Plastik als Risiko

Kunststoff verschmutzt die Böden – mit Folgen

29:02 Minuten
Salat, der im Labor mit Nanoplastik in Kontakt war.
Salat, der im Labor mit Nanoplastik in Kontakt war. © Erik Faltin
Von Anja Krieger · 29.08.2019
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Plastik gelangt nicht nur ins Wasser, sondern auch in Böden. Was das bedeutet, wird seit kurzem erforscht. Während hohe Dosen kleinster Kunststoffpartikel einigen Pflanzen im Labor nicht bekommen, könnte Plastik das Fossil der Zukunft sein.
Was man hier gerade hört sind Regenwürmer, die durch den Boden kriechen.
Saša Spačal: "Alles, was lebt, geht aus dem Boden hervor. Und alles, was stirbt, wird im Boden wieder zersetzt. Und deshalb brauchen wir gesunde Böden, mit all den Bakterien und kleinen Wesen, die ihn in echte und lebende Materie verwandeln."
Die meisten von uns beachten sie nur selten: Diese dünne braune Schicht Boden, die uns alle ernährt. Dabei ist ihre Gesundheit – und die ihrer Bewohner – so wichtig für uns alle.
"Regenwürmer sind diese kleinen, besonderen Tiere, die in der Lage sind, durch alle Schichten des Bodens bis runter zum Gestein zu graben. Sie können Plastik deshalb sehr weit (hinunter) transportieren."


Das ist Saša Spačal, eine slowenische Künstlerin. In ihren Werken geht es um den Einfluss der Menschen auf die Bodenwelt. Für die Sound-Installation mit dem Titel "Plasticity" hat Spačal Regenwürmer in ein Terrarium gesetzt, Mikroplastik hinzugefügt und die Geräusche unter der Erde aufgezeichnet.
"Das erste, was mich schockiert hat, war, dass es zu diesem Thema wenig gibt. Es gibt da einfach noch nicht viel Forschung zu. Viele der Artikel, die wir fanden, waren eigentlich Aufrufe zu (mehr Forschung), noch mehr Forschung."
Spačal hat die Tonaufnahmen der Regenwürmer in mehreren Spuren kombiniert und in ihre Rauminstallation "Plasticity" integriert. Sie sieht aus wie ein kleiner Turm aus zwei Töpfen oben und unten und drei Lautsprechern in der Mitte. Die Lautsprecher zeigen zur Decke und sind mit kleinen weißen Plastik-Kügelchen bedeckt. Im Terrarium oben bewegen sich die Regenwürmer und bestimmen die Lautstärke. Je lauter, desto mehr Plastik hüpft eine Stufe nach unten.
Die Künstlerin Saša Spačal steht an einem Rechner mit einem Mischpult.
Die Künstlerin Saša Spačal beim Aufnahmen ihrer Sounds.© Nada Žgank

