Piraten werten Datenschutz "ganz klar höher als kommerzielle Interessen"

Christian Hufgard im Gespräch mit Joachim Scholl · 27.03.2012
Der Musiker Sven Regener ist in der Debatte um das Urheberrecht deutlich geworden: Eine Schwächung würde Kunst und Künstlern schaden. Dieser Appell ging auch an die Piratenpartei, die eine Lockerung des Urheberrechts fordert.
Joachim Scholl: Die Debatte über das Urheberrecht bewegt die Gemüter, und richtig aufgeregt hat sich in der vergangenen Woche der Musiker Sven Regener. Dem Sänger von Element of Crime geht nämlich der Hut hoch angesichts der Diskussion um kostenlose Musik im Netz, und das hat sich so angehört:

Sven Regener: "Mein Problem, was ich dabei habe, ist, man wirkt uncool, wenn man sagt: 'Hier, Urheberrecht und so...' Aber es wird so getan, als wenn wir Kunst machen würden als exzentrisches Hobby. Und das Rumgetrampel darauf, dass wir irgendwie uncool seien, wenn wir darauf beharren, dass wir diese Werke geschaffen haben, ist im Grunde genommen nichts anderes, als dass man uns ins Gesicht pinkelt und sagt: 'Euer Kram ist eigentlich nichts wert, wir wollen das umsonst haben, wir wollen damit machen können, was wir wollen, und wir scheißen drauf, was du willst oder nicht. Und was wir zum Beispiel im Augenblick haben, diese Sache mit Youtube, da muss man mal ganz klar irgendwie die Fronten klar machen: Youtube gehört Google, das ist ein milliardenschwerer Konzern, die aber nicht bereit sind, pro Klick zu bezahlen. Nun hat aber weder Youtube noch Google sonst irgendwas zu bieten, außer was andere Leute geschaffen haben und da reingestellt wird.

Und da sind wir gerade an dem Punkt, wo die Musiker sagen und die Gema sagt – und Gema sind wir letztendlich, das sind die Komponisten und Textdichter –, wo wir sagen, nein, für dieses Geld kriegt ihr unseren Kram nicht. Und das sollte sich jeder, auch junge Mensch, genau überlegen, ob er sich wirklich zum Lobbyisten von so einem milliardenschweren Konzern wie Google machen möchte. Und bringen als Hilfstruppen die ganzen Deppen ins Spiel, die sagen: Warum kann ich denn das Video nicht auf Youtube gucken? Ja, dann guck’s halt woanders. Unsere Videos kann man alle bei element-of-crime.de gucken, da muss man nicht zu Youtube gehen. Tut mir leid, gibt’s auch nicht bei Youtube. Bis die nicht bereit sind, dafür auch was zu bezahlen. Denn ein Geschäftsmodell, das darauf beruht, dass diejenigen, die den Inhalt liefern, nichts bekommen, das ist kein Geschäftsmodell, das ist Scheiße. Und ansonsten können sich ja dann alle ihre Lieder von Kim Schmitz vorsingen lassen.

Auch der Begriff Piratenpartei ist geistiges Eigentum, und wenn ich morgens hier eine Piratenpartei gründe, steht eine halbe Stunde später der Anwalt der Piratenpartei auf der Matte, so sieht’s nämlich aus. Und was weiß ich: Der örtliche Chef hier von der Piratenpartei, der hat eine Firma, die machen Apps fürs iPhone. Das ist ein geschlossenes System, es ist 100 Prozent Copyright, mit Anwälten und allem drum und dran. Und der Typ sagt, ja, hier alles schön frei und so weiter. Aber das möchte ich mal sehen, was passiert, wenn ich sein Programm, was er da gerade verkauft, wenn ich das knacke und ins Internet stelle für jeden zum freien Runterladen und Installieren auf seinem iPhone. Dann hab ich die Anwälte von iTunes auf dem Hals, bevor ich überhaupt das Ding hochgeladen habe."

Scholl: Der Musiker Sven Regener letzte Woche bei den Kollegen vom Bayerischen Rundfunk. Und in einem Studio aus Frankfurt am Main ist uns
jetzt Christian Hufgard zugeschaltet, Urheberrechtsexperte für die Partei Die Piraten und Vorsitzender des Vereins Musikpiraten e.V. Guten Morgen, Herr Hufgard!

Christian Hufgard: Schönen guten Morgen!

Scholl: Hat Sven Regener nicht recht?

Hufgard: Also er hat in vielen Punkten recht, aber in sehr vielen vermischt er auch sehr viele Dinge, die einfach so nicht zusammengehören. Zum Beispiel was Youtube angeht, da laufen ja Verhandlungen mit der Gema, und das eigentliche Problem ist, dass Youtube halt sagt: "Das, was die Gema fordert, ist einfach für uns nicht bezahlbar." Und die Gema auf der anderen Seite sagt: "Ja, wir wollen aber diesen Betrag haben." Weshalb ja jetzt auch eine gerichtliche Einigung ansteht, bei der dann hoffentlich ein tragfähiger Kompromiss entsteht, weil: Auch Piraten, oder gerade Piraten wollen, dass Urheber für ihre Arbeit auch entlohnt werden.

