsere Soldatinnen und Soldaten mit welchem Ziel und dem Risiko, dass sie in Särgen zurückkommen?
Deutschlandfunk Kultur: Das heißt, wir haben nicht genug gemeinsame Ziele innerhalb der Europäischen Union?
Möller: Doch, die haben wir, aber wir haben eine politische Kultur, die uns gelehrt hat, dass der Nationalstaat der Rahmen ist für diese Dinge. Das ist auch nicht unverrückbar. Das ist ja nicht schon immer so. Aber das ist die Grundierung, die wir haben.
Die Tatsache, dass wir in Deutschland eine Parlamentsarmee haben, also einen Deutschen Bundestag, der dafür verantwortlich ist, ist ein anderer Ansatz als wir das beispielsweise in Frankreich haben. Das ist uns sehr wichtig und sehr viel wert. Also, sozusagen das Ganze zu europäisieren und zu öffnen, ist nicht einfach, weil das auch heißt, wir müssen uns eben über die Grundlagen unserer politischen und kulturellen Überzeugungen hier mehr verständigen. – Und das passiert natürlich nicht von heute auf gleich.

Mehr Synergien in Europa nutzen

Gleichzeitig, weil Sie die Zahlen ansprechen, das ist ja atemberaubend, wie viel wir eigentlich versäumen an Synergien zu nutzen, die wir hätten. Wenn wir es wirklich schaffen, uns so zu verzahnen, dass die einen auch bereit sein können, Dinge aufzugeben, passiert ja zum Teil schon, weil andere es besser können, Nischen sich zu suchen, Professionalisierungsnischen, dann können wir einsparen, dann können wir schlagkräftiger werden. Wenn wir lernen, zusammen zu lernen, wie man Einsätze macht usw., das steckt alles ziemlich in den Kinderschuhen. Aber ich glaube, wir werden da jetzt einen Schub erleben.
Deutschlandfunk Kultur: Almut Möller, zwei, drei Beobachtungen zum Schluss unseres Gespräches, die mich mindestens nachdenklich machen – und beide spielen eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, wie Bürger in dieser Woche Politik wahrnehmen mussten:
Nehmen wir diese Tage in Brüssel, die Trumpsche Logik – ich drohe euch. Ich drohe Bündnispartnern. Damit kriege ich am Ende, was ich wollte. Ähnliches Muster haben wir ja vorher gesehen in Korea, die Logik des starken Mannes und auch die Erzählung, Diplomatie ist schwach. – Bleibt das am Ende hängen?
Möller: Ich weiß nicht, ob Trump droht und dann kriegt er, was er wollte. Ich glaube, wir haben diese Debatte darüber, was uns sicher macht und hält in Europa, auch unabhängig von Trump. Ich halte das nicht nur für Augenwischerei oder sozusagen den Versuch der Politik hier in Deutschland, zu zeigen, also, eigentlich ist das unabhängig von den Vereinigten Staaten. Es ist natürlich nicht ganz unabhängig von dem, was die Vereinigten Staaten tun, aber hat sehr, sehr viel mit uns in Europa zu tun, weil wir nämlich jetzt merken, dass wir aufgrund unserer Geographie und unserer Nachbarschaft sehr viel anfälliger sind als die Vereinigten Staaten, weil unsere Nachbarschaft eine schwierige ist.
Ich habe das Gefühl, der Herr Trump tritt also auf und macht die größten Schlagzeilen und sagt vielleicht mal Dinge, die sozusagen das Protokoll eher nicht vorgesehen hat, aber ich glaube, dazwischen gibt es dann auch noch eine Politik, die vielleicht nicht immer ganz so anders aussieht.
Ich glaube, was mir mehr Sorge macht, ist sozusagen die Geschwindigkeit, mit der das jetzt passiert. Wir haben innerhalb von wenigen Jahren, eigentlich von zehn Jahren, wenn man mal die beiden Grundpfeiler deutscher Außenpolitik nehmen, die europäische Zusammenarbeit, also die Europäische Union und die transatlantische Perspektive wanken sehen. Das ist etwas, was eine ganze Reihe von Konsequenzen hat. Ich glaube, die lernen wir jetzt gerade erst.

Europa müsse lernen, "besser zusammenzuarbeiten"

Mein Wusch wäre, und dafür arbeitet auch meine Organisation, dass wir daraus lernen, noch besser zusammenzuarbeiten und noch stärker und intensiver den Schulterschluss zu suchen als Europäer. Aber man kann auch beobachten, dass diese Verwerfungen dazu führen, dass erstmal die Dinge stärker auseinandergehen und nicht zusammengehen und dass Menschen auch verunsichert sind in unseren Ländern, weil sie sich fragen: Also, was gilt denn jetzt überhaupt noch? Was hat denn überhaupt noch Bestand?
Wenn man in Deutschland mit einer solchen Geschwindigkeit die transatlantische Freundschaft so atemberaubend infrage gestellt sieht, das ist etwas, was Verunsicherung auslöst. Das muss die Politik auch erklären und auffangen und Antworten dafür bereitstellen. Wenn sie das nicht schafft, dann werden radikaleren Stimmen weiter Tür und Tor geöffnet.
Deutschlandfunk Kultur: Was gilt denn noch? Das ist meine zweite Beobachtung. Da sind wir zum Abschluss wieder beim Brexit. Wenn der Brexit denn jetzt wirklich kein echter Brexit, kein voller Brexit wird, sondern ein eher weicherer, also kein take back control, wie es die Mehrheit ja beschlossen hat – das waren die zentralen Slogans in der Kampagne damals, wie groß ist der demokratische Schaden - wenn die Erkenntnis reift, am Ende sind die Abhängigkeiten so groß, wir kommen da gar nicht raus?
Möller: Ich weiß gar nicht, ob nach dem jetzigen Modell sozusagen die Abhängigkeiten so groß wären. Die britische Bevölkerung ist das eine. Das andere ist die Tory-Partei, die – sagen wir mal – bestimmte Felder hat, wo sie eben wirklich nicht abrücken will – die Freizügigkeit, das wird immer so als Immigration betitelt, ist es aber eigentlich nicht dieses Recht auf Freizügigkeit im Binnenmarkt – und die Rolle des Europäischen Gerichtshofs.
Also, das müssen die Wähler letztlich entscheiden, was für sie da die roten Linien sind. Ich glaube, ehrlich gesagt, im Detail ist das auch für die Menschen in Großbritannien am Ende möglicherweise nachrangig, weil es darum gehen wird: Wie geht es diesem Land nach dem Brexit? Ich gehe davon aus, dass er stattfinden wird.
Natürlich wird man in irgendeiner Form zusammenarbeiten im Rahmen eines wie auch immer gearteten Freihandelsabkommens. Eine Teilmitgliedschaft im Binnenmarkt wird es nicht geben aus meiner Perspektive, aber da wird es Kooperationen geben. Das ist auch gut so. Und wenn die dafür sorgen können, dass die Briten wirtschaftlich nicht abschmieren, umso besser. Denn diese Perspektive, da auf dieser Insel so nah an Europa zu sein, aber eigentlich nirgendwo wirklich mehr an den Tischen dabei zu sitzen, ist eigentlich auch keine schöne, wenn man die mal so durchdenkt – bei allem, was auch an Kritik für die EU da ist.
Deutschlandfunk Kultur: Almut Möller, vielen Dank für das Gespräch.
Möller: Sehr gerne.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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