Forschung mit Ringelwürmern

Die Forschungsarbeit, die die slowenische Künstlerin inspiriert hat, stammt aus Berlin. Hier hat sich der Biologe Matthias Rillig die Interaktion von Regenwürmern mit Mikroplastik in einem Experiment genauer angeschaut.
"Die Lebewesen, an die man zuerst denkt, wenn irgendwas in den Boden zugegeben worden ist, als Partikel, sind Regenwürmer, weil die werden dieses Material aufnehmen, zwangsläufig, weil ihre Lebensweise besteht darin, dass sie eben durch den Boden hindurch tunneln, und dabei das gesamte Material aufnehmen, durch ihren Darm sozusagen prozessieren und am Ende wieder ausscheiden. Das heißt, wenn’s Effekte gibt, dann erwartet man sie eigentlich da."
Rillig leitet das Bodenlabor an der Freien Universität von Berlin. Er hat ein Faible für Pilze, Bakterien und natürlich Regenwürmer. Die vergleicht er mit Walfischen.
"Ähnlich wie ein Wal im Meer Sachen einfach rausfiltert, so ähnlich kann man sich das auch vorstellen mit einem Regenwurm. Der frisst jetzt nicht einfach nur wahllos Sachen, also die haben auch gewisse Präferenzen, aber so’n Regenwurm tunnelt sich quasi durch den Boden durch, im wahrsten Sinne des Wortes, also die hinterlassen auch diese Tunnel am Ende, und fressen unterwegs halt eben alles Mögliche."
Und dazu könnte auch Plastik gehören. Rilligs Experiment zeigte, dass kleine Plastikteile in Gegenwart von Regenwürmern tiefer in den Boden dringen. Bis vor wenigen Jahren machte sich niemand groß Gedanken um den Müll aus Kunststoff auf der Erde. Bis Matthias Rillig und sein Laborteam zufällig auf das Thema stießen.
"Wir haben uns am Anfang etwas in die Mikroplastik-Literatur eingelesen, und die Literatur war ausschließlich aquatisch, hauptsächlich sogar im Meer. Und wir haben uns eben gefragt, könnte Mikroplastik auch im Boden vorkommen, oder im Boden eine Rolle spielen, und damit in terrestrischen Ökosystemen. Zu der Zeit gab’s aber zu diesem Thema noch nichts."

2012 war das Plastik im Meer in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt. Der Segler Charles Moore hatte vom großen Müllwirbel im Pazifik berichtet. Es wurde bekannt, dass Meerestiere das Plastik fraßen und sich darin verhedderten, und dass die Partikel Schadstoffe konzentrieren und invasive Arten um den Globus tragen können. Plastik-Partikel drangen als neue Festkörper in das flüssige Medium des Meerwassers vor und boten neue Oberflächen, mit denen die Lebewesen in Kontakt kommen konnten.
"Wenn man sich jetzt den Boden anguckt, Boden ist im Prinzip ohnehin nur Oberfläche. Das heißt, das bissel an zusätzlicher Oberfläche, das durch die Mikroplastik-Partikel dann eben dazukommt, spielt sehr wahrscheinlich eine sehr untergeordnete bis gar keine Rolle. Und Boden besteht sowieso nur aus Partikeln, das heißt, es ist jetzt die Situation, wo ein Partikel in ein ohnehin schon partikelreiches Medium dazugegeben wird. Das heißt, die Problematik ist schon eine ganz andere als im aquatischen Bereich und das erklärt vermutlich eben, warum die Forschung so viele Jahre den Boden völlig ignoriert hat. Weil es ist eben nicht so offensichtlich wie im aquatischen Bereich."


In einem ersten Beitrag für die Fachzeitung Environmental Science & Technology warf Matthias Rillig 2012 die vielen offenen Fragen auf. Wenn Mikroplastik im Boden vorkommt, kann das problematische Folgen haben? Können die Lebewesen im Boden große Plastik von der Oberfläche zerkleinern und dann tiefer in die Erde eintragen? Was bedeutet das für die Ökosysteme und ihre Bewohner? Zunächst aber wurden diese Fragen kaum beachtet. Das Plastik im Boden lag im Schatten. Doch zwei Jahre später wurde Rilligs Paper erstmals zitiert, und in den folgenden Jahren gewann die Sache an Fahrt. Und so bekam auch der Boden endlich seine Aufmerksamkeit.
"Ja, man denkt vielleicht gar nicht so drüber nach, weil normalerweise ist ja Boden das, was man sich aus den Schuhen rauskratzt. Aber Boden ist sowohl vom abiotischen her, als auch einfach von der Biologie her, total faszinierend."
Wir sprechen selten über die wertvolle Erde, die unter unseren Füßen liegt. Boden ist nicht einfach nur ein Haufen Dreck mit einer Menge Ungetier. Er ist eine unverzichtbare Ressource, die sich nur langsam bildet und uns Nahrungsmittel liefert und das Klima mit bestimmt. Die Erde, in der Pflanzen wachsen, ist ein unglaublich komplexer Lebensraum, mit einer ganz besonderen Architektur. Es ist eine Welt aus Mineralien und organischem Material, eine Welt von Krümeln. Und zwischen den Krümeln gibt es Lücken – Hohlräume.
"Und diese Porenräume sind entweder gefüllt mit Wasser oder mit Luft. Das ist aber nicht die gleiche Luft über der Erde, das ist eine spezielle Bodenluft, hat eine ganz andere Zusammensetzung, ist zum Beispiel fast immer 100 Prozent Wasserdampf-gesättigt. Das Bodenwasser ist auch ein ganz anderes Wasser, auf das ganz andere Kräfte wirken, zum Beispiel, viele Oberflächen wirken auf dieses Wasser, wird viel fester gehalten an den Oberflächen, als ein Wasser in einem Glas Wasser. Und eben dieses dreidimensionale Gebilde ist eben besiedelt, diese Oberflächen im Boden sind alle besiedelt mit Bodenorganismen und ein unglaublicher Reichtum an Bodenorganismen, den man dort findet – Bakterien, Pilze, ganz viele verschiedene Tiere, und das macht es eben so faszinierend mit Boden zu arbeiten."
Ein Regenwurm schlängelt sich durch Mikroplastik.
Ein Regenwurm schlängelt sich durch Mikroplastik. © Saša Spačal
Eine Plastikfolie liegt zwischen Laubblättern. 
Eine Plastikfolie liegt zwischen Laubblättern. Sieht zunächst harmlos aus. Die Folgen sind bisher wenig erforscht. © Jamina Rillig

