Politologin hofft auf neue Impulse durch G20-Treffen

Katharina Gnath im Gespräch mit Ute Welty · 05.09.2013
Die Welt blickt gebannt nach St. Petersburg, wo die Staats- und Regierungschefs der G20 über den Syrien-Konflikt beraten. Der informelle Charakter des Treffens könne sehr nützlich sein, meint die Politologin Katharina Gnath. Im Gegensatz zu den UN seien hier flexiblere Absprachen möglich.
Ute Welty: Wir haben schon darüber berichtet hier im Deutschlandradio Kultur – der G20-Gipfel in Sankt Petersburg ist ein besonders aktueller Gipfel wegen der Syrien-Frage. Es ist aber auch ein Jubiläumsgipfel. Seit fünf Jahren besteht dieser Zusammenschluss aus den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern. Es versammelt die geballte Wirtschaftsmacht dieser Welt. Und die kann einiges bewegen, was die ersten Gipfel bewiesen haben in der Reaktion auf die Finanzkrise, aber inzwischen scheint die Luft schon wieder raus zu sein.

Deswegen ist Jörg Asmussen nicht der einzige, der eine Reform der G20 fordert. Der Direktor der Europäischen Zentralbank schlägt zum Beispiel ein gemeinsames Sekretariat und weniger Arbeitsgruppen vor. Und auch die Politikwissenschaftlerin Katharina Gnath hat sich so ihre Gedanken gemacht. Sie leitet den Bereich europäische Wirtschaftspolitik bei der Stiftung Neue Verantwortung. Das ist eine Denkfabrik, die von Unternehmen wie Lanxess, Telekom oder Bosch finanziert wird. Guten Morgen, Frau Gnath!

Katharina Gnath: Guten Morgen, Frau Welty!

Welty: Sie betonen sehr den informellen Charakter der G20. Warum ist Ihnen das so wichtig?

Gnath: Formelle internationale Organisationen gibt es auf internationaler Ebene zuhauf. Da sind zum Allerersten die Vereinten Nationen. Das kennen wir, da gibt es teilweise ziemlich eingespielte Allianzen, ein sehr starkes Protokoll, eingeübte Schlagabtausche sozusagen. Und die G20 ist besonders, weil sie nämlich ohne großes Protokoll anfangen kann, flexibel auf Themen zu reagieren. Das heißt, die G20 hat ein Alleinstellungsmerkmal durch ihre Informalität in dem Zusammenspiel mit anderen internationalen Organisationen.

Welty: Würden sich da die Vorschläge des EZB-Direktors integrieren lassen, oder gehen die Ihrer Einschätzung nach in eine ganz andere Richtung?

Gnath: Also Herr Asmussen hat ja zwei Dinge gefordert. Einmal mehr Konzentration auf wichtige Themen, das würde konform gehen mit meinen Ideen, aber das Sekretariat, das im Übrigen auch schon von Präsident Sarkozy vor einigen Jahren gefordert wurde, eine eigene Organisation sozusagen für die G20, das wäre sehr schwer mit dem informellen Charakter zu vereinbaren, da die G20 sehr gesteuert ist von den einzelnen Mitgliedern. Und die Mitglieder dieses auch sehr schätzen.

Welty: Und das soll auch so bleiben?

Gnath: Und das soll auch so bleiben.

Welty: Es heißt ja, die G20 sind die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Lässt sich diese Unterscheidung anlässlich der Stärke der BRICS-Staaten überhaupt noch aufrechterhalten? Also der Stärke von Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika?

Gnath: Also wirtschaftlich wird das wahrscheinlich wirklich immer schwieriger, vor allem, wenn man jetzt fünf, zehn Jahre in die Zukunft guckt. Dann werden die BRICS-Staaten wirtschaftlich sehr mächtig sein. Politisch gesehen, gibt es die Unterscheidung immer noch, weil die Industrieländer weiterhin die großen internationalen Organisationen wie jetzt auch den IWF dominieren, und da ist der Zusammenschluss von Industrie- und Schwellenländern in der G20 doch ein Novum.

Welty: Der Vorsitz der G20 wechselt jedes Jahr, liegt jetzt in russischer Hand. Wie lässt sich vermeiden, dass dieser Vorsitz zu sehr für Eigeninteresse genutzt beziehungsweise ja schon missbraucht wird?

Gnath: Das ist in der Tat richtig. Es gibt einige Gipfel, bei denen innenpolitische Fragen den Gipfel oder die Gipfelagenda überlagert haben. Und der mexikanische Gipfel letztes Jahr mit den mexikanischen Wahlen war definitiv ein Beispiel. Was jetzt versucht wird, und das ist wahrscheinlich auch ein richtiger Ansatz, ist, Themen längerfristig auf die Agenda zu bekommen, indem, ähnlich wie in der Europäischen Union, die vorherige Präsidentschaft die aktuelle Präsidentschaft und die zukünftige Präsidentschaft enger zusammenarbeiten. Und da gibt es dann sozusagen auch einen Check, dass nicht nur innenpolitische Themen auf die Agenda kommen.

Welty: Und welche Themen sehen Sie da?