Scholl: Ich meine, Sven Regener verweist in dem Zusammenhang ja auf Ihren Berliner Parteikollegen, der eine Softwarefirma betreibt, die Apps herstellt. Und das ist ja auch eine Art künstlerisches Produkt. Wenn ich das mir runterlade, ohne zu bezahlen, dann stehen die Anwälte von Apple auf der Matte, und das findet ja auch jeder normal.

Hufgard: Also Piraten nicht wirklich. Wir fordern ja auch in unserem Parteiprogramm, dass auch für Software die Schutzfristen drastisch gelockert werden und dass auch zum privaten Gebrauch Software problemlos von jedermann analysiert und auch entsprechend dann weiterverwendet werden darf.

Scholl: Aber trifft nicht Regener auch eine wunde Stelle, wenn er als Künstler also die verbreitete und immer noch zunehmende Auffassung Also-wir-wollen-das-umsonst-haben! als Eure-Kunst-ist-nichts-wert! auffasst, also dass die Kundschaft und die Gesellschaft so die Künstler degradiert, auf eine Weise demütigt, und das Kunstmachen ja so zur Straßenmusikerexistenz erklärt, der man mal so’n Euro in den Hut wirft, wenn man Lust dazu hat?

Hufgard: Also prinzipiell war es ja schon immer so, dass Künstler irgendwie versuchen mussten, ihre Fans davon zu überzeugen, für ihre Arbeit zu bezahlen. Und wir sehen halt, dass gerade über das Internet sehr vielen Künstlern es einfacher gemacht wird, neue Fans zu erreichen und dadurch auch mehr oder andere Einkommensströme zu generieren.

Scholl: Wie stellen Sie sich denn ein modernes Vergütungsmodell vor, das beiden Seiten, Produzenten wie Nutzern, gerecht wird?

Hufgard: Also wir haben in Offenbach ein relativ umfangreiches Programm beschlossen, das also sehr viele Einschnitte an vielen Stellen vornimmt. Was ganz klar eine Grundbedingung für uns ist, ist, dass das Kopieren zu nicht gewerblichen Zwecken legalisiert wird, das heißt, so wie halt früher die Privatkopie aus dem Radio, von Schallplatten, Kassetten, CDs legal war, verlangen wir, dass also auch das Kopieren aus dem Internet von nicht gewerblichen Seiten zu nicht gewerblichen Zwecken vollkommen legalisiert wird. Auf der anderen Seite sagen wir halt, dass Urheber in vielen Fällen sehr stark von Verwertern in Verträgen gebunden sind, die also sehr ungünstig für sie sind, und da haben wir auch einige Punkte angesetzt, dass zum Beispiel Rechte bei Nichtausübung schneller zurückfallen, dass Buy-out-Verträge eingeschränkt werden, dass Rechte schneller an die Urheber zurückfallen, dass also auch die Urheber selber deutlich mehr Verwertungsspielraum und Verhandlungsmacht gegenüber den Verwertern wieder haben.

Scholl: Umsonst und draußen, das Urheberrecht im Netz, Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit Christian Hufgard von der Piratenpartei. Auf der Homepage Ihrer Partei, Herr Hufgard, finden sich zum Urheberrecht mehrere Ziele formuliert, und da ist mir ein Satz aufgefallen, da steht nämlich: "Im Allgemeinen wird für die Schaffung eines Werkes in erheblichem Maße auf den öffentlichen Schatz an Schöpfungen zurückgegriffen, deshalb müsse eine faire Rückführung in den öffentlichen Raum gewährleistet sein." Also erst mal Hut ab vor dieser rhetorisch toll verklausulierten Aussage, die nichts anderes heißt, als zum Beispiel "Musiker, der ein Lied komponiert, greift also auf Musik zurück, die schon existiert, und deshalb ist es sowieso nicht von ihm allein." Da dürfte Ihnen jeder Künstler ziemlich ins Kreuz springen, wenn er das mal versteht.

Hufgard: Es gibt sehr viele Künstler, die also ganz klar auch verstanden haben, dass ihre Musik nicht komplett aus ihrem eigenen Genius entsteht, sondern die wissen, dass zum Beispiel im Rock ’n’ Roll eine sehr lange Tradition an Musik existiert und dass da auf Dinge zurückgegriffen wird, die wirklich Allgemeingut sind. Zum Beispiel der Basslauf im Blues ist ja jetzt etwas, was seit Jahrzehnten immer wieder verwendet wird, da hat sich auch niemand hingestellt und gesagt: 'Das ist mein geistiges Eigentum, das darf niemand außer mir verwenden.'

