Philosophischer Wochenkommentar

Die "Wiederbelebung" einer Nashornart ist ein tragischer Akt

Das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn "Sudan", aufgenommen am 28.4.2016 in Kenia
Das letzte männliche Nördliche Breitmaulnashorn "Sudan", aufgenommen im Jahr 2016 in Kenia © imago / Xinhua
Von David Lauer · 25.03.2018
Die Beteiligten haben edle Motive: Nach dem Tod des letzten männlichen Nördlichen Breitmaulnashorns soll diese Art quasi "wiederbelebt" werden. Aber genau damit werde die Ehrfurcht vor der lebendigen Natur als etwas Unverfügbarem erneut zerstört, kommentiert David Lauer.
Mit dem Menschen, behauptete Jean-Jacques Rousseau, sei es ja so: Einmal aus dem selbstgenügsamen, wenn auch stumpfen Naturzustand herausgetreten, stürmt er in die Welt, um sie sich untertan zu machen, angetrieben durch den unstillbaren Drang, sich selbst zu vervollkommnen.
Leider schlägt er dabei in einer Mischung aus Größenwahn, Frustration und schlichtem Ungeschick die Hälfte des zu Erobernden kaputt, und kurze Zeit später tut es ihm leid. Manchmal sind die Sachen, die er zerstört, nur selbstgemachte Spielzeuge, die sich neu anfertigen lassen. Manchmal ist es aber auch ein Stück Natur, das verloren geht. Dann erschrickt der Mensch vor sich selbst.

Schöpferische Natur vs. menschliches Mach-Werk

Denn Natur, das hieß früher einmal: Das, was der Mensch nicht selbst gemacht hat und deshalb auch nicht einfach wieder neu machen kann. Die lebendige, schöpferische Natur einerseits, das menschliche Mach-Werk andererseits: Das war einmal, von der Antike bis in die Renaissance, ein fundamentaler ontologischer Gegensatz.
Aus ihm speist sich das vielerorts noch lebendige Gefühl, dass man der Natur mit Ehrfurcht und Demut begegnen sollte, gerade weil sie im Kern dem "homo faber" unverfügbar bleibt. Daher die Trauer, wenn es uns wieder einmal gelungen ist, eine Tierart auf diesem Planeten auszurotten – wie in diesen Tagen das Nördliche Breitmaulnashorn.
Dessen letztes männliches Exemplar hat diese Woche im hohen Alter von 45 Jahren das Zeitliche gesegnet. Und uns überfällt die Scham angesichts der Einsicht, dass wir mutwillig etwas zerstört haben, dessen Wiederbeschaffung jenseits unserer Macht liegt.

Natur als technisches Konstrukt?

Oder vielmehr: lag. Denn Demut ist dem Menschen – siehe Rousseau – immer schon schwergefallen. Bis zu Platons Dialog "Timaios" lässt sich nämlich eine zweite Naturauffassung zurückverfolgen, die sich seit der Neuzeit beinahe unangefochten durchgesetzt hat: Die Auffassung, dass die Natur selbst nur ein technisches Konstrukt, eine hochkomplexe Maschine sei, dass also "natürlich" gerade "technisch manipulierbar" bedeute.
Früh schon hat der Mensch die Natur nach seinen Vorstellungen zu formen versucht, hat domestiziert und kultiviert, gekreuzt und gezüchtet. Die verfügbaren Methoden waren vergleichsweise primitiv – bis die Molekulargenetik alle Schranken sprengte.
Steven Spielberg hat dieser Schrankenlosigkeit schon 1993 in seinem Film "Jurassic Park" ein Denkmal gesetzt. Seit Jahren schon ist davon die Rede, das vor 4000 Jahren ausgestorbene Mammut "wiederzubeleben". Und genau das soll nun auch mit dem Nördlichen Breitmaulnashorn geschehen: Die "Wiederbelebung" der Art aus tiefgefrorenem Sperma, Eizellen, die den letzten beiden Weibchen entnommen oder zur Not aus Stammzellen gewonnen werden, und mithilfe von Leihmüttern einer nahe verwandten Nashornart.

Ein Akt der Wiedergutmachung

Die Motive der Beteiligten sind ohne Zweifel edel: ein Akt der Wiedergutmachung, getragen von Schuldbewusstsein angesichts der klaffenden Lücke, die wir geschlagen haben. Wer würde den Forscherinnen und Forschern nicht Erfolg wünschen?
Und doch umweht tiefe und echte Tragik ihr Handeln. Denn sie werden – gerade im Fall des Gelingens – am Ende unausweichlich dazu beigetragen haben, genau das um ein weiteres Stück zu zerstören, was ihr Handeln antreibt: die Ehrfurcht vor der lebendigen Natur als etwas Unverfügbarem, das unserem Handeln Grenzen setzt.
In dem von Wissenschaftlerhand neu zum Leben erweckten Breitmaulnashorn wird uns nie etwas anderes gegenüberstehen als ein weiterer Triumph der grenzenlosen Machbarkeit.
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