Gnath: Dazu gehören die langfristigen Themen, mit denen sich die G20 schon seit ihrer Gründung vor fünf Jahren beschäftigt. In der Finanzmarktregulierung, die sie zusammen mit anderen technischen Organisationen doch aber politisch maßgeblich vorantreibt. Das ist ein Thema, das wird uns auch noch die nächsten Jahre beschäftigen. Da geht es immer weiter, da liegt der Teufel wirklich im Detail.

Welty: Wie so oft, übrigens.

Gnath: Hm?

Welty: Wie so oft, übrigens.

Gnath: Ja, das stimmt. Ein anderes Thema ist die Frage nach Währungspolitik und globalen Ungleichgewichten. Auch hier wird die G20 in den nächsten Jahren weiter arbeiten müssen.

Welty: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die russische Agenda?

Gnath: Die russische Agenda ist recht kompakt und auch fokussiert auf wirtschaftliche Themen, das ist erst mal zu begrüßen. Bei dem Thema Investitionen-Finanzierung, das ist jetzt ein typisches Thema, was jetzt die Russen auf die Agenda gebracht haben, da würde ich mir noch mehr Fokussierung wünschen, um zu sehen, was der Mehrwert der G20 wirklich ist.

Welty: Washington und London gelten, wie gesagt, als erfolgreiche Gipfel. Braucht es solche Krisensituationen wie eben damals die Finanzkrise, damit die G20 funktioniert?

Gnath: In der Tat helfen Krisensituationen definitiv. Und das gilt übrigens nicht nur für die internationale, sondern auch für die nationale Ebene, das ist ein Übel unserer Politik im Allgemeinen. Aber die Krise hat natürlich sehr geholfen der G20 in den ersten Monaten und Jahren. Und jetzt gilt es, auch weiterzuarbeiten, auch wenn das schwieriger wird, und diese dicken Bretter weiter zu bohren, auch, wenn einem immer jetzt nicht die Krise unbedingt direkt im Nacken steht. Aber das muss die G20 jetzt schaffen.

Welty: Könnte die Syrien-Frage vielleicht jetzt dann doch den Gipfel in St. Petersburg ein bisschen voranbringen, ein bisschen treiben?

Gnath: Die Syrien-Frage steht definitiv jetzt im aktuellen Vordergrund der G20. Also die langfristige wirtschaftliche Agenda wird auch weiter behandelt werden, aber natürlich stehen auch vor allem bilaterale Treffen zwischen den Staats- und Regierungschefs ... stehen definitiv auf der Tagesordnung, wie wir das jetzt auch schon in den letzten Tagen haben angekündigt gesehen. So was, solche Momente, solche politischen Momente können natürlich solche Gipfel und Gruppen auch weiterbringen, weil man da möglicherweise Erfolge erzielt, die man anderweitig nicht erzielen kann.

Welty: Ja, ich meinte vielleicht auch so einen langfristigen Effekt, dass sich die Staats- und Regierungschefs dann sozusagen anschauen und sagen, boah, wir können ja doch was machen, wir können ja was entscheiden, wir können was gestalten. Lasst uns das auch in anderen Bereichen tun.

Gnath: Genau. Also ich denke, dass diese Aufmerksamkeit und das Engagement auch der Staats- und Regierungschefs und der Länder durch solche, wenn es denn jetzt einen Erfolg auf dem Gipfel gibt oder erfolgreiche Zwischenschritte in der Syrien-Frage, dass solche Erfolge auch durchaus die G20 tragen können.

Welty: Was kann, soll und muss die G20 zwischen den Gipfeln leisten?

Gnath: Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Die Gipfel sind natürlich nur die Spitze des Eisberges. Es passiert sehr, sehr viel Zwischenarbeit zwischen den einzelnen Gipfeln. Und die Staats- und Regierungschefs sind sozusagen das U-Boot, das ab und zu mal auftaucht, und dann sieht die Öffentlichkeit, was die G20 leistet. Die G20 arbeitet sehr viel auch auf Arbeitsebene und auf der Ebene der Minister. Und hier muss die G20, wie gesagt, diese dicken Bretter auch zwischen den Gipfeln immer weiter bohren, denn die Gipfel alleine, diese zwei Tage, können natürlich keine Politikveränderungen hervorbringen.

Welty: Und wie soll das funktionieren, ohne dass man dem vielleicht dann doch einen etwas formelleren Rahmen gibt?

Gnath: Also im Moment gibt es ja schon Arbeitsgruppen, die sind, die werden, die tagen regelmäßig, kontinuierlich, und werden geleitet von Mitgliedern. Und der Unterschied zu einem Sekretariat, wie jetzt Herr Asmussen es vorstellt, ist, dass diese Arbeitsgruppen von den Mitgliedern geleitet und organisiert werden. Und dieser Prozess, dieser mitgliedergesteuerte Prozess auf Arbeitsebene, der ist sehr zu begrüßen.

Welty: Richtig gemacht, kann die G20-Zusammenarbeit richtig was bringen, sagt die Politikwissenschaftlerin Katharina Gnath von der Stiftung Neue Verantwortung. Ich danke für dieses Gespräch hier in der Ortszeit!

Gnath: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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