Scholl: Herr Hufgard, das können Sie jetzt nicht ernst meinen, dass Sie sozusagen das Blues-Schema als eine Tradition nehmen, die sozusagen kostenfrei dann ist, und wenn ich einen Blues komponiere, bekomme ich kein Geld dafür, bloß weil also 500.000 Bluesmusiker das ähnliche Schema verwendet haben.

Hufgard: Nein, absolut nicht, das würde ich niemals sagen. Weil jenseits dieses Schemas, das Sie verwenden, ist ja ganz klar auch sehr viele eigene Arbeit von Ihnen, die dann in diesem neuen Werk mit drin steckt. Darum sagen wir ja auch nicht, Sie dürfen überhaupt gar kein Geld mit diesem Werk verdienen, wir sagen nur: "Dieses Werk, das auf Allgemeingütern beruht, muss der Allgemeinheit deutlich früher als 70 Jahre nach ihrem Tod auch wieder allen zur Verfügung stehen."

Scholl: Es könnte ja allen zur Verfügung stehen, wenn ich zum Beispiel einen Euro bezahle, wenn ich’s mir anhöre.

Hufgard: Genauso wäre es aber auch möglich und auch vollkommen legal, dass eine Person Ihre CD kauft, sie einem Bekannten kopiert, der kopiert sie wieder und weiter, und das ist der Punkt, an dem dann Pauschalabgaben mit ins Spiel kommen. Das heißt, Urheber werden auch für Kopien vergütet, die privat angefertigt werden, weil es einfach dem Gesetzgeber auch irgendwo nicht möglich ist oder auch der Gesetzgeber nicht willens ist zu sagen: "Wir wollen hier eine totale Kontrollstruktur aufbauen, die jede einzelne Kopie verhindert."

Scholl: Die Gema, die wird ja gern von allen Netzfreiheitskämpfern so als olle Krake und ewig gestriges Instrument dargestellt. Sven Regener, der Indie-Rocker, sagt ganz deutlich: "Die Gema sind wir." Welche Rolle spielt denn sie in Ihren Vorstellungen einer neuen Verwertung von Musik?

Hufgard: Also die Gema wird von uns höchstwahrscheinlich auch leicht angegriffen werden, weil das Problem ist, dass die Gema eine extrem starke Machtposition hat, da sie fast alle kommerziell tätigen Urheber in Deutschland vertritt. Es ist einfach auch da ein sehr starkes Monopol, das unserer Meinung nach sich sehr negativ auf den Markt auswirkt. Das heißt, es gab ja schon verschiedene Versuche, auch alternative Verwertungsgesellschaften aufzubauen, die aber schlicht und ergreifend auch wieder eingegangen sind, weil einfach das Potenzial irgendwo gefehlt hat.

Und man sieht es ja auch sehr schön bei dieser Auseinandersetzung mit Gema und Youtube: Sehr viele Künstler wollen sogar ihre eigenen Werke bei Youtube selber aktiv promoten. Zum Beispiel Deichkind preschen da ja immer wieder vor. Und sie haben halt das Problem, dass die Gema und Youtube sich nicht einigen und stattdessen lieber vor Gericht ziehen, und fühlen sich da halt eben auch irgendwo nicht so vertreten, wie sie es halt eben gerne wären.

Scholl: Der Musiker und Blogger Johnny Haeusler hat in seinem Blog jetzt auch aktuell Stellung genommen zu Sven Regeners Philippika und ganz kritisch angemerkt, indem er gefragt hat: "Wieso müssen wir eigentlich alles jetzt dem Netz anpassen und nicht umgekehrt das Netz dem anpassen, was wir für gut befinden?" - Also eine grundsätzliche Frage, gerade jetzt auch in diesem Streit zum Urheberrecht. Was antworten Sie denn diesem Manne?

Hufgard: Also da sind wir eigentlich schon direkt bei einem der Gründungsthemen der Piratenpartei, weil es hat sich gezeigt, dass gerade große Rechteverwerter sehr stark versuchen, eine Kontrollstruktur im Internet aufzubauen. Das geht so weit bis dahin, dass jedes Datenpaket von Providern kontrolliert werden soll, um zu gucken, ob da vielleicht irgendein urheberrechtlich geschütztes Werk drin ist. Und da sagt die Piratenpartei ganz klar, also das berechtigte Interesse der Künstler auf Vergütung ihrer Werke kollidiert da so massiv mit dem Recht auf Datenschutz eines jeden Bürgers, dass wir für uns den Datenschutz da ganz klar höher werten als kommerzielle Interessen.

Scholl: Die Urheber und ihre Rechte. Das war eine Entgegnung auf Sven Regener von Christian Hufgard von der Piratenpartei. Herr Hufgard, ich danke Ihnen fürs Gespräch.

Hufgard: War mir ein Vergnügen!
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