Plädoyer für einen Strategiewechsel

Rezensiert von Alan Posener · 22.06.2008
Mit Denkverboten will Christoph Bertram in seinem Buch "Partner nicht Gegner" brechen und fordert eine "andere Iran-Politik". Der Iran wolle vielleicht gar keine Bombe bauen und wenn doch, dann vielleicht nur, weil das Land von den USA bedroht werde, begründet der Autor das seiner Ansicht nach notwendige Umdenken.
Angeblich gibt es ein internationales Sanktionsregime gegen den Iran. Auf der diesjährigen Ölmesse in Teheran konnte man sehen, was die Öl-Lobby davon hält. Wie die "Financial Times Deutschland" berichtete, waren dort alle großen Namen der Ölindustrie vertreten: Shell aus Großbritannien, Lukoil aus Russland, Statoil aus Norwegen, Total aus Frankreich und natürlich die Saubermänner von Siemens aus Deutschland.

"Der Iran ist eines der wichtigsten Öl- und Gasländer der Welt", sagte der Total-Vizepräsident für den Nahen Osten: "Wir müssen hier sein." Klar, das Geschäft geht vor. Erst kommt das Öl, dann kommt die Moral. Für Total und die anderen Totalitären, denen der Profit über alles geht, hat der erfahrene Politikberater Christoph Bertram eine Apologie verfasst.

Was jeder Öligarch sich wünscht, preist Bertram als einen "Bruch mit Denkverboten". Als ob nicht seit Jahren innerhalb und außerhalb der USA darüber nachgedacht wird, wie man das Teheraner Regime zur Vernunft bringen kann. Den Versuch der USA, anders als im Falle Saddam Husseins in geduldiger diplomatischer Arbeit im Rahmen der Vereinten Nationen ein gemeinsames Vorgehen zu orchestrieren, tut Bertram ab als "Sanktionen und Säbelrasseln".

Um zu begründen, weshalb der Westen ausgerechnet die Teheraner Theokraten zu "Partnern" erheben sollte (wofür sich die Mullahs schön bedanken werden), muss Bertram zu einigen abenteuerlichen Behauptungen greifen, die sich teilweise selbst widersprechen. Er sagt:
- Der Versuch, den Iran vom Bau einer Atombombe abzubringen, wird erfolglos bleiben.
- Der Iran will vielleicht gar keine Bombe bauen.
- Der Iran will nur deshalb eine Bombe bauen, weil das Land von den USA bedroht wird.
- Wenn der Iran die Bombe baut, wäre das nicht so schlimm. Weil: die Gottesmänner destabilisieren auch ohne Bombe die ganze Region.
Und außerdem:

"Die Führung der Islamischen Republik wird Atomwaffen nicht aggressiv einsetzen, weil das ihr sicheres Ende bedeuten würde. Auch ein Staat, der die Legitimität seiner Führung religiös begründet, wird eines nicht wollen, nämlich Selbstmord begehen."

Das hätte Adolf Hitler wissen sollen. Und Mao Tse-tung, der in den Korea-Krieg eingriff, weil er die Atombombe für einen "Papiertiger" hielt. Und Che Guevara, der bereit war, Kuba der atomaren Vernichtung preiszugeben, wenn das hieße, die USA mit in den Abgrund zu ziehen.

Aber Bertram meint:
- Irans Präsident Mahmoud Ahmadinedschad hat Israel gar nicht mit Auslöschung gedroht.
- Ahmadinedschad hat Israel nicht aktuell, sondern nur historisch mit Auslöschung gedroht.
- Ahmadinedschad hat Israel nur deshalb mit Auslöschung gedroht, weil er Angst hat, der Westen könnte ihm sonst eine strategische Partnerschaft anbieten
- Außerdem ist der Iran eigentlich fast eine Demokratie:

"Präsident und Parlament werden in relativ freien Wahlen bestimmt."

Klar. Die DDR-Volkskammerwahl war auch "relativ frei". Bertram entblödet sich nicht zu behaupten:

"2004 wählten die Iraner eine konservative Mehrheit in die Majlis - das Parlament also, dann 2005 den konservativen Mahmous Ahmadinedschad zum Präsidenten."

