Philosophie der Lüge

"Die Lüge ist Anti-Aufklärung"

Auf einer Wand steht mit Filzschrift geschrieben: "Allet Lügen. Vertrau auf dich, Herzverstand"
"Allet Lügen": Alltagspoesie auf einer Hauswand in Berlin © dpa/Wolfram Steinberg
Bettina Stangneth im Gespräch mit Simone Miller · 06.08.2017
Wer lügt, braucht Fantasie? Nicht unbedingt, meint die Philosophin Bettina Stangneth. Vielmehr muss er wissen, woran sein Gegenüber Glaubwürdigkeit festmacht. In ihrem neuen Buch "Lügen lesen" entwirft sie eine Philosophie der Lüge.
Wer lügt, setzt Indizien der Glaubwürdigkeit strategisch ein. Das meint die Philosophin Bettina Stangneth. Wer sich bewusst als unglaubwürdig verkaufe, könne sogar die Wahrheit als Lüge präsentieren, sagte sie im Deutschlandfunk Kultur. Das sei etwa wichtigen Funktionären des Nationalsozialismus gelungen. Wer hingegen als glaubwürdig gelesen werde, dem würde man auch eine manipulative Darstellung der Wirklichkeit abnehmen. Die Lüge sei deshalb nur in ihrer dialogischen Struktur richtig zu verstehen, so Stangneth.

Die übersehene Verantwortung der Leichtgläubigen

Wir sparen den Anteil des Gläubigen am Erfolg der Lüge gern aus, so Stangneths These. Dabei gebe es auch eine wichtige Verantwortung des Zuhörens. Nur wenn die Zuhörenden die unredliche Darstellung akzeptierten, habe eine Lüge Erfolg. Viele Lügen blieben verdeckt, weil wir oft nur dann ein Interesse an der Wahrheit hätten, wenn diese für uns persönlich relevant ist. Sind wir persönlich nicht betroffen, behandelten wir Informationen gern wie unterhaltsame Geschichten.

"Die Lüge als Prinzip ist per se unmoralisch"

Das Lügen könne man aber nicht schönreden. "Wenn ich versuche jemanden zu belügen, dann versuche ich ihm die Möglichkeit zu nehmen, sich mit seinem eigenen Verstand in der Welt sicher zu orientieren. Das kann man nicht moralisch rechtfertigen, das geht überhaupt nicht. Die Lüge als Prinzip ist per se unmoralisch – jeder, der etwas anderes sagt, lügt".
Deshalb könnten uns Lügen hart treffen: Sie verletzten nicht nur unser Vertrauen, sondern auch unsere Orientierung in der Welt. Das Gegenmodell der Lüge sei die Offenheit. Offen, so Stangneth, sei man, wenn man tatsächlich alles preisgebe, was man denkt. Wer offen ist, mache sich extrem verletzlich. "Das Begegnen in Wahrheit haben wir zu wenig geübt, wir haben auch zu wenig gesprochen, wenn es funktioniert und das müssen wir nachholen".
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