Mikroplastikpartikel haben Auswirkung

In ihrem Berliner Labor analysieren Rillig und sein Team die Bodenstruktur mit ganz speziellen Geräten. Diese Forschung ist eine echte Herausforderung und braucht viel Geduld. Etwa, wenn sorgsam Wurzeln freigelegt oder Bodenkrumen sanft durchs Wasser geschüttelt werden.
"Ja, das ist unsere Siebmaschine. Wir setzen Bodenaggregate eben einer desintegrierenden Kraft aus, in dem Fall ist es eben dieses Eintauchen in Wasser, und damit können wir die Stabilität von Bodenaggregaten, also diesen Krümelchen, aus denen Boden besteht, messen. Und wir haben eben gefunden, dass Mikroplastikpartikel, insbesondere die Fasern, die Stabilität dieser Partikel verringern."
Mikrofasern können von Kleidungsstücken oder anderen Textilien abbrechen. Als die Forscherinnen solche Fasern in die Erde gaben, stellten sie fest, dass der Boden an Stabilität verlor. Wieso das so ist, wissen Matthias Rillig und sein Team noch nicht. Nur eines ist klar: Die Form des Mikroplastiks spielt eine entscheidende Rolle. Das war eine überraschende Erkenntnis.
"Also, wenn sich die Bodenstruktur verändert, wie wir ja gefunden haben nach Zugabe von Mikroplastik-Fasern – dann hat das Konsequenzen für wie einfach der Boden insgesamt funktioniert. Es hat Konsequenzen für die Wasserflüsse im Boden, weil sich ja der Porenraum verändert hat. Es hat Konsequenzen für die Gasflüsse – die haben wir noch nicht untersucht, aber es liegt auf der Hand, dass sich da irgendwas verändern muss, wenn sich das gesamte Bodengefüge schon verändert hat. Und eben weil sich diese physikochemischen Charakteristika verändert haben, muss man auch davon ausgehen, dass sich die Lebensgemeinschaft der Mikroorganismen verschiebt und verändert. Und dafür haben wir auch erste Anzeichen."
Die Experimente konnten zum Beispiel zeigen, dass mehr symbiotische Wurzelpilze wachsen, wenn Mikrofasern aus Plastik im Boden präsent ist. Das sind Pilze, die die Wurzel besiedeln und der Pflanze helfen, Nährstoffe zu beschaffen. Sie bilden ein riesiges komplexes Netzwerk, dass Bäume und Pflanzen verbindet. Die vom Menschen eingebrachten Fasern könnten die Bedingungen in dieser Bodengemeinschaft verändern. Wenn das manchen Lebewesen im Boden nützt, anderen aber schadet, was bedeutet das für die Gesundheit des Ökosystems, den Anbau von Nahrungsmitteln – oder die Rolle, die der Boden für die Regulierung des Klimas spielt?