"Die Iraner?" Weiß der Politik-Experte Bertram denn nicht, dass fast alle nichtkonservativen Kandidaten an der Kandidatur gehindert wurden, sodass die Iraner nur noch die Wahl zwischen konservativ und konservativ hatten? Natürlich weiß er das, aber der Bruch mit Denkverboten hat halt seinen Preis, nämlich den Bruch mit den Fakten. Dafür winkt aber ein schöner Lohn:

"Gerade für westliche Staaten, denen daran gelegen sein muss, ihre Energieversorgung zu sichern und zu diversifizieren, wären verlässliche Beziehungen zum Iran, dem Land der zweitgrößten fossilen Energieressourcen, von erheblichem strategischen Gewinn."

Und was hinderte und hindert den Westen an diesen "verlässlichen Beziehungen"? Die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran? Das Todesurteil gegen Salman Rushdie? Die Lust der Dunkelmänner an der Steinigung vermeintlicher Ehebrecherinnen und am Aufhängen von Schwulen an Baukränen? Die Ausschaltung der Opposition, das Wüten von Schlägertrupps an den Universitäten, die Manipulation der Parlamentswahlen?

Die Diktatur der Ayatollahs im "Wächterrat"? Die Finanzierung, Bewaffnung und Ausbildung von Terrorgruppen wie Hisbollah, Hamas, Islamischer Dschihad? Die Leugnung des Holocausts? Die Drohung, Israel aus dem Buch der Geschichte zu löschen? Die fortdauernde Destabilisierung des Iraks? Die Aufstellung ganzer Bataillone von Selbstmordattentätern? Die heimliche Arbeit an der Atombombe? Die fieberhafte Anreicherung von Uran? Der Bau von Raketen, die heute schon Europa erreichen können?

Nein:

"Nur aus einem Blickwinkel erscheint der Iran als eine unentwegt nach regionaler Dominanz strebende Macht: aus der Sicht der Vereinigten Staaten von Amerika, seit mehr als einem halben Jahrhundert die entscheidende – hegemoniale - Ordnungsmacht im Nahen und Mittleren Osten (. . .). Nur ist iranischer Widerstand gegen amerikanische Ordnungsvorstellungen etwas anderes als Dominanzgelüste, zumal er häufig von der Erfahrung geprägt war, sich vor amerikanischen Interventionen gegen Land oder Regime schützen zu müssen. Iranische Aktivitäten im Irak oder im Libanon stehen eher für eine Abwehrstrategie gegen die amerikanische Vorwärtsverteidigung (. . . ). Den Regierungen in Europa ist es nicht gelungen, sich dem Sog der amerikanischen Politik zu entziehen."

Und so weiter und so fort. Der große Satan ist schuld. Vergessen wir also, dass nicht nur die USA, sondern auch Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China so besorgt sind wegen des iranischen Atomprogramms, dass sie die Sanktionen des Weltsicherheitsrats mittragen.

Vergessen wir, dass nicht nur Israel, sondern alle arabischen Mächte der Region Angst vor Teherans Atomwaffen haben. Lassen wir die Vereinten Nationen Vereinte Nationen sein, lassen wir die Sanktionen fallen, und was Frau Merkel betrifft,

"sollte sie in der Öffentlichkeit künftig Äußerungen unterlassen, als sei der Iran, sein Atomprogramm und seine Politik in der Region auch für Berlin die größte internationale Gefahr."

Das könnte die Mullahs ärgern. Und mit diesen friedliebenden Abwehrstrategen ist nicht zu spaßen. Deshalb sollten wir sie lieber zu Partnern haben. Sie haben ja jetzt schon Öl und Gas und bald auch die Bombe. Und mit solchen Leuten stellen wir Deutsche uns traditionell gut. Wer weiß, vielleicht springt für den einen oder anderen ein Posten bei einer iranischen Pipeline-Gesellschaft dabei heraus.

Christoph Bertram: Partner nicht Gegner. Für eine andere Iran-Politik, herausgegeben von Roger de Weck
Edition Körber Stiftung, Hamburg 2008