Politischer Folk und Pop

Musiker machen Stimmung gegen Trump

Lady Gaga mit ihren Tänzern: Andeutungsweise politisch
In der Halbzeit des Super Bowl im Februar rief Lady Gaga zu Toleranz und Einheit auf, sang dann "This Land Is Your Land" von Woody Guthrie. © picture alliance / dpa / Patrick Semansky
Von Michael Groth  · 17.05.2017
Das politische Lied erwacht wieder in den USA. Lang war es still nach den Hochzeiten der Protestsongs in den 60er- und 70er-Jahren. Beim Branchentreff der Folk-Szene in Kansas City erleben die alten Helden ein Comeback. Und neue werden gesucht.
"Ein Lied ist immer besser als ein Gespräch oder Wörter. Wenn man singen kann, soll man singen."
Susan Werner - Folk-Musikerin aus Chicago - hat schon gegen die Kriegspolitik George W. Bushs protestiert, sie hat die Not der Landwirte auf einem Album thematisiert. Nun nimmt sie sich Trump und seine Nähe zu Putin vor in ihrem Beatles-Cover "Back in the U.S.S.R."
Ihr Auftritt bei der "Folk Alliance" Anfang des Jahres in Kansas City war kein Einzelfall. Viele Diskussionen und Auftritte drehten sich um den neuen US-Präsidenten. Das jährliche Treffen im Süden der USA ist eine Mischung aus Festival und Konferenz. Die Organisatoren sprechen vom größten Zusammenkommen von Folk-Musikern und Fans weltweit. Gegründet 1989 als lockeres Folkie-Treffen, dauert die Veranstaltung mit rund 1.000 Musikern in einem großen Hotel in im US-Bundesstaat Missouri inzwischen fünf Tage. In diesem Jahr trug sie das Motto: "Forbidden Folk" - was sich vielleicht übersetzen lässt als "unerlaubte Volkslieder" - ein Titel, der schon vor der Wahl von Donald Trump ausgewählt wurde.
Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kansas City (Missouri)
Donald Trump bei einer Wahlkampfveranstaltung in Kansas City (Missouri) 2016. Rund 57 Prozent haben ihn anschließend in diesem Bundesstaat gewählt.© imago stock & people
Ursprünglich sollte das Motto an die Protestbewegung der 60er und 70er Jahre erinnern, als es um Bürgerrechte für Afro-Amerikaner und den Kampf gegen den Vietnamkrieg ging.
Der Einzug Trumps ins Weiße Haus rückt diese geplanten Themen allerdings in den Hintergrund. Auf den Fluren, in Diskussionsforen, manchmal auch auf der Bühne heißt es jetzt: "Was können wir gegen diesen Mann unternehmen?"
Die Antwort von Ken Paulson ist klar. Der ehemalige Chefredaktuer der Zeitung "USA Today" und heutige Dean der Medienfakultät an der Middle Tennessee State University will den ersten Verfassungszusatz verteidigen. Vor allem die dort erwähnte Meinungsfreiheit ist ein Herzensthema von Paulsen. In seiner Funktion als Präsident des "First Amendment Center", einer am Washingtoner "Newseum" angedockten Institution, veranstaltet er "Freedom Sings"-Shows, in denen Liedermacher an Schulen und Universitäten auftreten. Seit 16 Jahren will er so den Jüngeren amerikanische Geschichte über die Musik näher bringen und was Songs bewirken können.
"Das Lied 'This Land Is Your Land' kennt Jeder. Vielleicht nicht jedes Wort, aber sicher den Geist, in dem der Text geschrieben wurde. Es führt ein Weg von über Tom Paxton und Phil Ochs bis zu Bob Dylan."
Der amerikanische Singer-Songwriter Woody Guthrie 
Der amerikanische Singer-Songwriter Woody Wilson Guthrie (1912-1967) schrieb 1940 nach einer USA-Reise seinen wohl bekanntesten Song "This Land Is Your Land".© imago/United Archives International
"Die meisten Studenten haben von Woody Guthrie, Bob Dylan oder Neil Young nie etwas gehört. Für die ist das etwas Neues. Wir erzählen Ihnen, wie im Mai 1970 an der Kent State Universität in Ohio vier Studenten von der Nationalgarde erschossen wurden. Für Leute in meinem Alter war dies einer der furchtbarsten Tage unserer Geschichte. Die jungen Leute haben keine Ahnung, was damals passierte. Neil Young fasste die Tragödie in Worte als er den Song "Ohio" schrieb. Wenn wir den Studenten den Song dann vorspielen, haben wir ihre volle Aufmerksamkeit."