Die Forschung hat gerade erst begonnen

Die Wissenschaft hat gerade erst begonnen, die Mengen von Plastik in den Böden zu erfassen und die Folgen zu erforschen. Studien aus Frankreich legen nahe, dass Plastik auch durch die Luft transportiert wird und dann wieder zu Boden fällt – sowohl im urbanen Paris als auch in den Bergen der Pyrenäen.
Rillig: "Gut, das waren jetzt nur zwei Messpunkte, aber man muss davon ausgehen, dass dieses Material dann auf diesem Eintragspfad quasi überall hinkommt. Es gibt natürlich andere Eintragspfade wie in der Nähe von der Straße gibt’s Reifenabrieb, es gibt Makroplastik, das eben in der Umwelt sehr wahrscheinlich in Mikroplastik zerfällt, einfach durch Fragmentation, und man kann das Material – und das ist wahrscheinlich das wichtigste – unbeabsichtigt auch auf den Acker einbringen, zum Beispiel in Kompostzugaben, oder wenn man eben Gülle zugibt zum Acker, dann kann man eben auch dieses Material einbringen, das wurde auch schon gezeigt und gemessen."
Sichtbar wurde das auch 2018 in Schleswig. Aus einem Klärwerk der Stadt waren Plastikpartikel in ein Naturschutzgebiet ausgetreten. Das waren Stücke von Verpackungen, die mit Essensabfällen in die Biogasanlage gelangt waren. Von dort waren sie nicht nur in die Schlei und dann in die Ostsee gelangt, sondern auch in den Klärschlamm, den die Landwirte normalerweise zum Düngen ihrer Äcker nutzen.
Auf manchen Feldern kommt Kunststoff auch durch den Einsatz von Plastikplanen auf die Felder. Die sogenannte "plasticulture" soll Wasser und Pestizide sparen und für eine wärmere Umgebung sorgen. Werden die Planen hinterher aber nicht mehr vollständig entfernt, bleibt Plastik in der Erde. Matthias Rillig war vor kurzem in China, wo das offenbar passiert.
"Da haben die Bilder gezeigt von Plastikfilmen, die eingesetzt werden in der Landwirtschaft, auf einer Skala, die kann man sich hier gar nicht vorstellen. Und das Material ist nicht sehr stabil, das heißt am Ende der Wachstumsperiode... das ist wie... das zerfließt – und wird dann zwar runtergerecht und auf einen Haufen geworfen – also eben die Bilder hab ich dort gezeigt bekommen in China – und wird dann aber größtenteils nicht wieder zurückgewonnen, sondern einfach untergepflügt. Das heißt, wenn man sich ein Bodenprofil anguckt in diesen Flächen, sieht man einfach nur große Mengen Plastik, die wirklich im Boden eingearbeitet sind. Und dann kann’s natürlich sehr gut möglich sein, dass viel von diesem Makroplastik eben in kleinere Teile zerfällt und dann zur Mikroplastik-Verunreinigung beiträgt. Das, letzten Endes, ist noch nicht gezeigt worden im Feld, sondern nur im Laborversuch."

