Politologe zum Umfragetief

SPD wird nicht im Nirvana enden

Sie sehen das Logo der SPD, davor unscharf eine Person, die vorbeigeht.
Die SPD steht nicht allein gebeutelt da: Europaweit gehe es abwärts mit den großen Volksparteien, sagt Wolfgang Merkel. © picture-alliance / dpa / Fredrik Von Erichsen
Wolfgang Merkel im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.04.2016
Für die Sozialdemokraten könnte es schlechter kaum laufen: Umfragen sehen sie mittlerweile bei nur noch 19 Prozent. Die Partei müsse sich mehr um ihre Anhänger "im unteren Segment" der Gesellschaft kümmern, meint der Politologe Wolfgang Merkel.
Wenn die Partei das nicht schaffe, könnten diese Gruppen zu einer "ganz leichten Beute der Rechtspopulisten" werden: "Das wäre nicht nur schlecht für die SPD, sondern besonders schlecht auch für unsere Demokratie."

Höhere Steuern für Reiche, mehr Gerechtigkeit

Die Sozialdemokraten müssten ihr soziales und Gerechtigkeitsprofil wieder schärfen, sich um die von einem "Armutsdesaster" bedrohten Rentner kümmern sowie große Einkommen und produktive Unternehmen gerechter besteuern, fordert Merkel.
Mit ihrem Abwärtstrend sieht der Experte am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung die Partei indes als Teil einer europaweiten Entwicklung: "Es ist ein europäischer Trend, der allerdings die deutsche SPD massiv mittlerweile erfasst hat. Er wird nicht im Nirvana enden, aber auch der Traum zurückzukommen zu den alten Ergebnissen der 70er- und 80er-Jahre, ist eben ein Traum."

Auch Willy Brandt könnte den Niedergang nicht stoppen

Personell sieht der Politologe die SPD "nicht unbedingt dünner aufgestellt" als die CDU: "Ich glaube, (der Parteivorsitzende) Gabriel ist für diesen Job gegenwärtig fast konkurrenzlos in der Partei. Leicht hat er es nicht." Auch ein Willy Brandt, so Merkel, könnte "den Niedergang der Attraktivität solcher Allerweltsparteien" nicht stoppen.

Das Interview im Wortlaut:

Liane von Billerbeck: Die Ergebnisse der jüngsten Landtagswahlen und die darauf folgenden Umfragen, sie verheißen nichts Gutes für die SPD. Wird die Partei am Ende zerrieben zwischen einer sozialdemokratisierten CDU, den Grünen, der Linken und der AfD?
Die Partei erlebt ja in der Koalition erneut, dass sich solides Regieren irgendwie nicht lohnt. Es bringt weder Wählerstimmen noch Sympathien. Zudem wirkt sie personell ausgelaugt.
Was also tun, SPD? Vor den SPD-Parteitagen und -versammlungen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg am Wochenende will ich darüber jetzt mit Professor Wolfgang Merkel sprechen, dem Direktor der Abteilung Demokratie und Demokratisierung am Wissenschaftszentrum Berlin. Schönen guten Morgen!
Wolfgang Merkel: Guten Morgen, Frau von Billerbeck!
von Billerbeck: Ist der Abstieg der SPD in den Umfragen auf jetzt 19 Prozent – 19 – noch irgendwie rational erklärbar?

Europaweiter Bedeutungsverlust der Parteien

Merkel: Ja, er ist erklärbar. Es ist im Übrigen nicht nur ein Abstieg der deutschen Sozialdemokratie, das ist ein europaweiter Trend. Wenn Sie etwa nach Österreich schauen, das war immer das Mutterland solcher Volksparteien. Die Parteien sind dort mehr als halbiert worden. Also, es ist ein europäischer Trend, der allerdings die deutsche SPD massiv mittlerweile erfasst hat. Er wird nicht im Nirwana enden, aber auch der Traum, zurückzukommen zu den alten Ergebnissen der 70er- und 80er-Jahre ist eben ein Traum.
von Billerbeck: Das heißt, die Zeiten, wo 30 Prozent oder mehr die SPD wählen, die sind endgültig vorbei?
Merkel: Endgültig ist immer etwas problematisch zu sagen, wenn man in die Zukunft blickt. Aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie wieder über diese 30 Prozent kommt. Besonders unwahrscheinlich dürfte das sein für die nächsten Bundestagswahlen im nächsten Jahr.
von Billerbeck: Die SPD, so kann man es ja sagen, da schlagen zwei Seelen in der Brust dieser Partei. Es gibt die einen, die durch die Welt jetten, und es gibt die anderen, die etwas anderes wollen. Wie bringt man denn diese beiden Pole zusammen in der SPD, die alten und die neuen?

