Politikberaterin: Wulff hat Amt unterschätzt

Moderation: Ute Welty · 03.01.2012
Bundespräsident Christian Wulff habe bei seinem "Missmanagement" mehr an seinen persönlichen Vorteil gedacht als an sein Amt, kritisiert Gertrud Höhler. "Und dann muss das danebengehen", so die Medienexpertin. Die Presse insgesamt habe in der Affäre bisher "großartig" agiert.
Ute Welty: Es gibt Anrufe, die bedauert man, da hat man noch nicht aufgelegt. Den in der Silvesternacht beim Ex zum Beispiel oder den beim zuständigen Finanzbeamten, weil der den Karibikurlaub partout nicht als Fortbildung anerkennen will, oder den bei "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann, um Berichterstattung zu verhindern – so geschehen im Fall des Bundespräsidenten. Davon gewusst haben dann unter anderem die "Süddeutsche Zeitung" und die "Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung". Stellt sich die Frage, wie die an Informationen von der Mailbox des "Bild"-Chefredakteurs kommen. All das können wir jetzt besprechen mit der Politikberaterin Gertrud Höhler. Guten Morgen!

Gertrud Höhler: Guten Morgen!

Welty: Wäre Bundespräsident Christian Wulff Ihr Klient, hätten Sie ihm das Handy weggenommen?

Höhler: Na ja, also schon lange, bevor das anstand, hätte ich ihm anderes geraten in seinem Gesamtverhalten zu seinem Kredit. Und dass er dieses Bauernopfer gebracht hat mit dem Herrn Glaeseker, das zeigt ja auch, dass da offenbar eine Unstimmigkeit war. Ich könnte mir denken, dass der Klient nicht gehorchen wollte, und damit musste dann der Berater raus.

Welty: Was hätten Sie ihm denn geraten?

Höhler: Ich hätte ihm von Anfang an zu einer brutalen, offensiven Offenheit geraten, und nicht zu Pfuschereien und Tricksereien mit Daten – festgeschrieben und so weiter –, also dann auch ein Latein, das noch nicht mal in die Finanzwelt gehört. Offenheit bewegt die Deutschen. Wenn ich wirklich mich als Sünder offenbare, dann werde ich wieder angenommen.

Welty: Aber lassen Sie uns doch mal bei diesem Anruf bleiben. Wie sehr hat sich Wulff damit und auch dem Amt geschadet?

Höhler: Ja, er hat sich noch massiver geschadet als in den Wochen zuvor. Denn es ist ja so, die sogenannte vierte Gewalt, die Presse, ist einerseits ein Unterstützer und Helfer und Verstärker von positiven, aber auch von negativen Nachrichten. Das bedeutet, die Presse ist ein Kooperationspartner der Politiker. Und was bei Wulff passiert ist, ist ganz simpel zu beschreiben: Er hat gedacht, als Politiker und dann als erster Mann im Staate habe ich Macht über die Presse. Und wenn ich die größte Macht in der Presse, nämlich Springer, bedrohe mit einem endgültigen Bruch unserer Beziehung, dann werden die gehorchen. Und dies ist ein folgenschwerer Irrtum.

Welty: Wie kommt er überhaupt zu dieser Annahme?

Höhler: Er kommt zu der Annahme, weil die Politiker auch gewöhnt sind, ihre Macht auszuspielen, indem sie Politiker ranlassen oder nicht, mitnehmen oder nicht. Wir wissen das auch von der Kanzlerin: Wer negativ schreibt, fliegt beim nächsten Mal nicht mit.

Welty: Das heißt, welche Möglichkeiten hätte ein Berater oder ein Pressesprecher in einer solchen Situation gehabt, um zu verhindern, dass das Staatsoberhaupt selber zum Telefon greift?

Höhler: Ja, nun fürchte ich, das hätte der keinem Berater gesagt. Der ist ja da irgendwo ausgebüxt bei einem Termin und hat dann angefangen zu telefonieren. Und immer, wenn jemand, der in Panik ist, eigenmächtig etwas tut, dann geht es daneben. Und dann kommt dazu, dass er offenbar jedes Maß verloren hat in der Beurteilung von konstruktiven und destruktiven Handlungen. Dies war eine destruktive, eine selbstzerstörerische Handlung.

Welty: Ist nicht auch der Umkehrschluss möglich, dass er vorher schlecht beraten war?

Höhler: Wir können das nicht wissen, und das spekulieren hat wenig Sinn. Ich kann nur sagen, wenn ich über meinen Kredit Auskünfte gebe, dann gebe ich vollständige Auskünfte, vor allem, wenn sofort – und das wusste er – mein Amt auf dem Spiel steht. Das heißt, er hat – das müssen wir mal sagen! –, von einer moralfrei agierenden Kanzlerin ins Amt gehoben, dieses Amt unterschätzt. Er hat an seine persönliche Karriere auch bei seinem Missmanagement mehr gedacht als an das Amt. Und dann muss das danebengehen, weil dabei das Amt dann besonders schwer beschädigt wird.

Welty: Wulff ist nach wie vor im Amt, sein Pressesprecher Glaeseker nicht mehr. Gegen den wird nicht ermittelt, aber es wird der Verdacht der Vorteilsnahme im Amt überprüft. Was sagt uns das über das Verhältnis?