Die Gefahr von Nanoplastik

Wenn Kunststoffe auf dem Acker landen, stellt sich die Frage: Könnte das Auswirkungen haben auf die Pflanzen, die darauf angebaut werden – und damit auf unsere Ernährung?
"Ja, viele interessieren sich ja dann dafür, ob das dann sozusagen im Salat ist, den ich esse. Die Mikroplastik-Partikel – außer vielleicht wirklich die allerkleinsten Mikroplastik-Partikel – sind im Prinzip zu groß, um über die Wurzel ohne weiteres aufgenommen zu werden. Allerkleinste Mikroplastik-Partikel eventuell, aber wenn diese Mikroplastik-Partikel tatsächlich in der Umwelt weiter zerfallen, in noch kleinere Partikel, das heißt einfach nicht abgebaut werden, sondern immer noch in weitere Krümel sozusagen zerfallen, dann kommen die irgendwann mal in den Bereich von Nanopartikeln – man spricht ja dann von Nanoplastik – und Nanoplastik hat sehr wahrscheinlich, was wir schon jetzt gezeigt haben und auch andere nachgewiesen haben, wohl in Wurzeln reingehen können, und auch in andere Lebewesen, weil’s einfach biologische Membranen passieren kann, das kennt man ja auch von anderen Nanostoffen oder Partikeln – nicht notwendigerweise Plastik – und dann besteht die Möglichkeit, dass das Material auch in oberirdische Pflanzenteile gelangt, wie zum Beispiel in den Salat."
Abel Machado: "Ich wusste, dass er sich für Plastik interessierte, und fand ihn supernett. Also dachte ich mir, okay, mit diesem Typen will ich arbeiten, also – denken wir mal aus Umweltsicht über das Plastik im Boden nach!"
Abel Machado ist eigentlich Ozeanograph. Der Brasilianer kam für seine Doktorarbeit nach Berlin. Dort begann er im Bodenlabor der Freien Universität zu forschen. Ich traf ihn am Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei, kurz bevor er nach Brüssel zog, um dort für die Industrie zu arbeiten. Er berichtete mir von seinen Experimenten mit Nanoplastik und Gemüse.
"So wie auf diesem Bild sieht eine Wurzel unter dem Mikroskop aus. Man sieht hier diesen grünen Teil, weil das ein Fluoreszenz-Mikroskop ist – ganz cool, da leuchtet die Wurzel. Und das hier ist das Wurzelgewebe, man sieht die Wände der Zellen. Und diese Wurzel haben wir dann mit Plastik gefüttert."


Die Wurzel, die mir Machado zeigte, gehörte einer Salatpflanze – die Art von Salat, wie ihn viele Menschen gern essen. Die Forscher hatten etwa zweihundert der Pflanzen in hydroponischer Lösung gezogen, also in kleinen Gläschen mit Flüssigkeit. Normalerweise wächst der Salat darin sehr gut – ohne Erde, aber mit Wasser und den richtigen Nährstoffen. Doch die Wissenschaftler hatten Nanoplastik hinzugefügt – Teilchen, die so klein sind, dass man sie mit bloßem Auge nicht sehen kann.
"Die Wurzeln haben diese sehr feinen, haarähnlichen Strukturen, mit denen sie Wasser aufsaugen. Und man sieht, das Plastik hat sie vollständig bedeckt. Das war sehr beeindruckend, dass es immer noch da war, obwohl wir die Wurzeln schon mehrfach gewaschen hatten."
Mikroskopaufnahme von fluoreszierender Nanoplastik an Salatwurzeln.
Mikroskopaufnahme von fluoreszierender Nanoplastik an Salatwurzeln. © Abel Machado
Machado und sein Kollegen hatten das Plastik dreimal gewaschen, und dann auch noch mit Ultraschallwellen gereinigt. Aber selbst nach gründlicher Behandlung sahen sie immer noch helle Klumpen an der Wurzel haften – unzählige Partikel von Nanoplastik.

Was macht Nanoplastik mit Salat und Karotten?

