Poetische Abrechnung eines Autisten

Weit weg von dieser Welt

Ein autistischer junger Mann, fotografiert von hinten, er hält sich die Ohren zu.
Ein autistischer junger Mann © picture alliance / Markus Scholz
Von Sigrid Brinkmann · 14.09.2015
Hugo Horiot lebt mit dem Asperger Syndrom. Erst am Theater fand der heutige Schauspieler und Regisseur das Glück. Sein Buch "Der König bin ich" ist eine furiose und poetische Abrechnung mit Institutionen und Personen, die Autisten wie ihm das Leben erschweren.
Umstandslos zieht Hugo Horiot den Leser in das zwanghafte kontrollierte Universum, das er als Kind zu beherrschen versuchte: Rohre, Traktoren, glänzende grüne Fliesen, Telefone und die unermüdliche Suche nach dem Mittelpunkt der Erde absorbierten alle Aufmerksamkeit und Kraft des kleinen Jungen, bei dem das Asperger-Syndrom diagnostiziert wurde. Hugo Horiot ist überdurchschnittlich intelligent. Er selbst nahm sein Anderssein früh und klar wahr, auch, dass seine Familie seine Wutausbrüche stets ohne Vorbehalte hinnahm und ihn liebte.
Der Leidenswegs des Kindes begann in der Vorschule. "Während die Erzieherinnen die anderen Kinder zum Ringelreihen animieren, übernehme ich die Rolle des hässlichen kleinen Entleins. Das ist viel interessanter. Den ganzen Tag drehe ich an Rädern, aber die Zeit vergeht trotzdem nicht schneller. Also konzentriere ich mich auf diese Drehbewegung, die mich weit weg von den anderen katapultiert, weit weg von dieser Welt in die Unendlichkeit."
In einem anrührenden Nachwort erschrickt Hugo Horiots Mutter, die Schriftstellerin Françoise Lefévre, noch einmal vor der unbändigen Energie ihres Kindes, das auf keinen Fall zu der Gesellschaft seiner Zeit gehören wollte. Julien Hugo Sylvestre Horiot wurde 1984 geboren. In seinem episodenhaften Text geißelt er das französische Bildungswesen, welches aus seiner Sicht nur ein Ziel kennt: "Kinder unter einer bleiernen Last zu erdrücken und sie in ein Einheitsformat der Ahnungslosigkeit und Unterwerfung zu pressen". Den provozierten Schulrauswurf erlebte der Autor als grandiose Befreiung.
Das Wort "normal" ohne Bedeutung
Horiot trägt kein Pathos zur Schau. Er fällt klare Urteile und formuliert diese oft mit einer aggressiven Überheblichkeit, weil er nur so den Kopf über Wasser behalten kann. Wer dieses Buch liest, begreift, dass man mit dem Asperger Syndrom lebenslang gezeichnet bleibt und dass eine komplizierte Logik in allem Tun der an dieser Form des Autismus Erkrankten steckt.
"Nach Juliens Enthauptung", schreibt Horiot, "habe ich Hugo zum König meines Körpers und meines Geistes ernannt. Zum obersten Herrscher meines Reiches. Ich muss eine Figur erschaffen, die stark und mächtig genug ist, um sich Juliens Leichnam entgegenzustellen. Er verfolgt mich unablässig und muss niedergetrampelt werden." Julien will sterben und Hugo will leben. Leben, begriff das Kind, das Hugo Horiot war, heißt aber auch, abzudanken, sich der Welt zu vermitteln, den Diktator in sich zu einem Diplomaten zu erziehen. Nicht ohne zu erschauern, stellt man sich vor, was es bedeutet haben muss, zu fürchten, dass Worte die eigene Person töten.
Hugo Horiot hat zu sprechen begonnen und im Alter von 18 Jahren die Bühnensprache für sich entdeckt. Am Theater begriff er, dass das Wort "normal" für ihn ohne Bedeutung und nichts als Schwindel ist. Als Leser erfahren wir, wie anstrengend es ist, sein scharf empfundenes Anderssein "mit einer Maske bedecken zu müssen", nicht aus Heuchelei oder Hochstapelei, sondern aus purem Überlebensdrang.

Hugo Horiot: Der König bin ich
Aus dem Französischen von Bettina Bach
Hanser Berlin, Berlin 2015
176 Seiten, 18,90 Euro

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