Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals

Vorgestellt von Reinhard Kreissl · 12.06.2005
Peter Sloterdijk hat wieder ein Buch über die Welt geschrieben. Der Text mit dem Titel "Im Weltinnenraum des Kapitals" gehört in den Worten des Autors zum Genre einer politischen Poetik des Raums.
Es hebt weit ausholend an, wie immer bei Sloterdijk, der die Dinge gerne mit selbst gebastelten Begriffen vom Grunde her betrachtet. Es geht diesmal um Globalisierung, einen Prozess, der bei Sloterdijk früh beginnt und heute als abgeschlossen zu gelten hat. Jetzt, so heißt es, leben wir im Global Age. Sloterdijk bedient sich in seinen ausführlichen Erörterungen der Sprache der Seefahrer, die er als Hauptakteure der terrestrischen Globalisierung ausmacht. Die Er-Fahrbarkeit des Globus beginnt mit den Expeditionen des Columbus und kommt mit der Einführung eines globalen Währungssystems zu ihrem Ende und daher ist Globalisierung eine exakt datierbare Phase von 1492 bis 1945. Eine ebenso kühne, wie originelle Datierung. Aber Sloterdijk spielt gerne mit dem Skurrilen.

Ein bisschen wirkt der Autor, als müsse er das Rad neu erfinden. Seinen Kollegen von der philosophischen Fakultät hält Sloterdijk vor, das Thema Globalisierung weitgehend übersehen zu haben. Das hat mehrere Gründe, zum Beispiel die Sesshaftigkeit.

"Der Form nach wäre eine Philosophie, die ihrem Ruf, den Weltbegriff der Neuzeit zu formulieren, hätte gehorchen wollen, dazu bestimmt gewesen, sich als schwimmende Fakultät, zumindest als Hafen-Autorität Alteuropas zu konstituieren. Es ist das Elend der kontinentalen und ganz besonders der deutschen Philosophie gewesen, dass sie bis ins 20.Jahrhundert zumeist an die Atmosphären und Moralen kleiner Provinzresidenzen gebunden blieb, in denen die philosophischen Studien kaum etwas anderes sein konnten, als die Fortsetzung der Ausbildung von niederer Geistlichkeit mit anderen Mitteln. "

Dementsprechend findet Sloterdijk Erhellendes auch eher bei Jules Verne und er lässt Melvilles Kapitän Ahab als Kronzeugen für die Fragen der nautischen Denk- und Lebensweise auftreten. Kopfschüttelnd stellt er fest, dass Schlüsselbegriffe wie "Entdeckung" in den Wörterbüchern der akademischen Philosophie gar nicht verzeichnet sind.
Sloterdijks Verfahren ist eine Art bildlogisches Assoziieren. Das schadet oft der Stringenz des Gedankens, bringt aber dafür die eine oder andere verblüffende Verbindung hervor und lässt den schnellen Leser mit dem Gefühl einer wohligen Verwirrung im Angesicht atemberaubender Zusammenhänge zurück. Schwieriger wird es, wenn man das Gelesene resümieren sollte. Es bleibt unterm Strich der Eindruck, wenig substanziell Neues erfahren zu haben. Die klassischen Topoi der Globalisierungsdebatte werden durchdekliniert, man hört Bekanntes, nur eben in der poetischen mäandernden Sprache Sloterdijks. Wer es lieber präziser hätte, der findet bei Niklas Luhmann und den Systemtheoretikern Konziseres über das abstrakte Verhältnis von Innen und Außen, das Sloterdijk mit seiner Blasen-, Sphären- und Globenmetaphorik sprachlich zugrunde richtet. Die tief greifende Veränderung im Raum-Zeitgefüge, auch ein Standardthema der Globalisierungsdebatte, ist bei Zygmunt Bauman, John Urry oder dem frühen Tony Giddens besser und lesbarer beschrieben, als in diesem Buch. Die historisch-systematische Phaseneinteilung erinnert an die bekannte und plausible Unterscheidung von traditioneller und reflexiver Moderne. Bei Sloterdijk klingt das so:

"Wenn die ‚Geschichte’ ihr Momentum gewann mit dem Aufblitzen der Einseitigkeit, die im Dialekt von Erstschlägen, Ausfahrten und Übergriffen zur Mitwelt spricht, musste die Nachgeschichte sich ganz der Entdeckung und Erduldung der Rückkopplungen zukehren. Gewiss, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, aber was tun, wenn die Stunde der Nebenwirkungen geschlagen hat? Nun fängt eine zweite Phase der Weltnahme, als Selbstzurücknahme, an - beherrscht durch die Neo-Erinnyen unserer Zeit. ... Sie heißen künftig Rückkopplung, Multilateralität, Verantwortung. "

Und last not least, um uns zu erklären, dass es bei der ganzen Globalisierung letztlich um Kapitalvermehrung und Geldverdienen geht, dazu sind vierhundert Seiten Sloterdijk auch nicht erforderlich.

Oft springt Sloterdijk als sprachlicher Tiger, um dann als intellektueller Bettvorleger zu landen. Das gilt für den ersten historischen Teil seiner großen Erzählung, der unter dem Titel "Zur Entstehung des Weltsystems" 27 Kapitel umfasst. Aber auch der zweite, stärker zeitdiagnostisch ausgerichtete Teil - 14 Kapitel unter der Überschrift "Das große Interieur" - reitet die eine oder andere Metapher zu Tode. Aufs Ganze gesehen endet der Autor seinen Ritt über den Globus in einer völlig unerwarteten Bescheidenheit mit einem fast biedermeierlichen Lob des Banalen und Lokalen.

Dennoch handelt es sich hier um einen erfrischenden, weil nicht nur sprachlich manierierten, sondern phasenweise auch erfreulich respektlosen Text. Sloterdijks an Nietzsche und Schopenhauer geschulter Blick auf die Welt bringt immer wieder erhellende Deutungen zu Tage. Das zeigt sich insbesondere, wenn er im thematischen Horizont von Globalisierung auf zeitaktuelle Themen eingeht, die in der politischen Erregung nur verzerrt dargestellt werden. Seine Analyse des so genannten globalen Terrorismus etwa rückt dieses Phänomen in die ihm angemessenen Bezüge ein.

" Terrorismus hat sich als Strategie einseitiger Expansion auf dem posthistorischen Kontinent ‚Aufmerksamkeit’ bewährt: Er durchdringt die Gehirne der ‚Massen’, ohne auf nennenswerten Widerstand zu stoßen, und sichert sich ein bedeutendes Segment auf dem Weltmarkt der thematischen Erregungen. Er ist ... eng mit den modernen Aktions- und Medienkünsten verwandt... Aus der Entwicklung solcher Techniken im Lauf des 20. Jahrhunderts wurde erkennbar, dass die Verwendung von Schocks kein Beweis für die Großartigkeit eines Werks ist, sondern ein einfacher Marketingmechanismus. Stockhausens zu Recht weltberühmt gewordener Eifersuchtsausbruch gegen die Urheber des New Yorker Dramas sagt mehr über die Wahrheit dieses Tages als die gesamte Septemberliteraturindustrie. "

Alles in allem betreibt Sloterdijk hier literarisch-philosophische Essayistik, ein Genre, das im deutschen Sprachraum leider viel zu kurz kommt. Der Autor beherrscht diese Form. Er breitet Abseitiges und Bekanntes aus, arbeitet mit gelehrten Anspielungen und allerlei Tricks und belegt dabei aber leider allzu oft auch die alte Weisheit, dass nicht alles, was hinkt, auch ein Vergleich ist.

Wer sich durch pop-philosophische Neologismen und poetische Mäander nicht abschrecken lässt, dem sei Sloterdijks Buch als erbaulich-vergnüglicher Versuch über das Problem der Globalisierung in kritischer Absicht empfohlen. Es ist lesbarer als die meisten Fachtexte zum Thema und gehaltvoller als die nur auf Effekt zielenden Sachbücher. Zwar lässt auch Sloterdijk keine Gelegenheit aus, effektreich zu formulieren, aber zumindest nimmt man ihm ab, dass er über weite Strecken weiß, wovon er in schönen Sätzen schreiben möchte.

Peter Sloterdijk:
Im Weltinnenraum des Kapitals
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2005
Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals
Peter Sloterdijk: Im Weltinnenraum des Kapitals© Suhrkamp Verlag