Petre M. Andreevski: "Quecke"

In der Knochenmühle des Ersten Weltkriegs

Buchcover Petre M. Andreevski: "Quecke"
Mit Quecke, einem Unkraut, vergleicht Andreevski die Bevölkerung Mazedoniens. © Guggolz Verlag / imago stock&people
Von Jörg Plath · 05.01.2018
Mazedonien im Ersten Weltkrieg: Serben, Bulgaren, Deutsche und Franzosen kämpfen um das Gebiet. In "Quecke" erzählt Petre M. Andreevski das Schicksal eines Bauernehepaars, das durch die Gewalt die gesamte Familie und ihre Zukunft verliert.
Nach einem Unkraut, der grasähnlichen Quecke, hat der Mazedonier Petre M. Andreevski (1934-2006) seinen jetzt ins Deutsche übersetzten Roman aus dem Jahr 1980 benannt. Mit der äußerst widerstandsfähigen Quecke vergleicht er die Bewohner der Region Mazedonien, denen vor dem Ersten Weltkrieg und in ihm übel mitgespielt wird: Alle Nachbarn, dazu die Deutschen und die Franzosen kämpfen um das Gebiet.
Andreevski erzählt, wie die jahrelangen Gefechte das Bauernehepaar Jon und Velika Meglenoska zerstören. Nach der Heirat wird Jon – wie alle Männer des Dorfes – eingezogen von den Serben, liegt in Gräben und muss zwischen den nutzlosen Sturmangriffen ins feindliche Feuer hinein noch froh sein, nur Läusen zum Fraß zu dienen.

Das große Schlachten

Im Dorf, deren Felder nicht mehr bestellt werden, hungert Velika mit fünf Kindern, die der Reihe nach sterben. Der einzige Halt der Verzweifelten ist die Schwägerin Ulja, die Frau von Mirce, Jons Bruder. Mirce dient als "Meglenov" bei den Bulgaren, die den Mazedoniern eine glorreiche Zukunft bringen wollen, Jon als "Meglenović" bei den Serben, die dasselbe vorhaben, weshalb viele der zu Beglückenden die Zukunft erst mal mit dem Tod bezahlen müssen. Jon überlebt den Krieg mit knapper Not, kehrt schwer traumatisiert zurück ins Dorf und verfällt dem Alkohol, als er vom Tod seiner fünf Kinder hört.
Diese düstere Geschichte, in der die Knochenmühle den basso continuo des gern "Nation Building" genannten Geschehens gibt, erzählt Petre M. Andreevski außerordentlich kraftvoll, abwechslungsreich und in einer nie endenden Gegenwart. Abwechselnd schildern Velika und Jon, wer und was ihnen gerade auf durchweg lebensgefährliche Weise mitspielt. Wenig ist es nicht.
Hunger und Verzweiflung, die Folgen der jahrelangen großen Schlachten, vernichten die geschlossene dörfliche Welt. Den Krieg präsentiert Andreevski als groteskes, absurdes Geschehen. In einer Kampfpause baden serbische und bulgarische Soldaten und die Mazedonier gemeinsam im Fluss zwischen ihren Schützengräben. "Für die meisten ist es das zweite Vollbad in ihrem Leben. Das erste war sicher die Taufe in der Kirche." Bald geht die Flasche reihum, und als der Waffenstillstand endet, stehen manche Trinker noch immer selig mitten im Fluss.

Zwischen Kuhstall und Nation

"Quecke" beginnt mit dem Begräbnis von Velika Meglenoska. Ihr letzter, erst nach Jons Tod geborener Sohn Roden bittet den Trauzeugen seines Vaters, ihm von seinen Eltern zu erzählen. Duko Vendija schlüpft daraufhin abwechselnd in Velika und Jon und lässt sie erzählen. Diese Rahmenkonstruktion nutzt Petre M. Andreevski geschickt, um den Realismus des Dorfromans durch Elemente der Moderne und Postmoderne aufzubrechen. Benjamin Langer hat "Quecke" in ein knorriges, mal vorsichtig archaisierendes, mal lakonisches Deutsch mit einigen Austriazismen übertragen: Ein "Glütel" glimmt, auf dem "Druschplatz" "regenweht" es. Nicht nur der Alltag zwischen Feld und Kuhstall, auch die Geschichte als Verhängnis für jene, die inmitten glühender Nationalismen noch gar nicht als Nation empfinden, wird so handgreiflich erfahrbar.

Petre M. Andreevski: Quecke
Aus dem Mazedonischen von Benjamin Langer
Mit Nachworten von Benjamin Langer und Goce Smilevski
Illustrationen von Valeria Gordeew
Guggolz Verlag, Berlin 2017
446 Seiten, 24 Euro

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