Plädoyer für "aufgeklärte Monogamie"

Gegen den Exklusivanspruch in der Liebe

Pflanzenskulpturen formen ein Herz in einem Park in China
Pflanzenskulpturen formen ein Herz: Monogamie suggeriert Sicherheit, sagt Stephanie Katerle. © dpa / picture alliance / Maxppp Niu Shupei
Kim Kindermann im Gespräch mit Stephanie Katerle · 07.06.2018
Für Paare ist es der Super-Gau: Wenn ein Partner einen Seitensprung begeht, bedeutet das meistens das Aus für die Beziehung. Aber warum eigentlich? Die Buchautorin Stephanie Katerle fordert, man solle es mit der Treue nicht übertreiben.
Kim Kindermann: "Es ist unsere gesellschaftliche und normative Vorstellung von Liebe, die uns dazu bringt, nichts, aber auch nichts katastrophaler zu finden als einen Seitensprung." Das schreibt die Paartherapeutin Stephanie Katerle in ihrem Buch "Seitensprünge". Was genau sie damit meint, das habe ich sie vor der Sendung gefragt. Meint sie die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen oder was genau?
Stephanie Katerle: Das ist schwierig zu beantworten, weil sich das verschränkt. Also die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nutzen einen Umstand aus, der im zwischenmenschlichen Bereich angesiedelt ist, und das ist unsere romantische Vorstellung von einer Zweierbeziehung, und wir leben in einer sehr pluralistischen Gesellschaft, in einer sehr individualisierten Gesellschaft, in der im Prinzip jeder machen kann und so leben kann wie er oder sie will, aber trotzdem haben Menschen eine Sehnsucht danach, einen festen Platz in der Welt zu haben, am liebsten einen festen Platz, den sie mit jemandem teilen. Das gibt eine ganz große Sicherheit und einen Rückhalt und einen Rückzugsort in dieser zerfaserten Welt, und deswegen wird die romantische Liebe mit diesem Exklusivanspruch so hochgehalten. Das ist ein letztes Refugium, wo man wirklich noch sagen kann, das ist so mein Rückzugsraum, und darauf aufbauend profitieren verschieden Institutionen und gesellschaftliche Strömungen davon, dass die Menschen dieses Bedürfnis haben nach Sicherheit.
Kindermann: Was meinen Sie damit, welche Institutionen?
Katerle: Beispielsweise die Ehe. Also ich habe recherchiert und war sehr überrascht, dass die Ehe auch vom Ministerium für Familie und Gesundheit beispielsweise in der Broschüre als eine dynamische Wachstumsgemeinschaft bezeichnet worden ist. Also da ist der Begriff romantische Liebe oder so, der wird überhaupt nicht benutzt, und wenn die Leute, die heiraten wollen, diese Broschüre lesen würden, dann würden sie nicht mehr heiraten, weil darin steht, was das für Konsequenzen hat, was man auch materiell auch für eine Verantwortung eingeht, was eine Zweierbeziehung in dieser Rahmung auch für Auswirkungen hat auf das gesamte Leben. Ich sage einfach mal: Zugewinngemeinschaft, Rentenansprüche und diese ganzen Dinge. Wenn die Leute das wüssten, würden sie nicht mehr heiraten. Sie heiraten aus romantischen Gründen, weil sie mit jemandem auf Lebenszeit inniglich verbunden sein wollen, und das verschränkt sich, um es jetzt mal ganz bösartig zu sagen: lockt der Staat die Leute mit der Romantik in die Ehe, und in der Ehe sind die Bürger leichter zu verwalten. Das ist einfach sicherer, weil sie eben eine dynamische Wachstumsgemeinschaft werden und auch materielle Sicherheit anhäufen oder gewinnen, die sie selbstverantwortlich macht.

