Persönlichkeit als Puzzle

07.11.2006
Die Autoren der Biografie schildern minutiös alle Stationen des Aufstiegs von Ariel Scharon. Sie zeigen, wie stark dieser vom Zufall abhängig war und wie geschickt Scharon auch Niederlagen zum eigenen Vorteil nutzen konnte. Gadi Blum und Nir Hefez haben eine historisch-politische Biografie geschrieben. Sie nehmen keine psychologische Deutung vor, stellen Scharons Taten dar, bewerten sie nicht.
Es gibt seit dem schweren Schlaganfall Ariel Scharons im Januar dieses Jahres keinen einflussreichen israelischen Politiker mehr, der so eng mit der bewegten Geschichte seines Landes verbunden ist, wie Scharon es war.

Geboren 1928 als Sohn zionistischer Einwanderer aus Russland, wuchs Ariel Scharon in äußerst bescheidenen Verhältnissen auf. Seine Eltern bewirtschafteten im britischen Mandatsgebiet Palästina eine winzige Farm. Sie kamen aus guten Familien, waren Akademiker, lebten nun aber als Bauern weit unter ihrem Niveau. Von jüdischen Nachbarn wurden sie als Snobs angesehen, von den arabischen als Juden bedroht.

Zeitlebens übernahm Ariel Scharon aktiv die in seiner Kindheit erlittene Rolle des stolzen, unnachgiebigen Außenseiters. Er lernte früh, dass man sich nicht anzupassen braucht, wenn man nur stark genug ist. Mit vierzehn Jahren schloss er sich der Hagana an, der jüdischen militärischen Kampforganisation in Palästina. Er wurde Ausbilder, Offizier und noch vor Staatsgründung Kommandeur. Seine Ernsthaftigkeit und Willensstärke fielen auf. Von den Vorgesetzten wurde er befördert, die Mannschaften vertrauten ihm.

In den 50er Jahren festigte sich Scharons Ruf als militärischer Shooting Star. Er befehligte eine Sonder- dann eine Eliteeinheit der Armee, wurde als Draufgänger bekannt. Moshe Dayan, Ben Gurion, später auch Yitzhak Rabin förderten den unkonventionell agierenden Scharon, obwohl der gerne seine Vorgesetzten brüskierte.

Er galt als gewiefter Taktiker, aber auch als notorischer Lügner. Scharons Stolz und ungezügelter Ehrgeiz, seine Impulsivität und Disziplinlosigkeit, führten zu beständigen Konflikten. Trotz der daraus resultierenden Rückschläge stieg Ariel Scharon zu einem der bedeutendsten israelischen Militärs auf und war nach dem Yom-Kippur-Krieg eine der populärsten Persönlichkeiten des Landes.

Die Autoren der Biografie schildern minutiös alle Stationen seines Aufstiegs. Sie zeigen, wie stark dieser vom Zufall abhängig war und wie geschickt Scharon auch Niederlagen zum eigenen Vorteil nutzen konnte: "Scheitern war für Scharon etwas Konstruktives". Auch später in der Politik. Deren Kunst, so Scharon, bestehe nicht darin, "gegen den Strom zu kraulen, sondern sich zur Rettung der eigenen Karriere treiben zu lassen."

Scharon war der erste israelische General, der nicht Mitglied der Arbeiterpartei wurde. Er gründete mit Menachem Begin die rechte Likudpartei und veränderte so auf einen Schlag und nachhaltig die israelische Parteienlandschaft. Seine politische Karriere, das wird deutlich, ähnelte seiner militärischen. Auch hier ging er als "Bulldozer" vor. Er nutzte rücksichtslos und unkonventionell seinen Handlungsspielraum in verschiedenen Ministerämtern und wechselnden Koalitionen. Polarisierte, taktierte und manipulierte. Die Frage, ob Scharon dabei vorwiegend persönliche oder nationale Ziele verfolgte, lässt die Biografie offen.

Beharrlich suchte Scharon das Primat des Handelns zu behaupten; dessen tiefere Motive untersuchen die Autoren jedoch nicht. Deutlich wird, dass Scharon immer stark intuitiv und furchtlos agierte. Politik betrieb er aus seiner Erfahrung und mit der Logik eines Militärs. Die beiden jungen Autoren zeichnen ihn als Hardliner und Falken, nicht jedoch als Ideologen. Sie zeigen, dass Scharon immer auch bereit war, sich veränderten Realitäten anzupassen - sofern er sie selbst nicht verändern konnte.

So erscheint er vor allem als Pragmatiker der Macht. Egozentrisch in seinen Entscheidungen, doch nicht verbohrt. Eine zwiespältige Mischung von Krieger, Bauer und Volkstribun, Guru und Schafhirte, keineswegs sympathisch, nötigt er dem Leser aber Respekt ab. Umso mehr, als man in der Biografie auch von privaten Schicksalsschlägen erfährt, die einen weniger starken Menschen vermutlich umgeworfen oder zumindest gebremst hätten.

Gadi Blum und Nir Hefez haben eine historisch-politische Biografie geschrieben. Sie nehmen keine psychologische Deutung vor, stellen Scharons Taten dar, bewerten sie nicht - wohl ahnend, dass die Geschichte noch kein endgültiges Urteil über den Politiker Scharon gesprochen hat. Sie begreifen ihn als großes Puzzle. Fügen sachlich Information an Information. Listen gleichmütig Skandale wie Erfolge auf. Mitunter wirkt das etwas eintönig. Auch bedarf es einer gewissen Kenntnis der Verhältnisse im Nahen Osten. Man lernt Scharon als ein großes, antriebstarkes Rad im Gefüge dieser Verhältnisse kennen. Als Mensch bleibt er einem fern.


Rezensiert von Carsten Hueck

Gadi Blum, Nir Hefez: Ariel Scharon. Die Biographie
Aus dem Amerikanischen von Helmut Dierlamm und Hans Freundl.
Hoffmann und Campe, Hamburg 2006, 591 Seiten, 25 Euro