Petitionsausschuss im bayerischen Dorfen

Bürgerinitiative protestiert gegen Lärmschutzwand

Güterzug
Mehr als 250 Züge sollen tagtäglich durch Dorfen fahren, wenn die Bahnstrecke erst einmal ausgebaut ist. © dpa / Oliver Berg
Von Michael Watzke · 09.06.2017
Eine Fünf-Meter-Wand soll die Bürger des bayerischen Orts Dorfen vor Zuglärm schützen. Viele Dorfener sind damit nicht einverstanden. Sie fordern einen Tunnel oder zumindest eine Tieferlegung – und haben den Petitionsausschuss des Bundestags zu sich eingeladen.
Es regnet in Dorfen, in Strömen. Frau Müller hat keinen Schirm dabei, aber das stört sie nicht. Sie hat ganz andere Sorgen.
"Es ist eine Katastrophe, was geplant ist: unmöglich!"
Frau Müller steht neben einem Protest-Plakat. "Tieferlegen!", steht darauf – in roten Großbuchstaben. Frau Müller – die eigentlich anders heißt, aber ihren Namen ungern im Radio hört – deutet auf das Gebäude vor ihr. Dort oben, im dritten Stock, im Trockenen, sitzen drei Bundestagsabgeordnete aus dem fernen Berlin.
"Mein Name ist Gero Storjohann. Ich bin von der CDU/CSU-Fraktion. Neben mir die Kollegin der SPD, Annette Sawade. Und Harald Weinberg von der Linken-Fraktion",
Das Abgeordneten-Trio aus der Bundeshauptstadt ist auf Ortstermin in einem kleinen Städtchen in Oberbayern und vertreten den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages, heute in Dorfen.
"Es geht um einen Teilabschnitt der Ausbaustrecke 38. Petent ist Georg Brandhuber."

"Diese Wände! Es ist unmöglich!"

Der Petent steht unten bei den Demonstranten im Regen. Fahrrad-Händler Georg Brandhuber, den hier alle liebevoll Schorsch nennen, trägt einen Jutebeutel mit Aktenmaterial. "Vor zwei Jahren habe ich den ersten Antrag gestellt, am 11. Mai 2015", erzählt er. Jetzt hat Brandhuber endlich sein Ziel erreicht – der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages tagt in Dorfen.
Brandhuber wird den Abgeordneten gleich in nicht-öffentlicher Sitzung erklären, warum die 13.000 Einwohner seines Heimatstädtchens einen Tunnel brauchen – oder wenigstens einen tiefergelegten Trog für die Bahnlinie München-Burghausen.
"Es fahren jetzt 140 Züge am Tag. Dann fahren 260 Züge am Tag, Tag und Nacht, auch Samstag und Sonntag. Ich erhoffe mir, dass diese drei Leute, aber auch viele andere, die da sind, so viel sehen, dass sie sagen: So geht das nicht!"
Brandhuber deutet auf zwei Stangen, die die Demonstranten mitgebracht haben. Sie ragen fünf Meter in die Höhe. So hoch soll die Lärmschutzmauer aus Beton werden, die die zukünftig zweigleisige Bahnstrecke einzäunen soll. Fünf Meter – das ist mehr als dreimal so hoch wie Frau Müller mit ihren 1,60 Meter
"So etwas darf man mit einem ganz normalen Menschenverstand nicht bauen. Und deswegen sind wir heute hier."

Streit um Zeitverzögerung beim Bau

Keiner der etwa 60 Demonstranten ist gegen den Ausbau der Bahnlinie. Aber alle wollen die Tieferlegung: Die Züge sollen in oder - noch besser - unter die Erde. Die Bürger aus Dorfen haben ausgerechnet, dass die Tieferlegung im Trog preisgünstiger sei als Mauern und Brücken - und zwar um 15 Millionen.
"Aber die gehen her und sagen: Die Brücken zählen beim Bahn-Ausbau nicht mit."
Die – das sind die Ingenieure der Deutschen Bahn. Genau gesagt Klaus-Peter Zellmer von DB Netze, der für den Ausbau der Bahnstrecke Richtung Brennerbasistunnel in Österreich zuständig ist. Zellmer will keine Zeit verlieren.
"Wenn wir eine Trog- oder Tunnellösung bauen müssen, mit einer Bauzeit von zwei Jahren länger, also on top".
Und das würde alle treffen:
"Pendler, S-Bahn-Anschluss, auch die Elektrifizierung der Strecke bis Freilassing. Und natürlich auch das Chemie-Dreieck. Die würden zwei Jahre länger auf den alten Schienen fahren."
Dabei ist die Zeitverzögerung nur ein Streitpunkt. Der andere, wichtigere, ist die Kostensteigerung.
"Unsere Berechnungen sind im dreistelligen Millionenbereich. Wenn wir statt unserer Lösung die Tieferlegung mit Trog und Tunnel planen. Dreistellige Millionensumme on top!"
Also irgendwo bei 200 Millionen Euro, prognostiziert Zellmer. Allein in Dorfen. Ganz zu schweigen von den anderen Gemeinden entlang der Bahnstrecke, die dann auch auf den Geschmack kämen.