Der Salat war damit nicht glücklich. Nach nur zwei Tagen ließ er die Blätter hängen, als würde er vertrocknen. Und er wuchs nicht mehr so schnell. Das Nanoplastik schien den Salat krank zu machen.
"Der Salat mochte das Nanoplastik nicht, aber die Karotten, denen war das egal. Die sind einfach genauso froh weitergewachsen wie ohne Plastik. Aber sie haben sich trotzdem verändert. Sie waren physiologisch gesehen nicht mehr dieselben Karotten – genauso gesund, aber anders."
Die Karotten hatten eine andere Form, aber sie blieben gesund. Beim Experiment mit dem Salat zeigte sich hingegen, dass Nanoplastik stark mit den Wurzeln interagieren kann und das der Pflanze zusetzt. Doch ob ein solcher Salat im echten Anbau tatsächlich relevanten Mengen von Nanoplastik begegnet, ist unklar. Steckt Plastik im Salat, den wir essen? Das lässt sich noch nicht sagen, erklärte mir Matthias Rillig, der die Studien zu Gemüse und Nanoplastik betreute.
"Zu welchem Grad das tatsächlich passiert und ein Problem ist, ist noch nicht bekannt, erstens, weil’s noch keine Nachweismethoden für Nanoplastik in der Umwelt gibt, diese Methoden sind erst noch in der Entwicklung, das heißt, man weiß gar nicht, ob das Material wirklich im Boden tatsächlich vorkommt, und wenn dieses Material im Boden vorkommt, dann weiß man nicht, wie verfügbar das ist. Wir und alle anderen haben diese Versuche alle in hydroponischer Kultur gemacht, das heißt einfach in einer wässrigen Lösung, in der die Wurzeln gebadet sind. Und da ist natürlich dann alles verfügbar. Aber Boden ist ja nur riesige Oberfläche, das heißt, es ist sehr gut möglich, dass diese Partikel eben an dieser enormen Bodenoberfläche einfach anhaften und dann weniger verfügbar sind für die Aufnahme, also in die Pflanzen. Da gibt es noch sehr viele Unsicherheiten."


Mit Glück geht die Sache also gut aus – mit Pech haben wir Plastik im Salat. Eine andere Forscherin hat Hinweise gesammelt, dass das Plastik aus dem Boden auch durch die Nahrungskette wandern könnte. Die Forscherin Esperanza Huerta Lwanga veröffentlichte 2017 eine Studie basierend auf Daten aus Gärten in Mexiko. Dort untersuchte sie die Konzentration von Mikroplastik in der Erde, in Regenwurm-Kot und in Hühnern, die vom Boden gefressen hatten. Die Konzentration des Plastiks wuchs bei jedem Schritt auf der Nahrungskette an. In den Hühnern war die Mikroplastik-Konzentration am höchsten.
Salatpflanzen in hydroponischer Lösung.
Salatpflanzen in hydroponischer Lösung.© Erik Faltin

Plastik – ein Technofossil für die Nachwelt

Anja: "Ja, schauen wir mal, ob wir finden. Upsalla. Was haben Sie mitgebracht?"
Leinfelder: "Na, eigentlich nur’n, nur’n – ach, so. Ja, ich wollt jetzt..."
Anja: "...ein Taschenmesser?"
Leinfelder: "Ich such mal meine Lupe…"

Ein Treffen mit dem Geologen Reinhold Leinfelder im Berliner Tiergarten.
"Ich schau mir mal diesen Berliner Sand hier an, der direkt hier ist, ob ich da nicht auch schon… kratz den mal mit einem dicken Messer kräftig auf..."
Reinhold Leinfelder hat Korallenriffe und Sedimente erforscht, und interessiert sich dafür, wie menschliche Materialien ins Gestein eingehen. Das viele Plastik, das im Boden landet, könnte den Menschen der Zukunft Informationen über unsere heutige Welt geben.
"Wir finden in den heutigen Sedimenten überall Hinterlassenschaften des Menschen, und zwar technische Materialien aus Produkten, die wir produziert haben, wir nennen das dann (Technosphäre und sogar) Technofossilien, und überlegen uns eben, wo kommt das her, wo wird es abgelagert, wird das dauerhaft erhalten. Also, es sind dann Fragen, die der Geologe auch den früheren Sedimenten stellt, wo kommen die Fossilien her – hier, wo kommt das Plastik her? Und deshalb behandeln wir diese Materialien wie Sedimentpartikel."