Höhler: Ja, das sind ja gleiche Aktionen. Der hat feste mitgemacht, der hat sich einladen lassen von Manfred Schmidt, einem großen Eventmanager. Und es sind die gleichen Sachen, die Wulff auch gemacht hat, und es heißt ja, in seinem Auftrag sei Glaeseker da gewesen, um die Verbindung warmzuhalten. Also ich halte das für harmlos, wenn jetzt gesagt wird, gegen ihn wird ermittelt. Er hat im Geiste seines Herrn gehandelt. Und darum ist es wirklich ein Bauernopfer.

Welty: Jetzt hat ja "Bild"-Chefredakteur Diekmann zunächst über diesen Anruf geschwiegen, tagelang, um nicht zu sagen wochenlang und ihn jetzt erst bestätigt – just in dem Moment, wo sich die Gemüter ein wenig beruhigt hätten –, da mag man ja auch kaum an einen Zufall glauben.

Höhler: Ja, nicht nur das. Er hat über Bande gespielt. Und das fand ich wieder sehr klug von "Bild". Er hat ja selbst das niemals veröffentlicht. Das heißt, die "Frankfurter Sonntagszeitung" schreibt, die "Süddeutsche" schreibt – wir kennen die Quellen nicht, wir dürfen nur sicher sein: Alles, was du machst, kommt raus! Und das hätte Wulf auch wissen müssen. Das heißt, "Bild" hat erst bestätigt, nachdem andere aus anderen Häusern darüber geschrieben hatten. Hier ist auch eine Diskretionsleistung zu bestaunen, denn die haben ja die ganze Zeit mit diesem Wissen gelebt. Nun kann man sagen: Wie berechnend, die haben das aufgespart, die haben ja auch noch ein Dossier über die Gattin, wann sie das öffnen, wissen wir nicht. Aber wir müssen sagen, wenn denn Wulff ein Taktiker war, ein kalkulierender Partner in dieser Auseinandersetzung, dann war das die Presse auch.

Welty: Das heißt, die "Bild"-Zeitung instrumentalisiert die "Süddeutsche" und die "Sonntagszeitung" an dieser Stelle?

Höhler: Das wissen wir nicht, wir wissen es nicht. Ich kann nur sagen, es wird so viel geredet, das sind ja Branchen, die leben vom Reden. Die Leute sitzen in Berlin jede halbe Nacht zusammen und reden, reden mit anderen, reden mit Gegnern – und wir können das nicht wissen. Ich möchte solche Vermutungen nicht aussprechen, wie sich das bewegt hat. Es hat sich bewegt, und man darf immer sicher sein, dass das so ist. Ich kenne ja nun auch die Handynummer von Herrn Diekmann, ich würde ihm nie auf die Mailbox sprechen, weder empfindliche noch weniger empfindliche Sachen, weil ich immer denke, wenn ich Diekmann sprechen will – ich kriege ihn. Und hier müssen wir uns fragen, warum hat der den Diekmann nicht erreicht, als erster Mann im Staate? Da fängt das doch an.

Welty: Aber wir können doch davon ausgehen, dass die Mailbox von Kai Diekmann ausschließlich Kai Diekmann abhört?

Höhler: Wissen wir doch nicht. Kann ja auch sein. Aber finden Sie nicht, dass ein solcher Regelbruch, eine solche Attacke, auch tatsächlich die Veröffentlichung irgendwann verlangt?

Welty: Das überlasse ich Ihnen, diese Beurteilung, Sie sind die Politikberaterin.

Höhler: Ja, ich bin absolut der Meinung: Wenn du einen solchen schweren Regelbruch platzierst, dann muss sich ja der Attackierte wehren. Wie soll er sich wehren? Er kann sich nur wehren durch Öffentlichkeit. Der kann doch nicht sagen: Ich lade Sie zum Essen ein, Herr Bundespräsident, und erkläre Ihnen mal, dass es so nicht geht! Sondern Sie sehen ja, wie der Presseverband reagiert hat. Das heißt, wir haben hier eine schwerste Störung des Verhältnisses von Politik und Presse, verursacht durch einen, der eigentlich sich zu rechtfertigen hätte.

Welty: Das heißt, Sie sagen, diese ganze Geschichte jetzt, diese ganze Veröffentlichung ist eine Sternstunde für den Journalismus als Kontrollinstanz, als die berühmte viel beschriebene vierte Gewalt im Staate?

Höhler: Ja, ich bin der Meinung – ich war schon in der Guttenberg-Story der Meinung –, auch da hat die Presse von rechts bis links, während wir diese Kategorien ja gar nicht mehr haben, sie hat auch in Häusern, wo man sagen sollte, na ja, wenn der eine Ja sagt, dann sagen die anderen Nein, sie hat eintönig reagiert mit der Ablehnung von Verhaltensformen, die in unsere demokratische Kultur nicht passen. Ich habe das schon damals als großartig empfunden, und ich kann feststellen, es wiederholt sich jetzt.

Welty: Politikberaterin Gertrud Höhler im Interview der "Ortszeit". Danke dafür und einen guten Tag noch!

Höhler: Ihnen Auch, danke!

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