Pflegeheim, Senioren-WG oder zu Hause?

Zu Gast: Elisabeth Niejahr und Konrad Franke · 01.11.2008
Deutschland altert - das beweist einmal mehr die Statistik: Derzeit leben hierzulande rund fünf Millionen hilfs- und pflegebedürftige Menschen, etwa zwei Millionen von ihnen beziehen Leistungen der Pflegeversicherung. 68 Prozent von ihnen werden stationär, 32 Prozent ambulant gepflegt.
Es gibt rund 11.000 Pflegeeinrichtungen mit fast 680.000 Plätzen. Tendenz steigend: Laut einer Studie des "Forschungszentrums Generationenverträge" an der Freiburger Universität könnten im Jahr 2060 sogar sieben Millionen Menschen auf Pflege angewiesen sein.

Gleichzeitig ist kaum eine Branche derart in Verruf geraten, wie die der Alten- und Pflegeheime. 70 Prozent der Deutschen haben Angst vor einem Lebensabend im Pflegeheim, jeder Achte würde sogar lieber sterben als ins Heim zu gehen. Kein Wunder angesichts regelmäßiger Schlagzeilen über Missstände, die auch durch die Prüfberichte des Medizinischen Dienstes der Krankenkassen untermauert werden. Ihnen zu folge bekommt jeder dritte Heimbewohner in Deutschland nicht genug zu essen, rund 35 Prozent werden nicht häufig genug umgebettet und liegen sich wund.

"Unsere Alten- und Pflegeheime sind besser als ihr Ruf", sagt dagegen Konrad Franke. Der Münchner Journalist – geboren 1938 - hat mehr als 200 Heime besucht, hauptsächlich in Süddeutschland, aber auch in der Schweiz, den Niederlanden und den USA und seine Beobachtungen in einem Ratgeber zusammengefasst, Titel: Gut leben im Heim (Piper Verlag 2008).

Seine Überzeugung: "Es gibt nichts Besseres und Vernünftigeres im Alter als das Heim. Ich bin ein Verfechter von Heimen, weil alle anderen Formen zu teuer sind. Es ist teuer, wenn Sie ihre eigene Wohnung umrüsten wollen, das kostet schnell zehntausend Euro. Und wenn Sie sich dann einen Oberschenkelhals brechen oder einen Schlaganfall kriegen – dann müssen Sie doch in ein Heim. Und betreutes Wohnen - das ist ein Immobilienschwindel. Alten-WGs werden von 68ern propagiert – ich kenne keine, die länger als zwei Jahre gehalten hat, wenn einer krank ist, dann sieht das nämlich ganz anders aus."

Konrad Franke, der auch Investoren und Heimträger beim Bau neuer Häuser berät, plädiert dafür, dass sich die Menschen früher mit ihrer Lebensplanung für das Alter beschäftigen, solange sie noch geistig dazu in der Lage sind und flexibel genug, sich um- und einzugewöhnen. Und um auch Einfluss auf die Abläufe zu nehmen.
"Wir müssen früher in die Heime rein, dass wir auch noch etwas von unserem Geld haben. Die US-Amerikaner gehen im Schnitt mit 65 Jahren in eine Einrichtung, in Deutschland ist der Schnitt 86,1 Jahre alt! In den USA regieren die ganz anders mit, die greifen ganz anders in die Abläufe in einem Heim ein. So wird es bei uns auch kommen: Ich werde mit meinen Freunden in den Heimbeirat gehen und als erstes werde ich einen Einblick in den Wirtschaftsplan nehmen."

Elisabeth Niejahr kann diese Begeisterung nicht teilen. "Ich glaube, die Probleme in den Heimen werden eher unterschätzt.", sagt die "Zeit"-Redakteurin, die sich seit langem mit Fragen der Demographie und unserem Renten- und Sozialsystem beschäftigt. "Das ist eine große Debatte, die noch richtig auf uns zukommen wird. Dahinter steht auch die Frage: Wofür gibt die Gesellschaft Geld aus? Für eine angemessene Pflege im Alter oder für eine Hightechmedizin in den letzten Tagen vor dem Tod? Das ist eine heikle Diskussion, die aber in anderen Ländern bereits geführt wird. Vieles wird da totgeschwiegen, auch was die Zustände in Krankenhäusern anbetrifft. Auch die häusliche Pflege ist kein Zuckerschlecken. Und man muss sich überlegen, dass der Medizinische Dienst grundsätzlich nur nach Anmeldung kommt, und dann werden immer noch solche skandalöse Zustände entdeckt."

Die 1965 geborene Autorin des Buchs "Alt sind nur die anderen" (S. Fischer Verlag 2005) weist auch darauf hin, dass die künftige Rentnergeneration viel heterogener sein wird, als die heutige – ein Lebensabend in einem Heim sei allenfalls eine Option unter vielen.

"Es gibt so viele unterschiedliche Lebensformen ältere Menschen. Und das sind nicht nur die staatlich geförderten Mehrgenerationenhäuser, da gibt es Demenz-WGs, wo zehn Bewohner sich Pflegekräfte teilen, sich gegenseitig unterstützen – das wirkt Wunder. Ich hoffe, dass es in 15 – 20 Jahren mehr davon gibt. Ich glaube, solche Mischformen sind attraktiv, und es wird eine große Aufgabe für die soziale Institutionen, dafür entsprechende Räume zu schaffen."

"Pflegeheim, Senioren-WG oder zu Hause? Leben und Wohnen im Alter"
Darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Elisabeth Niejahr und Konrad Franke. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800–22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Literaturtipps:
Konrad Franke: "Gut leben im Heim. Unsere Alten- und Pflegeheime sind viel besser als ihr Ruf", Piper Verlag 2008

Elisabeth Niejahr: "Alt sind nur die anderen. So werden wir leben, lieben und arbeiten", S. Fischer Verlag 2005

Informationen im Internet: Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend