Physiker fahnden nach Phantomen

16.09.2012
Was ist Raum? Was ist Zeit? Was ist Masse? Ohne Antworten auf diese Fragen, so lautet im Kern die Kritik von Alexander Unzicker, kann die Physik nicht behaupten, auf einem soliden Fundament zu stehen.
Alexander Unzicker legt nach. Mit einem zweiten Rundumschlag gegen die Physik haut er noch einmal in dieselbe Kerbe wie mit seinem ersten Buch "Vom Urknall zum Durchknall" (2010). Und diesmal müsste der Hieb die Vertreter der etablierten Standardtheorien noch mehr schmerzen als beim ersten Mal. Denn dieses Mal geht Unzicker deutlich weniger polemisch, dafür sachlicher, detailreicher und argumentativer ans Werk. Im Ton offener, in der Sache jedoch ebenso unnachgiebig zweiflerisch, glaubt er die moderne Physik in weiten Teilen auf dem sprichwörtlichen Holzweg.

Grund dafür sei, dass die Physik sich in Detailfragen verliere und sich dabei die großen und immer noch unbeantworteten Fragen der Vergangenheit nicht mehr stelle. Sie sind es, die er wieder ins Bewusstsein der Forscher rücken möchte: Was ist Raum? Zeit? Masse? Woher hat die Gravitationskonstante ihren Wert, und ist sie wirklich konstant? Was genau ist eigentlich ein Elektron? Ohne Antworten auf diese Fragen, so lautet im Kern die Kritik von Alexander Unzicker, kann die Physik nicht behaupten, auf einem soliden Fundament zu stehen.

Stattdessen schrauben Theoretiker heute mit immer mehr Parametern an ihren Erklärungsmodellen herum, die dadurch immer beliebiger werden. Die Teilchenphysik mit ihren Vorstellungen von sich umwandelnden Neutrinos und Quarks sei Flickwerk, solange grundlegende Mechanismen der Atomphysik nicht verstanden seien. Das gleiche gilt für die Kosmologie. Die Existenz von Schwarzen Löchern lässt sich bis heute nicht direkt belegen. Auch die Dunkle Materie, die seit Jahrzehnten auf der Fahndungsliste der Forscher steht, weil anscheinend nur mit ihr die Galaxien überhaupt zusammenhalten, hat noch kein Mensch gesehen. Selbst in den grundlegenden Theorien der Physik – Quantenmechanik, Elektrodynamik und Relativitätstheorie – ist der Wurm drin, da sie sich gegenseitig widersprechen.

Alexander Unzicker hält an dem Glauben fest, die Welt müsse sich eleganter erklären lassen, vor allem mit weniger Zusatzannahmen. Das ist ein wünschenswertes Ziel. Aber sein Plädoyer für Einfachheit wirkt stellenweise ebenso trotzig wie es mutig ist, denn ob dieses Ziel erreicht werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Vielleicht ist die Welt einfach komplizierter als Alexander Unzicker es gerne hätte?

Immerhin will er nicht nur meckern, und er weiß auch nicht alles besser. Er schafft Raum für Zweifel an der nach außen oft zur Schau gestellten Selbstgewissheit der Physik. Seine Forderung nach Offenlegung aller experimenteller Daten und nach mehr Transparenz in den Auswertungen dieser Daten ist zu begrüßen. Und die halb vergessenen Konzepte von Ernst Mach, Paul Dirac und Robert Dicke, die er wieder ins Bewusstsein holt, bilden auch heute noch spannende und zumutbare Denkanstöße für die moderne Physik. Vielleicht stecken dort, im Mach'schen Prinzip und der Hypothese der großen Zahl, Ansätze, die Stärke der Gravitation und die Masse der Elementarteilchen zu verstehen.

Auch wenn das Buch inhaltlich in weiten Teilen ein Neuaufguss des vorigen ist, bleibt es das lesenswertere der beiden, da es fundiert über reine Kritik und Polemik hinausgeht.

Besprochen von Gerrit Stratmann

Alexander Unzicker: Auf dem Holzweg durchs Universum. Warum sich die Physik verlaufen hat
Carl Hanser Verlag, München 2012
304 Seiten, 19,90 Euro