Ein Versprechen, das niemand halten kann

Kindermann: Dann würden Sie jetzt aber sagen, im Heute, also das, was Sie da schildern, ist einerseits der Staat greift ein, der will das, der fördert das, aber hinkt dann sozusagen die romantische Liebe der kulturellen Entwicklung, die wir ja gerade haben, hinterher?
Katerle: Absolut. Also ich habe das ja in meinem Buch damit verglichen – das ist vielleicht ein bisschen hanebüchen, aber ich fand es ziemlich überzeugend –, die Menschen halten sich auch heute noch Haustiere, weil sie das irgendwann mal in der Sesshaftwerdungsphase begonnen haben. Da haben sie das für sinnvoll gehalten, man konnte Haustiere nehmen zum Schutz oder zum Essen oder wo auch immer dafür, und heute halten sie sich immer noch, obwohl sie sie weder brauchen noch essen, und ich habe so ein bisschen die Parallele gesehen zu dieser romantischen Liebe. Die kam in der Zeit des aufkommenden Bürgertums, wurde die kultiviert und zum Eigenwert benannt. Obwohl wir die heute gar nicht mehr unbedingt brauchen in dieser pluralistischen Gesellschaft, wird sie trotzdem noch liebevoll gepflegt, und jeder weiß, im Grunde genommen ist sie äußerst zerbrechlich, und man kann sie eigentlich auch nicht wirklich guten Gewissens versprechen und ein Leben lang einhalten, und doch wollen sie sie alle haben und lieben sie sehr.
Sogenannte "Liebesschlösser" hängen am Geländer der Fußgängerbrücke "Eiserner Steg" in Frankfurt am Main
Liebe ein Leben lang? - Ein Versprechen, das kaum jemand halten kann.© picture alliance / dpa
Kindermann: Aber die romantische Liebe, die hat ja natürlich auch was – Sie haben es ja vorhin selber schon gesagt –, die gibt mir ja auch einen Halt in dieser … Man könnte ja genau andersrum argumentieren, dass man sagt, wir fransen immer mehr aus, es gibt immer mehr Unsicherheit im Leben, da will ich doch im Zweisamkeitsstreben genau da die Sicherheit erleben, die ich vielleicht in meiner Gesellschaft gar nicht mehr so wahrnehme oder erlebe.
Katerle: Genau, und das ist ja auch gut so, und die meisten Zweierbeziehungen, die liefern das ja auch und bieten das ja auch. Meine Frage ist nur, ist die sexuelle Treue dafür notwendig, ist das wirklich eine Voraussetzung dafür, hängt es davon ab, ob mein Partner mit jemand anderem intim wird, ob wir eine lebenslange innige Verbindung haben, und ich glaube, das hat miteinander gar nicht so viel zu tun, wie die meisten Menschen glauben.
Kindermann: Aber woher kommt das dann, dass wir da so fest dran glauben, das ist das Schlimmste, was mir passieren kann – das sagen ja auch viele, die eine Beziehung führen. Die sagen, also wenn ich betrogen werde, das ist das allerletzte. Woher kommt das, also dass wir trotzdem daran glauben wollen?