Das politische Lied verlässt wieder die Nische

Auch der 73 Jahre alte Liedermacher Si Kahn gehört zu den Veteranen der Polit-Songs in den USA. Der Sohn eines Rabbis kämpfte in den sechziger Jahren für die Rechte der Schwarzen. Auf dem Festival in Kansas City gibt er jetzt seine Erfahrungen an eine neue Musikergeneration weiter. Das politische Lied, sagt Kahn, sei nach dem Ende des Vietnamkrieges nicht verschwunden. Verschwunden ist die große Bühne – geblieben sind Nischen.
"Die Proteste beziehen sich meist auf spezielle ethnisch oder geographisch definierte Anliegen. Die Demonstrationen der mexikanischen Landarbeiter um Cesar Chavez sind ein Beispiel dafür. Damals kämpften Latinos für ihre Rechte, den Rest der Bevölkerung hat das nicht besonders interessiert. Gleiches findet man, wenn es um den Umweltschutz oder die Bürgerrechte geht. Die Betroffenen haben ihre ganz eigene Agenda."
Die Nischen würden jetzt durch Trump wieder verlassen, so Kahn. Denn wer die Menschen erreichen will, müsse die Botschaft auch so präsentieren, wie sie ein großes Publikum erwarte.
"Aus politischen Krisen wachsen politische Songs. Der Anstieg eines autoritär gesteuerten Populismus in den USA, in England, in Ungarn und in Frankreich – das sind Herausforderungen für uns. Ich merke, dass auch die Musikindustrie ein Gefühl dafür bekommt, dass hier ein Bedürfnis des Widerstandes bedient werden kann. Das hängt mit der breiten Opposition gegenüber der neuen Regierung zusammen. Es ist wieder möglich, politische Aussagen auf der Bühne zu machen. Die Proteste, die wir derzeit gegen die neue autoritäre Regierung hören, sind wundervoll."

