Pleuger: G8-Treffen zeigen die Schwäche der UN

Gunter Pleuger im Gespräch mit Marcus Pindur · 08.07.2009
Der frühere deutsche UN-Botschafter Gunter Pleuger hat anlässlich des G8-Gipfels in Italien beklagt, dass sich die Lösung internationaler Probleme immer stärker in informelle Treffen von Staatsführern verlagert habe. Dies zeige, dass Institutionen wie die Vereinten Nationen nicht mehr richtig funktionierten.
Marcus Pindur: Es begann einmal ziemlich idyllisch – als Kamingespräch im Schloss Rambouillet, 50 Kilometer vor den Toren von Paris. Und zu Anfang waren es die G6, mittlerweile sind es die G8. Dann stoßen auf dem Gipfel heute in Italien in L’Aquila noch die großen Schwellenländer hinzu, das sind dann die G5. Und die Bundeskanzlerin will das Ganze am liebsten dauerhaft zu einem G20-Forum erweitern. Außerdem sind in L’Aquila vertreten die Europäische Union, die Weltbank, der Internationale Währungsfonds, die OECD, die WTO et cetera, et cetera – eine schwer zu überblickende Veranstaltung also. Wir wollen den G8-Gipfel in L’Aquila ein wenig sortieren, und zwar mit einem diplomatischen Profi, mit dem ehemaligen deutschen UN-Botschafter Gunter Pleuger, jetzt Rektor der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder. Guten Morgen, Herr Pleuger!

Gunter Pleuger: Guten Morgen, Herr Pindur!

Pindur: Herr Pleuger, man fragt sich ja angesichts der Teilnehmerzahl, wie kann ein solcher Gipfel überhaupt zu Entscheidungen kommen?

Pleuger: Das ist natürlich schwierig, insbesondere wenn die Zahl der Gipfelteilnehmer groß ist, weil solche informellen Formationen von Staatsmännern natürlich keine Entscheidungsregeln haben, sondern nur einstimmig letztlich entscheiden können. Aber solche Formationen haben in der Vergangenheit durchaus ihren Sinn gehabt. Denken Sie daran, dass die berühmte Resolution des Sicherheitsrats, die den Krieg im Kosovo beendet hat, von den G8 ausgearbeitet worden ist, und zwar in einer Situation, wo in New York Russland sich aus der Kontaktgruppe zurückgezogen hatte und im Sicherheitsrat selbst ein Veto eingelegt hatte. Also, solche Formationen können sinnvoll sein. Und ein weiterer Beweis dafür waren die G20-Gipfeltreffen in Washington und in London, wo man sich über Maßnahmen zur Überwindung der gegenwärtigen Weltwirtschafts- und Weltfinanzkrise geeinigt hat. Das geht also.

Pindur: Der G8-Gipfel übernimmt also hier schon Funktionen, die eigentlich auch internationale Organisationen wahrnehmen müssten - wie zum Beispiel die EU, NATO oder Vereinte Nationen haben Sie eben genannt.

Pleuger: Ja, das ist richtig, und das ist auch eine nicht problemlose Entwicklung, in der Tat. Denn auf der einen Seite sehen wir, dass die Probleme immer mehr globalisiert werden. Für internationale Probleme braucht man internationale Lösungen. Und für internationale Lösungen braucht man auch ein internationales Forum, in dem die entsprechenden Lösungen entschieden werden können. Die einzige globale Organisation, die wir haben, sind – wie Sie sagen – die Vereinten Nationen. Nur die Tatsache, dass man jetzt immer mehr ausweicht in solche Gruppen informeller Art wie G8, G20 oder auch diesen G8-Gipfel plus 6, das zeigt, dass die eigentlichen Institutionen nicht mehr funktionieren.

Pindur: Die Vereinten Nationen, Weltbank und IWF – wir sehen das tatsächlich jetzt zum Beispiel bei der Bekämpfung der globalen Wirtschaftskrise – spielen nur eine untergeordnete Rolle, Sie sagen, sie funktionieren nicht so richtig. Warum ist das so?

