Plagiate

Doktoranden werden von Professoren betrogen

Zwei palästinensische Studierende in Talar und Dokturhut während ihrer Graduation an der Uni in Nablus.
Zwei Studierende mit Doktorhut und Talar während ihrer Graduation an der Uni © picture alliance / dpa / Alaa Badarneh
Von Stephan Hilsberg · 27.10.2015
Ursula von der Leyens Doktorarbeit wird derzeit überprüft. Hat sie schlampig gearbeitet oder gar getäuscht? Fast wichtiger ist: Der Fall zeigt, wie wenig sich Hochschulen für ihre Doktoranden interessieren, findet Stephan Hilsberg.
Erneut steht eine Bundesministerin am wissenschaftlichen Pranger. Dort finden und fanden sich immer wieder Prominente. Sie sind allerdings nur einige unter vielen weniger Bekannten, deren Doktorarbeiten Plagiatsjäger aufstöbern und nachträglich prüfen.
Doch eigentlich geht es nicht um Doktoranden von gestern, die schlampig gearbeitet, gar getäuscht und betrogen haben, um zu einem akademischen Titel zu kommen. Es geht – vielmehr sollte gehen - um einen Wissenschaftsbetrieb, der betrogen werden will.
Nichts im Lande ist so hierarchisch, so intransparent organisiert wie Lehre und Forschung. Deren Strukturen stammen aus dem Mittelalter. Ihren Nachwuchs rekrutieren sie wie einst Fürsten ihre Leibeigenen und Knappen.
Doktorväter erwarten Liebedienerei
Wer seine Studienzeit mit einer wissenschaftlichen Arbeit beenden will, muss sich in die unbedingte Abhängigkeit eines Doktorvaters begeben. Von dessen Gnade hängt es ab, ob sich jahrlange Mühe gelohnt hat.
Das fängt mit dem Formalen an. Ein riesiges Literaturverzeichnis wird verlangt – von Büchern, die selbstverständlich nicht gelesen wurden, auch für die Erörterung des Themas nicht nötig waren, sondern einfach nur den Text schmücken sollen. Da wird ein Background aufgebläht, den die jungen Autoren nicht haben, nicht haben können und nicht brauchen.
Das Formale wandelt sich erst zum unschönen Schein und mischt sich sodann mit Liebedienerei. Professoren wollen zitiert sein, ihre bevorzugten Meinungen bedient sehen, zumal wenn sie als Gutachter der Doktorarbeit ausgewählt sind.
Daneben wird der akademische Nachwuchs schamlos ausgebeutet. Denn um es sich finanziell leisten zu können, eine Expertise über drei bis fünf Jahre hinweg zu schaffen, nehmen viele Doktoranden eine Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiter an.
Akademischer Nachwuchs wird ausgebeutet
Auf der forschen sie nicht in eigener Sache, sondern schuften im Dienste ihre Chefs, schreiben seine Artikel, übernehmen seine Vorlesungen und entwickeln für ihn Konzepte. Sie sitzen auf halben Stellen, arbeiten für zwei und erhalten einen unterbezahlten Lohn. Willkür, manchmal Mobbing sind an der Tagesordnung. Und es gibt keine Instanz, bei der sie sich beschweren können.
Dass sie unter Druck Zuflucht zu kleineren oder größeren Tricksereien nehmen, mag nicht verwundern. Dass Hochschullehrer diese allerdings nicht bemerken oder über sie hinweg sehen, ist eine grobe Pflichtverletzung, die nicht übergangen werden darf.
Schließlich sollen sie ihre Schüler fachlich versiert durch die Promotion begleiten. Die Prüfmethoden der Plagiatsjäger könnten sie selbst einsetzen, nämlich vorab zur Qualitätskontrolle. Mängel müssten eigentlich auch in der Evaluierung des jeweiligen Fachbereichs aufgezeigt werden.
Stattdessen ist der Wissenschaftsbetrieb unfair zu seinem Nachwuchs. Er interessiert sich nicht wirklich für ihn, betrügt ihn um Fairness – und wird im Gegenzug selbst betrogen und der Lächerlichkeit preisgegeben.
Wissenschaftsbetrieb muss sich demokratisieren
Das ließe sich ändern. Erstens sollten Doktorarbeiten von unabhängigen Kommissionen gelesen und bewertet werden. Sie würden von Professoren, Assistenten und Studenten gemeinsam gewählt und auch dem gesamten Hochschulkörper rechenschaftspflichtig sein. Und zweitens könnten ebenso jene Gremien gewählt werden, deren Aufgabe es ist, Lehrstühle neu zu besetzen.
Diese beiden Forderungen sind so alt wie die Geschichte der Hochschulreform. Nun ist es an der Zeit, den Nachwuchs nicht länger als Wasserträger zu behandeln, sondern als Partner, der bereits fachliche Fähigkeiten bewiesen hat.

Stephan Hilsberg, 1956 im brandenburgischen Müncheberg geboren, arbeitete in der DDR als Informatiker. Ende der 80er Jahre engagierte er sich in der Friedensbewegung der Evangelischen Kirche. Am Beginn der friedlichen Revolution 1989 zählte er zu den Gründungsmitgliedern der ostdeutschen SPD, war ihr erster Sprecher und später Geschäftsführer. Hilsberg gehörte der letzten und frei gewählten Volkskammer 1990 an. Anschließend war er Bundestagsabgeordneter bis 2009 und in dieser Zeit u. a. bildungs- und forschungspolitischer Sprecher seiner Fraktion, stellvertretender Fraktionsvorsitzender und zwei Jahre lang Staatssekretär im Verkehrsministerium. Heute ist er selbständig als Autor und Publizist tätig.

Stephan Hilsberg, Mitbegründer der ostdeutschen SPD 
© picture alliance / dpa / Foto: Karlheinz Schindler
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