Seitensprung als Sollbruchstelle

Katerle: Oh, das hat ganz viele Gründe. Also das eine ist natürlich, die Soziobiologen würden jetzt sagen, die sexuelle Treue ist deswegen wichtig, weil wir ja wissen wollen, von wem unsere Kinder sind, und die Männer müssen immer wissen, dass sie auch wirklich der Erzeuger dieses Kinds sind, wenn sie es aufziehen und so. Das halte ich aber gar nicht mal so für unbedingt das aussagekräftigste Argument. Wir haben Verschmelzung in der Sexualität, wir öffnen uns sehr, wir sind sehr verletzlich, und das macht uns auch verletzlich, wenn wir uns vorstellen, dass unser Partner das mit jemand anderem teilt, weil wir dann unseren Selbstwert infrage gestellt sehen. Wir sind eifersüchtig, wir bekommen Angst. Also das droht uns ja, obwohl es ja eigentlich oft so profan ist, den Platz in der Welt wegzunehmen, und das ist ungeheuer angstbesetzt. Zum anderen ist die Treue eins der zehn Gebote, das wir überhaupt noch einhalten können. Die anderen haben wir alle schon längst über den Haufen geworfen, außer vielleicht das Gebot, du sollst niemanden töten. Alle anderen sind irgendwie aufgeweicht, und jeder geht da irgendwie so drum rum, aber das mit der Treue, das wird immer noch so hochgehalten, das ist so ein Rest, so ein Fragment, was da noch existiert, und da hängen wir sehr dran.
Kindermann: Deswegen ist es ja auch so, es gibt ja viele Gründe, sich zu trennen. Also, weil man sich irgendwie auseinandergelebt hat, weil man irgendwie merkt, das läuft auch sexuell nicht mehr so viel, trotzdem bleiben Paare sehr, sehr lange zusammen, halten das auch aus. Anders aber ist das mit der Untreue. Da haben Sie auch in Ihrem Buch geschrieben, das ist das knackige Aus für die Liebe. Warum ist das so?
Katerle: Weil wir eben in einer Kultur leben, in der der Seitensprung negativ behaftet ist, in der das nicht erlaubt, nicht zugelassen ist, und jeder versteht, wenn man sagt, nee, der hat mich betrogen, jetzt gehe ich, und zwar mit allen Konsequenzen, die da möglich sind, von Ausrasten, über Dinge kaputt machen, Katastrophen inszenieren, nie wieder damit reden und so weiter. Das ist so eine Vereinbarung, das ist eine Konvention. Also wenn du mich betrügst, dann habe ich das Recht, die Beziehung an dieser Sollbruchstelle zu knacken und zu sagen, jetzt musst du gehen. Andere Dinge, die werden komischerweise sehr viel länger ausgehalten, also Gleichgültigkeit, Entfernung, Distanz, seelische Grausamkeit, auch oft körperliche Grausamkeit und so. Das halten Leute aus, aber so lange, bis der andere dann wirklich fremdgeht, dann sagen sie, so, und darauf habe ich jetzt quasi nur gewartet, und jetzt gehe ich.
Ein Ehering liegt auf einem Gerichtsbeschluss über eine rechtskräftige Scheidung.
Ein Seitensprung muss nicht gleich zur Trennung führen.© dpa / Franz-Peter Tschauner
Kindermann: Jetzt heißt aber Ihr Buch "Seitensprünge: Warum Untreue nicht zur Trennung führen muss". Sie sagen jetzt genau das Gegenteil. Warum muss das also nicht so sein?
Katerle: Ich gehe davon aus, dass es sinnvoll wäre, wenn man sich schon zu Anfang oder in der Anfangsphase einer Beziehung darüber auseinandersetzen würde, was soll denn für den Fall passieren, dass uns das passiert, und das ist sehr wahrscheinlich, dass das irgendwann passiert. Also mindestens die Hälfte der Menschen werden im Laufe einer langjährigen Beziehung von Fremdbegehren heimgesucht, und was soll denn dann passieren, wie wollen wir damit umgehen. Wollen wir uns das sagen, wie wollen wir uns das sagen, was würden wir im schlimmsten anzunehmenden Fall denn miteinander tun. Wollen wir uns dann wirklich verlassen. Diese Gespräche, die finden einfach nicht statt, weil es tabuisiert wird. Es heißt dann, ach nee, das passiert uns nicht, allen anderen schon, aber uns nicht. Das ist so wie, bei uns schlägt der Blitz nicht ein, aber natürlich kann der Blitz einschlagen. Das ist sogar ziemlich wahrscheinlich, dass er einschlägt. Man würde sich dann eben davor schützen, indem man einen Blitzableiter am Haus anbringt, und das ist geradezu dumm, das nicht zu tun, und die meisten Paare tun es trotzdem nicht. Sie reden einfach nicht drüber, weil sie das Gefühl haben, wenn wir darüber reden, dann provozieren wir das, und dann erteilen wir dem anderen einen Freibrief. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall, weil es größere Offenheit ermöglicht und vielleicht auch die Offenheit, nach einem Seitensprung tatsächlich weiterzumachen und zu gucken, so, jetzt gucken wir mal, war das denn wirklich ein Ausrutscher oder ist bei uns irgendwas im Argen, müssen wir mal reden, gibt es irgendein Bedürfnis, was wir noch nicht kennen oder hat sich unsere Beziehung im Laufe der Zeit verändert. Es gibt viele Anlässe, die Beziehungen noch mal neu aufzustellen, und so eine Vereinbarung würde dabei helfen.