Pleuger: Die beiden internationalen Organisationen Weltbank und Internationaler Währungsfonds sind natürlich etwas Besonderes, weil sie organisiert sind wie eine Aktiengesellschaft, in der natürlich die großen Beitragszahler das Sagen haben, und sie deshalb nicht politisch repräsentativ sind für die gegenwärtige Welt. In noch größerer Weise gilt das auch für die Vereinten Nationen und insbesondere für den Sicherheitsrat, der ja für alle Fragen der internationalen Sicherheit verbindliche Entscheidungen treffen kann nach der Charta der Vereinten Nationen, also verbindliche Entscheidungen für alle 193 Mitgliedsstaaten. Aber auch hier haben wir eine Struktur, die von 1945 stammt und für das 21. Jahrhundert nicht mehr brauchbar ist.

Pindur: Der französische Präsident Sarkozy und der brasilianische Präsident Lula da Silva haben in einem Artikel der "International Herald Tribune" eine Reform des Sicherheitsrates gefordert und zwar unter Beteiligung zum Beispiel solcher Länder wie Brasilien und Indien, aber auch Deutschlands und Japans. Ist das Erfolg versprechend, den Sicherheitsrat jetzt zu erweitern, oder wird das doch eher zu einer weiteren Lähmung dieses Gremiums führen?

Pleuger: Ich glaube, dass dieser Vorschlag sehr vernünftig ist, das ist praktisch das Ergebnis von jetzt fast 18 Jahren Diskussion im Rahmen der Vereinten Nationen. Und das Ziel ist, den Sicherheitsrat erstens legitimer zu machen und zweitens effektiver. Bei internationalen Konferenzen wie den Vereinten Nationen, die ja keine Weltregierung sind, sondern eine ständige Konferenz der Mitgliedsstaaten, entspringt die Legitimität der Repräsentativität des Gremiums. Das heißt, in einem Gremium wie dem Sicherheitsrat, wo nur 15 Mitglieder vertreten sind, muss man sehen, dass die Mitglieder der Gesamtorganisation dort angemessen vertreten sind. Und zweitens brauchen Sie in einem solchen Gremium natürlich auch die wenigen großen Ressourcengeber, die a) über die Ressourcen verfügen und b) bereit sind, sie der UNO zur Verfügung zu stellen. Und Japan und Deutschland sind die zweit- und drittgrößten Ressourcengeber der UNO.

Pindur: Ich möchte mir noch mal ein Politikfeld herausgreifen, das die G8 angehen wollen, nämlich den Klimaschutz. Und da ist es ja besonders offensichtlich, dass man die Schwellenländer mitziehen muss, und erhofft sich dadurch, dass man zum Beispiel Länder wie Brasilien, Indien oder auch China in irgendeiner Form einbindet, tatsächlich zu besseren Ergebnissen kommt, als man das vielleicht im Rahmen der Vereinten Nationen tun könnte.

Pleuger: Das kann man selbstverständlich auch im Rahmen der Vereinten Nationen tun, aber man kann es natürlich auch in großen Konferenzen wie der Kyoto-Konferenz tun – und die Verpflichtungen des Kyoto-Protokolls müssen ja jetzt erneuert werden –, das geht in beiden Richtungen. Aber es wird außerdem auch gefördert durch die Erkenntnis auch gerade der großen Verschmutzerländer, dass sie sich selbst keinen Gefallen tun, wenn sie glauben, Wachstum mit Luftverschmutzung erkaufen zu können. Und in dem von Ihnen schon erwähnten Artikel von Präsident Sarkozy und Präsident Lula wird darauf ja auch ausdrücklich hingewiesen. Es bedarf der internationalen Zusammenarbeit bei der Lösung einer so globalen Frage wie Klimawechsel, um zu Ergebnissen zu kommen, aber das wird erreichbar sein entweder im Rahmen der Vereinten Nationen oder im Rahmen von internationalen Konferenzen.

Pindur: Gunter Pleuger, ehemaliger deutscher UN-Botschafter, jetzt Rektor der Viadrina-Universität in Frankfurt an der Oder. Herr Pleuger, vielen Dank für das Gespräch!

Pleuger: Auch Wiederhören, Herr Pindur!