Haltbar für Millionen von Jahren

Plastik ist unglaublich haltbar. Eingebettet im Sediment könnte es noch länger überdauern – für hunderte Millionen Jahre. Schon von natürlichen Materialien gibt es ja Fossilien, zum Beispiel die Federn eines Dinosauriers oder die Schuppen eines Fisches. Ähnlich könnte Plastik Abdrücke im Gestein hinterlassen. Und weil ständig neue Produkte aus Kunststoff auf den Markt kommen, können Geologen die Sediment-Schichten noch feiner und noch genauer datieren.
"Also, wenn wir an den Teufelsberg gehen, der Teufelsberg ist ja gebildet aus etwa einem Drittel des Kriegsschutts von Berlin, der da aufgehäuft wurde – da gibt’s auch Plastik und zwar gibt’s da Plastik von vor dem Krieg und Plastik von hinterher, aus der Nachkriegszeit, und das kann man so einigermaßen erkennen. Und wir hatten da nun unter anderem einen Fund gemacht, ein kleines Plastikdöschen mit einem charakteristischen Schriftzug, und hatten schnell rausbekommen, das ist ein Kondomdöschen und das war so noch in einer obersten Schicht nun eingebettet. Und wir haben dann weiter recherchiert und haben festgestellt, aha, diese Firma gibt es schon länger und diese Döschen auch, aber die waren vorher aus Aluminium. Und so konnten wir sehr genau eingrenzen, genau dieses Döschen, und zwar auf vier Jahre genau, dass es zwischen 1968 und 1972 hier reingekommen sein muss, und damit hatten wir ein Fossil, ein Technofossil mit einer extrem hohen zeitlichen Auflösung."
Einen Fund so genau zu datieren, das ist natürlich traumhaft präzise. Leinfelder wusste, wann das Produkt auf den Markt kam, und dass der Teufelsberg nur bis 1972 aufgeschüttet wurde – älter konnte der Fund also nicht sein.
"Diese Kondommarke ist dann ganz plötzlich verboten worden, und zwar etwa 1980, weil man festgestellt hat, dass da ja jede Menge Quecksilber drin ist, sollte also auch gegen Syphilis helfen. Und da war natürlich klar, Quecksilber ist natürlich hochgiftig, das muss verboten werden."
Irgendwie ist dieses giftige Kondom ja schon eine Metapher für unsere Gesellschaft, (die das Vorsorgeprinzip nicht wirklich ernst nimmt). Lieber erstmal neue Sachen auf den Markt bringen, bevor die Nebenwirkungen überhaupt klar sind. Durch diese Art des Fortschritts haben wir Menschen den Planeten auch im großen Maßstab verändert, ohne das wirklich geplant zu haben. Und damit vielleicht eine neue Epoche ausgelöst, die in der Geologie und anderen Wissenschaften diskutiert wird.
"Es war im Jahr 2000 als sich, in dem Fall in Mexiko, mal wieder die sogenannten Erdsystemwissenschaftler der ganzen Welt getroffen haben, um zusammenzutragen, was der Mensch der Erde so wieder so alles angetan hat. Und da ist Paul Crutzen, Nobelpreisträger, dem wir das Wissen über das Ozonloch verdanken, nun ganz emotional aufgestanden, ans Mikrofon gegangen und hat gesagt, also wir leben doch nicht mehr im Holozän – das wäre geologisch die Jetztzeit seit der letzten Eiszeit – sondern wir leben, und er hat nach Worten gerungen, im Anthro-, Anthro-, Anthropozän, in der Menschenzeit oder in der menschengemachten Zeit."