SPD muss offenes Ohr für untere Schichten haben

Merkel: So richtig zusammenbringen wird man die nicht. Man muss eine Basis für ein friedliches Zusammenleben schaffen, und der Parteivorsitzende Gabriel hat das mit einem Spruch von Willy Brandt versucht zu skizzieren, dass die SPD die Partei des "donnernden Sowohl-als-auch" ist. Wir nennen diese zwei Seelen, die nicht nur in der Partei gemeinsam schlagen, sondern fast in jedem einzelnen dieser Parteimitglieder und manchmal auch der Wähler.
Wir nennen die einen Kosmopoliten, die sind offen zur Welt. Der Bezugspunkt ist nicht mehr das Deutschland, die deutschen Wähler, Bürgerinnen und Bürger, sondern großartig formuliert, die Welt an sich. Also, wir haben Verantwortung für Flüchtlinge, wir haben Verantwortung für den Klimawandel. Wir müssen offene Grenzen haben. Das sind die gebildeten Mittelschichten, könnte man sagen, die Globalisierungsgewinner.
Aber die SPD hat andere Traditionen auch. Sie hat Traditionen in dem unteren Segment unserer Gesellschaft, den weniger Gebildeten, die eben nicht Frequent Flyer sind, durch die Welt jetten, also muss sie für deren Sorgen ein offeneres Ohr haben, als sie das möglicherweise in den letzten Jahren gehabt hat.
Wenn sie das nicht schafft, wenn sie diese Gruppen nicht richtig für sich ansprechen kann, können diese Gruppen zu einer ganz leichten Beute der Rechtspopulisten werden. Das wäre nicht nur schlecht für die SPD, sondern besonders schlecht auch für unsere Demokratie.
von Billerbeck: Bekanntlich kommt es in der Politik ja auch immer wieder stark auf Personen an. Das hat man bei den Landtagswahlen erlebt – Winfried Kretschmann von Bündnis90/Die Grünen oder Malu Dreyer. Aber das sind eben Landespolitiker. Wie ist denn die SPD personell aufgestellt, wenn es um die Bundesebene geht?

Auch eine Lichtgestalt könnte den Trend nicht stoppen

Merkel: Na ja, ich würde sagen, sie ist nicht unbedingt dünner aufgestellt, als ich das heute bei der CDU beobachte, wo es Frau Merkel gibt, die Kanzlerin, und Herrn Schäuble, den Finanzminister. Die stechen hervor.
Bei der SPD könnte man sagen, der Außenminister, seit Monaten der beliebteste Politiker, hat ein seriöses, überragendes und attraktives Profil, dürfte aber vielleicht etwas zu nachgiebig sein für eine Partei, die gegenwärtig sehr stark von auseinanderstrebenden Tendenzen geprägt ist.
Aber wir dürfen nicht vergessen: Selbst ein Willy Brandt, sozusagen die Lichtgestalt der Sozialdemokratie, dürfte diesen Trend, von dem ich gesprochen habe, den Niedergang der Attraktivität solcher Allerweltsparteien, wie man Volksparteien auch nennen kann, dürfte diesen auch nicht stoppen. Ich glaube, Gabriel ist für diesen Job gegenwärtig fast konkurrenzlos in der Partei. Leicht hat er's nicht.
von Billerbeck: Also für die SPD: Du hast keine Chance, nutze sie?
Merkel: Ungefähr. Das ist der alte Spruch, ich glaube, des Regisseurs Achternbusch in den 70er- und 80er-Jahren gewesen. Sie haben eine Chance, aber die Chance muss jetzt stärker ergriffen werden. Sie müssen – und ich beobachte so etwas in Anfängen – wieder stärker ihr soziales Profil, ihr Gerechtigkeitsprofil schärfen. Sie müssen nicht nur an die Rentner rangehen, denn hier droht ein Armutsdesaster in der Zukunft, sondern sie müssen auch mittlerweile wagen, die großen Einkommen in unserer Gesellschaft und aber auch die produktiven Unternehmen gerechter zu besteuern.
von Billerbeck: Einschätzungen von Wolfgang Merkel über die Lage der SPD und wie sie sich da wieder rausmanövrieren könnte. Ich danke Ihnen!
Merkel: Ich danke Ihnen auch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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