Plan-Feststellungen

Realität als unberechenbarer Störfaktor

Horst Seehofer präsentiert seinen Masterplan Migration in Berlin (2018).
Fünf-, Sieben- oder Zehn-Punkte-Plan? - Den Vogel schoss Innenminister Seehofer mit 63 Punkten zur Einwanderung ab. © SOPA Images via ZUMA Wire
Überlegungen von Pieke Biermann · 12.10.2018
"Mach nur einen Plan. Sei ein großes Licht. Und mach dann noch'nen zweiten Plan. Gehn tun sie beide nicht", schrieb einst Bertolt Brecht. Trotzdem machen alle unverdrossen weiter Fünf-, Sieben- oder Zehn-Punktepläne, wundert sich Pieke Biermann.
Eine kleine Preisfrage, leider ohne Preis: Von wem stammt der Satz: "Planen heißt, den Zufall durch den Irrtum ersetzen"?
a) Albert Einstein
b) Winston Churchill
c) Peter Ustinov
Ich persönlich habe ihn zuerst in den späten 1970ern in West-Berlin gehört, aus dem Mund eines linken Lehrers, der sein Geld bei der Reichsbahn verdiente. Die DDR nahm seinerzeit Leute mit westdeutschen Berufsverboten gern in niedere Dienste.
Damals stand der "antikapitalistische Schutzwall" noch um uns herum und der mitschwingende Spott gegen die dahinter betriebene Planwirtschaft war kein Zufall, sondern – geplant. Soundsoviel-Jahrespläne hatten den Ruch, aus den Hirnen von spießig-autoritären Charakteren zu stammen, um freiere, gar kreative Geister einzuhegen. Jedenfalls, was die DDR betraf. Hitlers Vier- und Stalins Fünfjahrespläne stanken noch weit schlimmer, und nicht nur ökonomisch ruinös.

"Planen heißt, den Zufall durch den Irrtum ersetzen"

Warum nur, warum werden wir dann immer noch und immer wieder umstandslos mit Plänen behelligt? Ich meine nicht die sicher vernünftigen Dienst- und Urlaubspläne – da, wo mehrere Menschen zusammenarbeiten müssen. Auch nicht Planfeststellungsverfahren – da, wo irgendein Projekt koordiniert und umgesetzt werden soll.
Die SPD wartet im Juli mit einem Fünf-Punkte-Plan zur europäischen Migration auf, die AfD prunkt mit wahlweise neun oder zehn Punkten zu allerlei, von Drogen bis sächsische Landespolitik. Heimatminister Seehofer kommt gleich mit 63 Punkten um die Ecke – in einem "Migrations-Masterplan", aus dem vor allem hervorgeht, dass er absolut keinen Plan hat, außer: Wie setze ich mich an die Spitze der "Merkel-muss-weg"-Bewegung.

Für alles einen Punkte-Plan

Woher kommt diese Punkteplaneritis? Ist das klammheimliches Framing, um dem Gefasel vom "christlich-jüdischen Abendland" einen seriösen Anstrich zu geben: Bibel, Zehn Gebote und so? Und wie viele Punkte braucht man für was? Fragen über Fragen.
Ein kurzer Suchmaschinen-Schwoof ergibt folgende, natürlich unvollständige Antwort: Für die bessere Kontrolle der Dermatitis digitalis reichen Tierärzten fünf Punkte, ebenso Menschenärzten für die Digitalisierung der Notfallmedizin. Der Bundesverband Künstliche Intelligenz e.V. braucht schon neun Punkte zur Förderung der KI, so viele wie die Bewegung "Wir haben es satt!" für den Kampf gegen die Agrarindustrie. Kanzler Kohl verfasste seinerzeit einen Zehn-Punkte-Plan zur Wiedervereinigung. US-Präsident Wilson fand 1918 vierzehn Punkte nötig für eine europäische Nachkriegsfriedensordnung.

15 Etappen bis zum globalen Handelskrieg

Man kann das als Polit-Kabbalistik von Leuten bespötteln, die bei Kabbala allenfalls an Madonna denken und auf Sexyness spekulieren. Gäbe es nicht gleichzeitig dieses flächendeckende digitale Upgrading der Planeritis. Gerade habe ich bei Bob Woodward gelernt, dass Trumps idiotische Zollpläne von seinen Unterlingen in eine Timeline gegossen wurden – in fünfzehn Etappen zur Entfachung eines globalen mindestens Handelskriegs.
Dabei weiß man doch: Planungen altern nun mal schlecht, was zumeist an der Umsetzung liegt. Ach, vergessen wir hier jetzt mal Berliner Flughafen oder Stuttgarter Bahnhofspläne. Halten wir uns an einen anderen klugen Satz, der zufällig auch angeblich von einem Physiker stammt: "Vorhersagen sind immer schwierig, vor allem wenn sie sich auf die Zukunft beziehen." Den Nobelpreis hat Niels Bohr leider nicht dafür bekommen.

Pieke Biermann, geboren 1950 in Stolzenau an der Weser. Sie lebt und arbeitet seit 1976 in Berlin als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Publizistin. Bekannt wurde sie vor allem durch ihre eigenen Kriminalromane. Mehrfach wurde sie mit dem deutschen Krimipreis ausgezeichnet. In Berlin trat sie vor allem in den 1980er-Jahren als Frontfrau der Hurenbewegung innerhalb der Frauenbewegung auf, war aktiv im Verein Hydra e. V.

Die Schriftstellerin Pieke Biermann bei uns im Funkhaus
© Deutschlandradio / M. Hucht
Mehr zum Thema