Das menschgemachte Plastikzeitalter

Der Abfall aus Plastik, den wir in den Böden hinterlassen, könnte ein Marker für diese neue Erdepoche werden. Denn er ist rund um die Welt ganz fein verteilt und könnte etwas für die Zukunft hinterlassen: Eine klare Markierung im Gestein.
"Der Mensch ist ein Erdsystemfaktor geworden – das war die erste Hypothese, die wir bestätigen müssen. Das zweite, was es damit ausgedrückt hat, indem er diesen Namen verwendet hat in starker Anlegung an die Geologie, an die Stratigraphie – so wie Holozän und Pleistozän und Pliozän – hat er quasi auch gesagt, die Geologie funktioniert heute anders und der Mensch ist auch ein geologischer Faktor geworden und die Sedimente sind anders. Und daran arbeiten jetzt eben die Geologen, eben zu testen, ob das nicht eine neue geologische Epoche sein soll aufgrund dieser Technofossilien. (Er hat aber dann noch was dazu gesagt, er hat gesagt, wir können das doch nicht einfach so belassen, es wird auch die Politik nicht alleine hinbekommen, wir brauchen die Wissenschaften dazu und auch neue Technologien. Man könnte sagen, er war so einer der ersten Scientists for Future, hier, als er das gesagt hat. Und deswegen arbeiten wir heute eben sozusagen sehr eng und interdisziplinär an allen diesen drei verschiedenen Ebenen des Anthropozäns.)"


Saša Spačal: "Die Leute sprechen über Plastik, aber ihnen ist oft nicht klar, wie verbunden es mit der Umwelt mittlerweile ist und was es da macht."
Rillig: "Wir haben ja bei diesem Thema Mikroplastik im Boden erst an der Oberfläche gekratzt. Wir wissen noch sehr wenig, es gibt große Unsicherheiten, viele offene Fragen, und was mir die größten Sorgen macht, ist – haben wir die entscheidende Frage überhaupt erst schon gestellt, oder kommt die noch?"
Machado: "Es ist zurzeit noch ziemlich schwierig vorherzusehen, was das insgesamt fürs Ökosystem bedeutet – wir haben einfach noch viel zu wenige Beispiele angeschaut. Aber es birgt auf jeden Fall hohes Potenzial, dass sich grundlegende Eigenschaften des Bodens verändern, die für die Lebewesen dort wichtig sind."
Die Böden, von denen wir abhängen, sind in Gefahr. Manche sagen, dass wir nur noch 60 Jahre fruchtbare Erde übrig haben. Die Böden leiden unter dem Klimawandel und der Landwirtschaft, unter Maschinen, Monokulturen und Pestiziden, und vielen verschiedenen Schadstoffen. Plastik ist eine weitere mögliche Belastung, die nun in den Blick gerät. Wir wissen aber noch wenig darüber, wie die Vielzahl verschiedener Kunststoffe die Böden beeinflusst – von Makro- über Mikro- zu Nanoplastik, von Fasern über Fragmente bis zu runden Partikeln. Aber was immer wir in die Böden hinein geben, kann Folgen für hunderte von Jahren haben – auch für uns Menschen.
Leinfelder: "Plastik ist ja nicht das einzige Umweltproblem, was wir hatten, aber es kommt eben dazu mit vielen anderen, die eben das Erdsystem nun so stark geändert haben. Und meine Sorge ist schon, dass wir einfach zu lange, immer noch zu lange brauchen, bis wir wirklich konsequent diese Dinge ändern."
Für Reinhold Leinfelder besteht kein Zweifel: Die Spuren unserer Gesellschaft werden auch in der fernen Zukunft noch sichtbar sein. Aber er ist Optimist und hat einen Traum. Er hofft, dass die Gesteinsschichten von einer Wende erzählen werden. Schicht für Schicht wäre dann ablesbar, wie Menschen ihre Gesellschaften auf echte Kreisläufe mit der Natur umgestellt hätten. Und immer weniger Müll im Boden ließen. Leinfelder nennt es das Post-Plastik-Anthropozän.
Installation der Künstlerin Saša Spačal in einem Gewächshaus in Ljubljana, Slowenien. Zu sehen sind Pflanzen und Gerätschaften.
Installation der Künstlerin Saša Spačal in einem Gewächshaus in Ljubljana, Slowenien.© Saša Spačal

In ihrem Podcast Plastisphere beleuchtet die Autorin Hintergründe und Folgen einer Welt, die zunehmend aus Plastik besteht.

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