Politischer Paukenschlag

Von Matthias Rumpf · 12.04.2007
Kurz nach dem NATO-Beitritt der Bundesrepublik im Jahr 1955 stellte sich die Frage nach einer atomaren Bewaffnung der Bundeswehr. Doch nachdem Kanzler Konrad Adenauer zum ersten Mal öffentlich den Anspruch der Bundesrepublik auf Atomwaffen begründet hatte, wandten sich 18 deutsche Atomwissenschaftler am 12. April 1957 im Göttinger Manifest entschieden dagegen.
"Heute kann eine taktische Atombombe eine kleinere Stadt zerstören, eine Wasserstoffbombe aber einen Landstrich von der Größe des Ruhrgebietes zeitweilig unbewohnbar machen. Durch Verbreitung von Radioaktivität könnte man mit Wasserstoffbomben die Bevölkerung der Bundesrepublik wahrscheinlich schon heute ausrotten."

Es war ein politischer Paukenschlag, der am 12. April 1957 durch die Republik hallte. Otto Hahn, Werner Heisenberg, Carl Friedrich von Weizsäcker und 15 weitere Atomforscher meldeten sich aus Göttingen mit einer Erklärung zu Wort, die eindringlich vor den verheerenden Folgen eines Atomkriegs warnte. Gleichzeitig erklärten die Wissenschaftler, dass sie sich nicht an Forschungen zum Bau von Atombomben beteiligen wollten.

"Für ein kleines Land wie die Bundesrepublik glauben wir, dass es sich heute noch am besten schützt und den Weltfrieden noch am ehesten fördert, wenn es ausdrücklich und freiwillig auf den Besitz von Atomwaffen jeder Art verzichtet. Jedenfalls wäre keiner der Unterzeichnenden bereit, sich an der Herstellung, der Erprobung oder dem Einsatz von Atomwaffen in irgendeiner Weise zu beteiligen."

Für die Bundesregierung von Konrad Adenauer kam diese Erklärung mehr als ungelegen. Bereits Stunden später sah sich der Kanzler genötigt, die Forderung der Wissenschaftler kategorisch zurückzuweisen.

"Es ist dies eine Erklärung, die rein außenpolitischer und militärpolitischer Natur ist und zu deren Beurteilung man eben doch Kenntnisse haben muss, die auch diesen Herren nicht gegeben sind."

Grund für den scharfen Ton war, dass Adenauer und sein Verteidigungsminister Franz Josef Strauß gerade versuchten, die Ausstattung der Bundeswehr mit Atomwaffen salonfähig zu machen.

"Taktische Atomwaffen sind eine Weiterentwicklung der Artillerie, und es ist ganz selbstverständlich, dass wir nicht darauf verzichten können,"

hatte der Kanzler eine Woche zuvor am 5. April 1957 auf einer Pressekonferenz mitgeteilt. Die USA und Großbritannien setzten bereits auf Atombomben als preisgünstige und effiziente Waffen, um dem konventionell stark überlegenen Warschauer Pakt Paroli zu bieten. Adenauer glaubte, dass die Bundesrepublik trotz Wiederbewaffnung und einem Heer von 500.000 Mann ohne Atomwaffen kaum Einfluss auf die militärischen Entscheidungen der Westmächte haben würde.

"Wenn die ganzen NATO-Truppen mit nuklearen Waffen versehen sind, aber nicht die deutschen, dann sind die deutschen Truppen nichts anderes wie Futter für den Gegner,"

sagte der Kanzler in der Unionsbundestagsfraktion. Die 18 Göttinger Wissenschaftler fürchteten hingegen, dass die Ausstattung der Bundesrepublik mit Atomwaffen zu einer nicht mehr zu kontrollierenden Proliferation führen würde. Auch die SPD-Opposition argumentierte in diese Richtung. Fritz Erler, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende, in einer Atomdebatte im Bundestag 1957:

"Die Hoffnung auf ein Zustandekommen einer ernsthaften Abrüstungsvereinbarung, die besteht nur so lange, solange man nicht allgemein die Atomwaffen über den Erdball verteilt hat."

Für Adenauer war mit dem Aufruf der Wissenschaftler und dem Widerstand der Opposition eine atomare Bewaffnung der Bundeswehr nicht mehr durchzusetzen, sehr zur Freude auch der anderen europäischen NATO-Staaten, die ebenfalls kein Interesse an einer atomaren Bewaffnung der Bundesrepublik hatten. Der Kanzler konnte den Partnern lediglich die Erlaubnis zur friedlichen Nutzung der Kernenergie abringen, einschließlich der Anreicherung von Uran. Damit hatte Bonn zumindest die Option, eigene Kernwaffen herzustellen. Dies wusste man auch innerhalb der SPD zu schätzen. Helmut Schmidt 1968:

"Ich glaube, dass die Bundesrepublik sich nicht vollständig abhängig machen darf von der Funktionstüchtigkeit einer Allianz, die in einem langsamen Verflachungsprozess begriffen ist. In diesem Zusammenhang möchte ich betonen, dass unsere Verteidigungsanstrengungen auch das Prinzip der bargaining power mit einschließen müssen, denn wenn wir all Pfänder aus der Hand gäben, könnten wir eines bösen Tages zum Handel nicht mehr fähig sein, weil uns die Handelsobjekte fehlen."

Im November 1969 verzichtete die Bundesrepublik mit dem Beitritt zum Atomwaffensperrvertrag auf eigene Kernwaffen. Indirekt hatten die USA ihrem Verbündeten da allerdings schon eine Mitsprache durch die so genannte nukleare Teilhabe eingeräumt. Unter der Obhut der US-Armee wurden in der Bundesrepublik Atomwaffen gelagert, die nach Freigabe durch den US-Präsidenten von deutschen Trägersystemen ins Ziel gebracht werden sollten. Diese Regelung besteht bis heute.
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