Trump gefährde die Meinungsfreiheit

Zur Opposition gegenüber dem neuen US-Präsidenten zählt auch Ken Paulsen. Der First-Amendment-Aktivist sieht durch Donald Trump die garantierte Meinungsfreiheit gefährdet, wenn dieser z. B. twittert, dass ein US-Bürger die Staatsangehörigkeit verlieren solle, wenn er die US-Flagge verbrenne. Ein Gerichtsurteil legte schon 1989 fest, dass sei eine legitime Meinungsäußerung. Trump versuche, so Ken Paulsen, einen wichtigen Pfeiler der amerikanischen Verfassung zu zerstören, wenn er unabhängige Nachrichten als böswillige Unterstellungen bezeichne und seine eigene mediale Gegenwelt bekräftige.
"Der erste Zusatzartikel unserer Verfassung hat nur 45 Worte – die gelten seit 1791. Und nun wird ihnen widersprochen. Wir wissen aus Umfragen, das viele Amerikaner gar nicht wissen, worum es beim ersten Zusatzartikel geht. Wir werben dafür, dass der Verfassungszusatz gültig bleibt. Das geschieht u. a. mit Konzerten. Das unser Büro in Nashville ist, ist ein glücklicher Zufall. Einmal im Jahr veranstalten wir in einem bekannten Klub ein Konzert mit politischen Liedern. Manchmal nehmen wir uns dabei ein Thema vor: die Nixon-Jahre zum Beispiel, oder die Umweltbewegung."
In den Radioshows der Country-Sender kommt Donald nicht vor. Dieses Genre, sagt Peter Cooper, Musiker und Autor aus Nashville, war nie politisch – von einigen Ausnahmen abgesehen.
"Countrymusic hat immer mal wieder den Soundtrack für unsere Zeitläufte geschrieben. Hank Williams hat sich zum Zweiten Weltkrieg geäußert, Johnny Cash hat gegen den Vietnamkrieg protestiert. Tom T. Hall ergriff Partei, wenn es um Bürgerrechte ging. Leider hat dies abgenommen. Der letzte politische Countrysong, an den ich mich erinnere, war Brad Paisley, der mit 'Welcome to the future' unseren ersten afro-amerikanischen Präsidenten feierte."
Der US-Sänger Brad Paisley (zusammen mit Carry Unterwood)
Der US-Sänger Brad Paisley zusammen mit Carry Unterwood auf der Bühne.© picture alliance / dpa / Paul Buck
Spook Handy, Liedermacher aus New Jersey, war mit einer Botschaft in Kansas City. "Pete, Woody an Me – Keeping the Flame alive" heißt die Mission des Mannes, der zwischen 2003 und 2013 zur Band von Pete Seeger gehörte.
"Die Flamme nicht ausgehen lassen", bedeutet für ihn auch das Gespräch mit Andersdenkenden, ein friedlicher, respektvoller Austausch, der in den USA durch die Wahl von Donald Trump noch seltener geworden sei.
"Musik spiegelt unsere Werte. Ob es uns gefällt oder nicht. Ob Du ein Fußballspiel besuchst, einen Nähkreis, einen Buchklub oder ein Festival, du wirst Leute finden, die sich für die gleiche Dinge interessieren wie Du selbst. Darauf müssen wir uns konzentrieren. Ich bin Mitglied einer Laufgemeinschaft. Einige meiner Freunde dort haben Donald Trump gewählt – aber wir reden miteinander ohne uns zu bekämpfen, auch über Politik."
Neben Spook Handy sitzen auf einem Podium in Kansas City: die Musiker Telisha und Doug Williams aus Nashville. Auch Sie machen sich Gedanken, wie Musiker auf die neue politische Realität reagieren können.
"Wir müssen ein ehrliches Gespräch führen. Wir haben ja ähnliche Wertvorstellungen. Wir wollen zufrieden sein, gesund, wir wollen ein gutes Leben führen. In unseren Shows reden wir über diese Themen. Eines unserer Lieder heißt 'Unplug the machine'. Es geht um diese Soundbytes, diese Kurzbotschaften, die wir voneinander erhalten ohne uns zu verstehen. Es wäre besser, wenn wir diese Maschine abstellen und miteinander reden würden."

Konkretes Handeln ist gefragt

Auf der Bühne nennen sich Telisha und Doug Williams "The Wild Ponies". Empörung nutze wenig, sagte Doug, wenn sie nicht von konkreten Aktionen begleitet werde.
"Ich bin wütend – obwohl das nichts bringt. Ich möchte meine Wut in Handeln umsetzen. Wer sich nur aufregt, der ändert ja nichts. In unseren Städten gibt es Obdachlose, es gibt Menschen, die Hunger haben und kaum Kleidung. Da kann man helfen. Wenn Du diese Leute triffst, die direkt davon betroffen sind, was in diesem Land passiert, das öffnet Dir die Augen."
Konkretes Handeln fordert auch Ken Paulson – der Journalist und Aktivist für den ersten Verfassungszusatz – von jungen Folkmusikern ein. Sie müssten jetzt handeln und Songs über die gegenwärtige politische Lage mit längerer Halbwertszeit schaffen, als es die Tagespolitik besitzt.
"Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind politische Reden zwanzig Minuten nachdem sie gehalten wurden vergessen. Wenn Sie eine Rede in ein Dreiminuten-Lied packen, und wenn dieses Lied dann in der ganzen Welt vom Publikum mitgesungen wird – das bleibt."
"Politische Lieder bewegen die Menschen. Die Lieder, die wir heute noch singen, sind in der Regel Jahrzehnte alt. Ich wünschte mir eine neue Generation von Singer/Songwritern, die angesichts der Wahl im November über die aktuelle Lage schreiben. Ich denke, es wird so kommen."
Der britische Protestsänger Billy Bragg erinnert als Hauptredner des Folks-Treffens in Kansas City das Publikum an die eigene Verantwortung. Es sei Zeit, dass eine neue Generation voran gehe.
Der Musiker Billy Bragg mit einer Gitarre. 
Der britische Musiker Billy Bragg mit einer Gitarre. © picture alliance / dpa / PA Zak Hussein
Sein Kollege Si Kahn sieht das ebenso. Er verband seinen Appell mit der Mahnung, die großen Vorbilder nicht zu vergessen.
"Beyonce hat bei der Grammy-Verleihung hochpolitische Worte gefunden. In Zeiten wie diesen reicht es nicht, wenn der Protest ausschließlich von einer kleinen Gruppe von Folk-Musikern artikuliert wird. Wir brauchen ein größeres Publikum. Wir sollten es uns nicht in Gedanken an unsere Helden bequem machen. Pete Seeger, Guthrie und Leadbelly waren Aktivisten, sie haben sich alle politisch engagiert. Wir müssen ihrem Beispiel folgen. Damals wie heute versuchte man, kritische Stimmen zu unterdrücken, damals wie heute ist von tausendfachen Deportationen die Rede. Joe Hill wurde erschossen – ein Liedermacher, der es wagte, eine unbequeme Position zu vertreten – erschossen in einem Gefängnis in Utah. Er und die Anderen gingen weit größere Risiken ein, als wir heutzutage."
Grant Peebles - Musiker aus Florida - bekräftigt die Bedeutung von Vorbildern: zum Beispiel von Woody Guthrie.
"Er hat Geschichten über blinde Passagiere in Frachtzügen erzählt. Über die Landflucht nach den Wüstenstürmen. Darunter kann sich Jeder etwas vorstellen. Dazu musst Du nicht studieren. Ich hoffe, dass junge Singer/Songwriter sich daran ein Beispiel nehmen. Vorbilder gibt es ja genug. Dabei mag ich es nicht, wenn sich die Leute als Protestsänger" bezeichnen. Einfach nur etwas raus zu lassen, ist nicht genug. Dylan, Woody und die anderen haben ihre Anliegen immer in einem Kontext vorgetragen, der weit über die Sache herausragt."

