Phobien

Kuscheln mit der Würgeschlange

Eine Zoopädagogin trägt eine Schlange um den Körper geschlungen
Eine Zoopädagogin bringt Kindern den respektvollen Umgang mit Schlangen bei © Deutschlandradio Kultur / Heiner Kiesel
Von Heiner Kiesel · 19.11.2016
Panik vor Schlangen, Ekel vor Spinnen: In Europa sind diese Phobien verbreitet. Und mit dem Umfang wächst die Abneigung. Eine Münchener Tierschutzorganisation versucht, Kindern die grundlose Furcht zu nehmen.
"So, Susanne, hier haben wir einmal die Vogelspinne", sagt Patrick Boncourt. "Na wie bist du drauf? Und du nimmst den Styroporkarton, da haben wir jetzt schon die Schlange ein wenig transportfähig verpackt."
Patrick Boncourt schiebt die Frontscheibe des Terrariums wieder in ihre Fassung und schaut zu Susanne Schimpf. Die Zoopädagogin leiht sich die beiden Tiere heute aus, in der Münchner Reptilienauffangstation.

Haarig und groß wie eine Kiwi

Beim haarigen Spinnentier ist alles wie immer: Es heißt Agathe und sitzt, der Leib so groß wie eine Kiwi, relaxed auf einem Aststumpf. Schimpf wendet sich zu der weißen Box daneben, wie vom Pizzaboten. Sie spitzt vorsichtig unter den Deckel. Von Susie keine Spur.
"Die Schlange ist in einem Leinensäckchen, damit sie sich nicht fürchtet und nicht verletzen kann", sagt Schimpf. "Und zusätzlich – weil es in München nicht ganz warm ist heute – ist der Karton mit einer Wärmflasche ausgestattet, und die Schlange liegt auf einem kuscheligen Handtuch in der Styroporkiste, gegen Witterungseinflüsse geschützt."
Vorsichtige Annäherung: Ein Junge Streichelt eine brasilianische Vogelspinne
© Deutschlandradio Kultur / Heiner Kiesel
Boncourt hilft Schimpf beim Einladen. Die Strecke von Schwabing bis zum Botanischen Garten in Nymphenburg fährt sie fast jede Woche.
"Unsere Fahrt geht jetzt mitten durch München. Ich denke mal, wenn die anderen Autofahrer wüssten, welche Fracht ich im Kofferraum habe..."

Wo es gefährliche Spinnen gibt, kennt man keine Spinnenangst

Seit 2012 arbeitet Susanne Schimpf für den Verein Akademie für Zoo- und Wildtierschutz und versucht Kindern und Jugendlichen die Angst vor Spinnen und Schlangen zu nehmen. Schwer erklärbare Phobien. Spinnenangst gibt's nur in Europa und Nordamerika, erzählt sie. Dort, wo wirklich gefährliche Exemplare leben, bleibt man dagegen locker. Die Kurse sind für Schimpf Routine. Naja, nicht ganz – wegen Susie, der Schlange.
"Also für mich ein Blind Date", sagt Schimpf. "Und ich bin jedes Mal gespannt, in welcher Stimmungslage ich die Schlange vorfinde."

Für die Tiere ist es der blanke Stress

Die Namen bleiben gleich, aber Schlange und Spinne sind jedes Mal andere. Um sie zu schonen – denn das was ihnen jetzt im Nebengebäude des Botanischen Gartens bevorsteht, ist der blanke Stress.

"Haben Sie gesehen, die Schlange ist aufgeregt und hat den Deckel der Styroporkiste schon aufgemacht",
sagt Schimpf.

Susanne Schimpf schließt ihn wieder und bedeckt mit ihrer Jacke den Glaskäfig, in dem die Vogelspinne Agathe sitzt.
Gerade noch rechtzeitig, denn dann stürmt eine Kindergruppe in den Seminarraum. Quirlig: 15 Mädchen und Jungen aus einem Tutzinger Hort, erste bis vierte Klasse. Schimpf wedelt beschwichtigend, die Handflächen federnd nach unten. Ruhiger! Susie hört schlecht, aber die Erschütterungen nimmt sie genau wahr. Sie soll noch einen Augenblick für sich haben.
Schimpf: "Dann heiße ich Euch ganz, ganz herzlich Willkommen!"
Die Pädagogin will die Kinder ganz behutsam an die fremden Wesen heranführen. Sie dürfen erstmal eine abgeworfene Haut streicheln.
"Und ganz viele Erwachsene wissen auch nicht, dass sich Spinnen häuten", erklärt die Zoopädagogin. Alle trauen sich. Auch Lena. "Ich habe Angst, die ist so haarig", sagt sie.
Die Schüler erfahren, wie sensibel Spinnen und Schlangen sind. Echte Schisser. Dass sie harmlos sind, die Angst vor ihnen unbegründet ist. Agathe, die brasilianische Vogelspinne könnte allerdings kneifen. Sie darf nur im Käfig bestaunt werden. Die Kinder kommen behutsam heran:

"Ich finde die Spinne voll schön. Die ist so haarig. Das Nest ist voll gut gebaut."
Da meldet sich plötzlich Susie. Stößt wieder den Deckel der Styroporkiste auf, windet sich im Baumwollsack.
Susanne Schimpf sagt: "Und jetzt ist dein Auftritt hier."

Die Boa ist zwei Meter lang, armdick und aufgeregt

Schimpf befreit sie, eine schimmernde Boa. Rund zwei Meter, armdick und aufgeregt. Sie züngelt.
"Und wenn ihr sie anfasst und ruhig streichelt, das mag sie, aber bitte nicht so vor ihrem Kopf rumwedeln", erklärt Schimpf.
Susie macht die Runde zwischen den Schülern. Alle dürfen mal anfassen. Warme Hände streicheln sacht über die Haut. Die ist glatt, kühl und trotzdem lebendig. Susie entspannt, hängt jetzt zwischen den Armen der Zoopädagogin.
"Sehr dick", sagt ein Kind. "Sie ist eher so grünlich", sagt ein anders. "Trocken. Und sie hat ein braunes Muster."

Am Ende wird es der Würgeschlange aber doch alles zu viel. Sie wird unruhig, sucht Halt, schlingt sich um den Arm Schimpfs. Besser wieder in die Kiste, in Sicherheit. Für die Kinder hat Schimpf noch eine Urkunde, weil sie so mutig waren und sich herangetraut haben. Aber bevor sie die bekommen, müssen sie noch etwas versprechen:
"Seid ihr bereit, wenn ihr eine Spinne seht oder ein anderes Tier, diese nicht zu ärgern, sondern nach draußen zu tragen, damit sie dort weiterleben kann?"
"Ja", sagen die Kinder.
"Dann gebt ihr mir jetzt das große Indianerehrenwort", sagt Schimpf. Die Kinder singen und heulen das Indianerehrenwort.
Online-Text: tmk
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