Pharma-Branche

Ein menschenverachtendes Geschäft

Von Christoph Richter · 27.12.2013
Die Medikamententests brachten Vorteilen für beide Seiten: Die DDR bekam die dringend nötigen Devisen, und die ausländischen Pharmaunternehmen konnten ungestört ihre Testreihen durchführen - sie gehen bei dem Thema bis heute auf Tauchstation.
"Ich wollte eigentlich geholfen bekommen. Das war für mich der Vorrang, deshalb bin ich zu der Untersuchung hingefahren …"
… erzählt der heute 60-jährige und aus Gommern bei Magdeburg stammende Hubert Bruchmüller. Zu DDR-Zeiten, ein Mann ohne Namen. Denn für seine Ärzte, die ihn wegen seiner Herzmuskelentzündung behandelten, war er nur Patient Nummer 30. Was Hubert Bruchmüller damals nicht wusste: Ein nicht zugelassenes Medikament sollte an ihm ausprobiert werden. Während der direkte Zimmernachbar bei der Versuchsreihe starb, hatte Bruchmüller Glück und überlebte.
"Dass man da so von den Ärzten belogen wurde, da bin ich sehr enttäuscht. Dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient ausgenutzt wurde, und wir einfach als Versuchskaninchen benutzt worden sind."
Frührentner Hubert Bruchmüller atmet schwer. Vollbart, graue Haare. In den Händen hält er die alte weiße Medikamentendose mit den rot-weißen Pillen.
"Hier gucken sie, das ist ein Zufall, dass die noch erhalten sind, da sind noch Tabletten drin. Alles normal erhalten …"
Gutes Geschäft
Nach ersten Schätzungen des Erlangener Medizinhistorikers Rainer Erices wurden in der DDR in der Zeit zwischen 1983 und 1990 mindestens 180 Medikamente in etwa 150 Krankenhäusern und Polikliniken getestet. Etwa 50.000 Patienten sollen daran - größtenteils unwissentlich - teilgenommen haben.
"Die Verträge mit den Westfirmen wurden stets über eigenständige Firmen des DDR-Außenhandels abgeschlossen, vorrangig durch die Import-Export-GmbH. Eine Ostberliner Firma, die der KoKo zuzurechnen ist, also dem Umfeld der Stasi, Schalck-Golodkowski. Erstaunlich dabei ist, dass diese Mittlerfirma ein Großteil der Valutaeinnahmen durch die Tests selbst einkassierte. Da gehe ich von der Hälfte aus. Um den Rest stritten sich dann die beteiligten Ministerien, sowie die Akademie der Wissenschaft."
Hochrechnungen haben ergeben, so Erices weiter, dass die Genossen der SED damit summa sumarum etwa 10 Millionen D-Mark eingenommen hätten.
Für die Experten ist klar: Die illegalen Medikamententests waren ein menschenverachtendes Geschäft. Mit Vorteilen für beide Seiten. Die DDR bekam die dringend nötigen Devisen, die ausländischen Pharmaunternehmen konnten ungestört, ohne westliche Standards und Kontrollen, ihre Testreihen durchführen.
Letztlich stelle sich hier aber nicht die Frage, ob man Medikamententests machen dürfe, sondern ob sie unter den Bedingungen einer Diktatur erlaubt seien, betont der grüne sachsen-anhaltische Landtagsabgeordnete Sören Herbst.
"Für mich ist die Frage, inwieweit haben sich Firmen, die für sich ja auch in Anspruch genommen haben, auf demokratischem Grund und Boden zu arbeiten, doch auch schuldig gemacht. Indem sie bewusst mit einem Unrechtsstaat Kooperationen aufgenommen haben, um da einfachere Möglichkeiten zu haben, an lebenden Menschen zu testen. Das ist ja nicht nur moralisch, sondern auch juristisch höchst fragwürdig."
Bislang kein Euro Entschädigung
Bis heute gehen die Pharmaunternehmen auf Tauchstation, ein Umstand den insbesondere Roland Jahn, der Stasi-Bundesbeauftragte ausdrücklich kritisiert. Eine vom Bundesinnenministerium und der Stiftung Aufarbeitung bezahlte Expertenkommission soll jetzt in einer auf zweieinhalb Jahre angelegten Untersuchung die Hintergründe der illegalen Medikamententests in der DDR erforschen. Dass die jedoch an der Berliner Charité angesiedelt ist, habe mehr als ein Geschmäckle, meint Sören Herbst, Mitglied des Stasi-Überprüfungs-Ausschusses im sachsen-anhaltischen Landtag.
"Für mich wäre hier eine bessere Lösung gewesen, wenn man eine unabhängige Stelle beauftragt hätte, diese Aufarbeitung zu gestalten. Denn die Charité war selbst auch betroffen, auch dort haben solche Tests stattgefunden. Und dann ein solches Krankenhaus, mit einer solchen Geschichte, damit zu beauftragen, ist schwierig. Weil es Einfallstore bietet, ja wenn nicht für Manipulation, dann doch für Auslegungen, die jetzt vielleicht nicht so ganz unabhängig sind."
Medikamententest-Opfer Hubert Bruchmüller nickt. Und fordert:
"…dass man uns im nachhinein auch richtig entschädigt."
Denn bis jetzt - 23 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR - gab es keinen einzigen Euro.
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