Philosophie der Freundschaft

Eine Verbindung jenseits von Konkurrenz

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In einer Freundschaft gibt es keinen reichen Gewinner und keinen armen Verlierer, sondern beide hätten am Ende mehr davon, sagt Philosophie-Professor Klaus Dieter Eichler. © criene | photocase
Klaus Dieter Eichler im Gespräch mit Stephanie Rohde · 11.02.2018
Was unterscheidet Freundschaft von Liebe? In der Freundschaft sei eine Gleichheit erfahrbar, wie sie in der Liebe nicht zu finden sei, meint der Philosoph Klaus Dieter Eichler. Und: Anders als in der Liebe beruhe Freundschaft immer auf Gegenseitigkeit.
Das Verhältnis zwischen Freundschaft und Liebe sei schon seit Beginn der philosophischen Beschäftigung immer wieder neu verhandelt worden, meint der Philosophie-Professor Klaus Dieter Eichler. Dabei zeige sich einerseits ein Bemühen um scharfe Abgrenzung, andererseits sei diese Grenze kulturgeschichtlich durchaus variabel. Als typisches Beispiel der Grenzziehung nennt Eichler die Position von Aristoteles: Entscheidendes Merkmal der Freundschaft ist für diesen ihre Langlebigkeit und ihr Zustandekommen durch eine "freie Wahl". Ganz anders die überwältigende Macht der Liebe, des "Eros", als affektives, meist sexuelles Verlangen nach einer Person, die uns sprichwörtlich "anzieht".
Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die philosophische Einschätzung – zu finden etwa bei Michel Foucault und Jacques Derrida –, dass die Freundschaft eine Gleichheit erfahrbar macht, die in der Liebe nicht oder wenigstens nicht im gleichen Maße möglich sei. "Man könnte der Meinung sein, dass in einer Liebesbeziehung der Andere zum Objekt meiner Liebe gemacht wird. Und insofern wäre eine gewisse Asymmetrie in dieser Beziehung drin."

Ein Freund - die Möglichkeit, sich selbst zu erkennen

Zudem beruhe die Freundschaft stärker als das Lieben auf Gegenseitigkeit: Lieben könne man auch einseitig, ohne dass sie von der geliebten Person erwidert wird. In Freundschaft hingegen werde aus philosophischer Sicht traditionell eine gewisse "Ähnlichkeit der miteinander Befreundeten" vorausgesetzt, mit Blick auf Charakterzüge oder ein gemeinsames Streben. "Und der andere wäre für mich dann jemand, der mir die Möglichkeit gibt, mich selbst zu erkennen."
Im Gegensatz zum schottischen Philosophen David Hume, geht Eichler davon aus, dass man der Freundschaft durchaus einen "Wert an sich" zusprechen könne, da es eine "intrinsischen Motivation" in der Freundschaft gebe, die es erlaube, "von einem nicht-instrumentellen Charakter der Freundschaft zu sprechen."

In Freundschaften geht's ums Schenken

Traditionell sei Freundschaft oft als Selbstlosigkeit betrachtet worden: Schon in der Antike wurde die Opferbereitschaft unter Freunden hervorgehoben, die Bereitschaft füreinander zu sterben. Unter dieser Voraussetzung wäre allerdings nur die Beziehung eine wahre Freundschaft, die einem nicht nützt. Tatsächlich jedoch, so Eichler, müsse man davon ausgehen, dass man in keiner Freundschaft vollständig vom eigenen Selbst absehen könne: "Von meinem Ich zu abstrahieren, gelingt dem Ich natürlich niemals, denn selbst die Abstraktion vom Ich wäre eine, die vom Ich vollzogen wird. Insofern ist das eigene Selbst natürlich immer präsent."
Das Gegensatzpaar Egoismus/Altruismus lasse sich nur dann zur Bewertung von Freundschaften heranziehen, wenn man diese bloß als "instrumentelle Handlungen" versteht. Das widerspreche aber gerade dem Wesen von Freundschaften. Sie seien keine "Konkurrenzsituation in Bezug auf zu verteilende Güter, sondern es geht um ein Schenken – und die Güter, die da dem anderen gegeben werden, sind Hilfeleistungen, Aufmerksamkeit, Wohlwollen." Bei einem solchen "moralischen Wettbewerb" gebe es nicht einen reichen Gewinner und einen armen Verlierer, sondern beide hätten am Ende mehr davon.
Freundschaft sei also weder ganz selbstlos, noch ganz selbstbezogen, sondern ein "Drittes". Dieses Dritte erkennt Eichler in der Metapher von einem "Band der Freundschaft", das die Befreundeten umschlinge und ihren Zusammenhalt charakterisiere. "Das heißt, das Dritte wäre etwas, das die Bedingungen bereitstellt für ein Sich-Begegnenkönnen der Freunde in einem Raum, der weder das selbstsüchtige Eigeninteresse, noch das altruistische Motiv der Selbstaufopferung benötigt, um dieses Zusammensein zu ermöglichen."