Tunnel, Wand oder Alternativtrasse

Deshalb verkündet der Abgeordnete Storjohann vom Petitions-Ausschuss, dass es eine Alternativ-Trasse gebe, die vielleicht auch eine Neutrassierung wäre. Sie würde den innerstädtischen Verkehr wesentlich eleganter gestalten.
"Wäre aber auch mit Mehrkosten von 100 Millionen verbunden. Die Problematik ist, dass hier am Tisch derzeit niemand sagen kann, wer diese 100 Millionen trägt. Die Bahn? Die Stadt? Der Petitionsausschuss? Der Freistaat Bayern? Diese 100 Millionen aufzubringen, ist ein Problem, dem wir uns jetzt widmen müssen."
Deshalb geht es erst einmal raus, an die Bahnstrecke. Schließlich ist das ein Ortstermin. Nach 20 Minuten Fußmarsch durch den Regen steht der Tross aus 50 Experten am Ortsrand. Direkt an der Bahnlinie. Der Dorfener Bürgermeister Heinz Grundner will gerade erklären, welche Arbeiten die Gemeinde schon vorgenommen hat.
"In diesem Bereich laufen gerade die Boden-Untersuchungen und sobald wir die dann auch einmal bekommen..."
Ein Güterzug rattert vorbei. Zwanzig Tankwagen aus dem nahegelegenen Chemiewerk.
Die Abgeordnete Sawade hält sich die Ohren zu. Jetzt wäre eine Lärmschutzwand nicht schlecht – nur sieht die halt nicht schön aus. Ein Trog oder gar Tunnel wäre schöner. Aber der Pressesprecher der Bahn-Gesellschaft "DB Netze" ist skeptisch.
"Wir haben ungefähr 1000 bis 2000 Bodenerprobungen vorgenommen. Und dabei hat sich herausgestellt, dass wir verschiedene Parameter haben. Heikle Böden mit Tonen, mit Sand, mit Schluffen. Das ist alles nicht das, was ein wunderbares Fundament abgeben würde."
Am schwierigsten aber sei das Grundwasser, gespanntes Grundwasser.
"Die Münchner kennen das gut: Wenn man da eine Baugrube aushebt, läuft die innerhalb von Tagen mit Grundwasser zu."

Zerstört eine Lärmschutzwand die bayerische Heimat?

Bei Infrastruktur-Vorhaben wie der Bahn-Ausbaustrecke 38 ermittelt der Bund als Auftraggeber einen sogenannten Kosten-Nutzen-Faktor. Das heißt, die öffentliche Investition muss sich rechnen – durch höhere Steuer-Einnahmen, mehr Gewerbeansiedlungen und eine generell höhere Prosperität in der Region. Ein Projekt in dieser Größenordnung braucht einen Kosten-Nutzenfaktor von mindestens 1,0 – jeder Euro Steuergeld muss also mindestens einen zusätzlichen Euro erwirtschaften.
Der Bahnstrecken-Ausbau in Oberbayern liegt derzeit bei 1,2. Sollte die Strecke jedoch viel teurer werden, könnte er unter 1,0 sinken. Schorsch Brandhuber, dem Dorfener Heimatschützer, ist diese Berechnungsweise fremd.

"Denn der Sinn ist doch, dass wir unsere bayerische Heimat weiterhin für unsere Kinder und Enkel erhaltem."
Zerstört eine Lärmschutzwand am Ortsrand die bayerische Heimat? Brandhuber zählt auf, welche Gemeinden in Bayern einen Gleistunnel bekommen haben, samt unterirdischem Bahnhof, zum Beispiel Unterföhring und Ismaning bei München. Das hat Hunderte Millionen Euro gekostet.
"Aber von den Kosten redet heute kein Mensch mehr, wissen’s? Zuerst heißt es, alles nicht bezahlbar. Und wenn es dann bezahlt wird und man schaut sich das Ergebnis an, dann sagt jeder: Schee is! Gut is worn! Und für die Zukunft unserer Kinder darf man sich nicht alles gefallen lassen!"

"Was dann rauskommt, das geschieht in Berlin"

Ob der Petitions-Ausschuss das ähnlich sieht? Die Abgeordneten hören aufmerksam zu, lassen sich aber nicht anmerken, was sie denken. Langsam wandert der Tross weiter entlang der Bahnlinie, zwei Stunden lang. Dann treffen sich alle wieder im Konferenzraum. Gero Storjohann erklärt, wie es jetzt weitergeht:

"Es wird so sein, dass wir mit unseren Eindrücken nach Hause gehen. Wir haben noch um ein, zwei schriftliche Stellungnahmen gebeten. Dann werden wir eine neue Bundestagswahl im September haben. Dann wird der Petitionsausschuss sich im Januar neu konstituieren."
Und dann wird es mindestens noch bis Mai 2018 dauern, bis eine Entscheidung fällt. Georg Brandhuber, der Petent von der Bürger-Initiative, hat gemischte Gefühle.
"Ich weiß natürlich nicht, was alles besprochen wurde. Dafür war der Tross zu groß. Das ist dies gesprochen wurden und das und wieder was anderes. Tja, was dann rauskommt, das geschieht in Berlin, nicht in Dorfen."
Das ganze Bauprojekt soll dann 2030 fertig sein. Wenn es gut läuft. Kann aber auch noch länger dauern.
(lk/mkn)
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