Monogamie gibt Sicherheit

Kindermann: Jetzt haben Sie gerade für sowas geworben wie eine aufgeklärte Monogamie. Das nennen Sie ja auch in Ihrem Buch so. Ist das richtig?
Katerle: Genau. Das trifft es auf den Punkt. Die meisten Menschen möchten die Monogamie behalten, weil sie das einfach praktisch finden und sicher finden, mit einem Menschen bis an ihr Lebensende zusammen zu sein. Das gibt Sicherheit, das fühlt sich gut an, man gewöhnt sich aneinander, und die ganzen Konzepte von offener Beziehung und Polyamorie und was es da alles gibt, für die allermeisten Leute geht das viel zu weit. Also sie wollen ihre Monogamie behalten, und mein Ansatz ist der, macht es euch doch nicht so schwer, sprecht doch drüber, versucht das doch zu klären, über andere Themen redet ihr doch auch. Ihr redet doch auch darüber, wo wollen wir leben, wie wollen wir arbeiten, wollen wir Kinder haben, wollen wir ein Haus bauen, wie gehen wir mit unseren Eltern um. All das sind Themen, über die man reden kann. Ja warum zum Kuckuck kann man denn darüber nicht reden? Ich werbe einfach dafür, den Mut aufzubringen zu sagen, was soll passieren, wenn es uns vielleicht mal nicht mehr so gut geht.
Kindermann: Das gleichzusetzen mit dem Ende der Treue?
Katerle: Ganz im Gegenteil. Es kommt auf den Begriff der Treue an. Treue ist in dem Sinne, wie Sie es gerade verwendet haben, nur die sexuelle, die erotische Treue. Wir müssen natürlich auch noch ein bisschen die Art des Seitensprungs unter die Lupe nehmen: War das jetzt also wirklich was rein Sexuelles oder war es auch was Emotionales, und was bedeutet für uns eigentlich Treue, was bedeutet es, zueinander zu stehen, was sind unsere Werte, wofür stehen wir gemeinsam ein, was macht unsere Beziehung aus außer der sexuellen Exklusivität, denn das ist ja nur ein ganz winziger Teil einer Beziehung. Die anderen Teile sind ja viel größer und wichtiger. Wir haben eine gemeinsame Geschichte, wir haben gemeinsame Kinder, wir haben Freud und Leid miteinander durchlebt. Das soll alles plötzlich nichts mehr wert sein, weil einer mit einem anderen Menschen geschlafen hat? Das finde ich schwierig, und deswegen würde ich diesen Treuebegriff einfach gerne erweitern auf das, was uns als Paar ausmacht, was unsere Werte sind, und da würde ich die Treue gerne durch den Begriff der Loyalität ersetzen. Die Loyalität ist in meiner Definition die Liebe zu gemeinsamen Werten, und die ist genauso wichtig.
Kindermann: Stephanie Katerles Buch heißt "Seitensprünge: Warum Untreue nicht zur Trennung führen muss" und ist gerade bei Klett Cotta erschienen. Es kostet 18 Euro.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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