Songs für den Erhalt der Bristol Bay

Ähnliches hat auch Liedermacher Si Khan getan. Ihm liegt die Bristol Bay in Alaska am Herzen. Sie verfügt über eines der größten Fischvorkommen der Welt. Aber an der Quelle des Flusses, der in die Bucht mündet, soll, wenn es nach Donald Trump und seinen Freunden geht, eine riesige Abbauhalde für Gold und Kupfer entstehen. Umweltschützer fürchten für Bristol Bay das Schlimmste.
Si Kahn machte das, was er am Besten kann. Er schrieb einen Song für Bristol Bay. Gemeinsam mit Kollegen produzierte er eine CD, in der es um die Rettung der bislang unberührten Natur dort geht. Und die Sache geht weiter.
"Alle machen unentgeltlich mit. Mehr als 90 Musiker haben Songs über Bristol Bay geschrieben. Wir geben Konzerte, wir haben eine Website. Es geht um Kommunikation und es geht um Mobilisierung. Wir fordern die Leute auf, bei der nationalen Umweltbehörde gegen das Vorhaben zu protestieren. Uns geht es um Gemeinsamkeit. Wenn wir unseren individualistischen Weg verlassen, erreichen wir mehr."

Die Protestbühne gehört den Linken

Und die Konkurrenz von der andere Seite des politischen Spektrums? Kommt zwar vor, sagte Ken Paulson vom First Amendment Center in Nashville, aber sie spiele kaum eine Rolle.
"Es gibt durchaus Künstler, die konservative Menschen ansprechen. In unseren Shows covern wir das ganze Spektrum, von links bis rechts. Die konservativen Liedermacher konzentrieren sich auf historische Themen – 'Okie from Muskogee' und 'The fighting side of me' von Merle Haggard gehören zum Repertoire ebenso wie patriotische Hymnen. Aber das bleiben Ausnahmen. Die Protestbühne gehört der Linken."
Die Liedermacherin Susan Werner hat ihrem Song "My Strange Nation", in dem es um die politischen Verfehlungen der USA geht, eine neue Strophe hinzugefügt. Darin verweist Susan Werner auf die Absagen vieler prominenter Künstler, die die Amtseinführung von Trump musikalisch begleiten sollten. Das Momentum liege heute wieder bei Denen, die protestierten.
"Das ist ein Unterschied zwischen rechts und links. Die politische Rechte schreibt keine Lieder. Wir können das. Und wir haben auch die Comedians. Wir brauchen diese Waffen. Und wir benutzen sie. Hoffentlich wächst dadurch unsere Energie. Es ist eine goldene Zeit für Humor und Kunst in diesem Moment."
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