Männerfreundschaften prägen die Politik

Hegel warnte davor, dass Freundesgruppen dem Staat gefährlich werden können, weil sie Machtstrukturen unterwandern. Die politische Sprengkraft von Freundschaften sei schon in der Antike erkannt worden: So rät Aristoteles in seiner Politik dem Tyrannen, "wie er, durch geschickte Maßnahmen und Handlungen die Bildung von Freundschaften zu verhindern habe. Insofern ist schon immer ein verdächtiger Blick der despotisch agierenden Herrscher auf Freundschaftsbeziehungen gerichtet."
Allerdings könne man diagnostizieren, dass auch die (Staats-)Politik selbst zu einem gewissen Teil über Freundschaften funktioniere – und zwar historisch meist über Männerfreundschaften. Das zeige sich auch in der Freundschaftsliteratur: Nicht nur seien die Autoren meist Männer gewesen, auch die beschriebenen Freundschaftspaare hätten oft exklusiv aus Männern bestanden: "Der Ausschluss erfolgt gegenüber den Frauen, er erfolgt aber auch gegenüber der Beziehung Mann-Frau und Frau-Frau – selbst Bruder und Schwester werden kaum thematisiert."
Der moderne Begriff von Freundschaft beschränke sie eher auf das Private, verbunden mit der Auffassung, dass Freundschaft im öffentlich-politischen Raum "eigentlich nur Unheil stiften kann – wie das aber auch umgekehrt der Fall ist, wenn wir private Freundschaftsbeziehungen nach den Regeln des öffentlich-politischen Diskurses gestalten würden."
Allerdings gebe es auch Gegenpositionen, die versuchen, Freundschaften wieder neu politisch zu denken. Die wichtigsten Ansätze in dieser Richtung kommen aus Eichlers Sicht von Hannah Arendt, Jacques Derrida und Michel Foucault. Gemeinsam sei ihnen, dass sie die politische Dimension von Freundschaft wiederaufnehmen, um "Kritik des jetzigen Politikverständnisses zu betreiben" und zugleich Politik "nicht nur als etwas dem Machen, dem Herstellen, dem Taktieren, dem technischen Sachverstand Ausgeliefertes zu beschreiben" – und dagegen die "Offenheit" und "Gastfreundlichkeit" des Politischen hervorzuheben.

Wahrhaftige Rede nur in Freundschaftsbeziehungen möglich

Als Beispiel dafür, wie Freundschaft zur politischen Kategorie werden kann, nennt Eichler das Konzept der "Parrhesia" von Michel Foucault, das dieser in den Achtziger Jahren, mit Bezug auf die griechische Antike entwickelt hat. Gemeint sei damit die Tugend der freimütigen bzw. wahrhaftigen Rede. Dabei gehe es darum, "eine Übereinstimmung zu entwickeln zwischen dem was wir sagen und dem was wir tun." Die dazu erforderliche Arbeit an sich selbst gelinge aber nur in Freundschaftsbeziehungen.
Eichler sieht darin eine politische Dimension der Freundschaft: "Dass wir uns selbst also als Subjekte konstituieren in Freundschaftsbeziehungen, die das Moment der Freimütigkeit, der wahren Rede ganz stark thematisieren." Denn daraus könne eine "Moralität des Widerstands" erwachsen, gegenüber all jener Politik, die Freiheit und Gleichheit nur abstrakt betone, gegen "Fremdbestimmung" und "manipulative Meinungsbildung".

Buchtipp:
Klaus Dieter Eichler (Hg.): Philosophie der Freundschaft

Reclam, 1999
255 Seiten

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