Pegida-Demonstranten

Fremdenangst aus Verunsicherung

Teilnehmer einer Pegida-Kundgebung in Dresden
In Dresden gehen jeden Montag Pegida-Anhänger auf die Straße. Gestern waren es 15.000. © dpa / picture alliance / Arno Burgi
Moderation: Liane von Billerbeck · 16.12.2014
Aus einer Verunsicherung heraus würden viele Pegida-Demonstranten eine offene, pluralistische Gesellschaft ablehnen, vermutet der Schriftsteller Zafer Şenocak. Es sei deshalb wichtig, "dass wir diese Menschen einbinden, dass wir auch mehr über Demokratie sprechen, was das genau bedeutet."
"Wir können nicht verhindern, dass Menschen sich eben in die moderne, offene, pluralistische Gesellschaft schlecht einordnen": Davon ist Zafer Şenocak überzeugt. Das sei auch in anderen Ländern Europas und bei den Muslimen so. "Wichtig ist, dass die Demokraten und diejenigen, die die offene Gesellschaft befürworten, zusammenstehen und auch ein Gespräch suchen", so Şenocak.
Lernen, die Verunsicherung auszuhalten
Man müsse fragen, was die Gemütslage dieser Menschen sei: "Ich glaube, das ist eine große Verunsicherung. Jeder, der die Freiheit liebt, muss auch lernen, die Verunsicherung (...) auszuhalten." Das fehle ein bisschen in dieser Gesellschaft. Allerdings: Die Grenze sei die Gewalt. "Wer der Gewalt (...) das Wort redet, der hat keinen Platz", sagte Şenocak.
Die eigene Stärke wird umgekehrt in eine Schwäche
Aus Sicht der Schriftstellers sind die Pegida-Demonstrationen Ausdruck einer "Identitätslücke": Man gehe nicht auf die Straße, um zu sagen, wie stark die deutsche Wirtschaft sei. Vielmehr habe man das Gefühl, Deutschland sei gerade dabei, sich abzuschaffen und die Deutschen eine Minderheit. "Die eigene Stärke wird umgekehrt in eine Schwäche, in eine Opferrolle", so Şenocak. In diese "Identitätslücke" könnten Radikale stoßen.

Das Interview im Wortlaut:
Von Billerbeck: 15.000 Menschen auf einer Demonstration der Anti-Islam-Bewegung Pegida gestern Abend wieder in Dresden. Es gab auch Gegendemonstranten und -eindrücke und es gab Demonstrationen in Bonn, weniger von Bogida gingen dort auf die Straße, mehr die dagegen waren. Trotzdem bleiben auch die Eindrücke von denen, die sich fürchten, und denen, die das völlig anders sehen, wie gestern bei einer Demo in Bonn:
"Ich bin fest davon überzeugt und habe mich damit befasst, dass die Islamisierung auf dem Vormarsch ist."
"Was mir da besonders missfällt, ist, dass so eine Stimmung aufgemacht wird, die sich letztlich fremdenfeindlich zumindest anfühlt. Dass hier einfach gesagt wird, so eine Stimmung verbreitet wird, sind zu viel, es kommen zu viele zu uns, wir müssen aufpassen, wir werden islamisiert ... Das sind, glaube ich, alles Befürchtungen, die mit der Realität nicht viel zu tun haben."
Von Billerbeck: Eindrücke gestern von einem Bogida-Demonstranten und einem Gegendemonstranten aus Bonn. Und über diese Angst vieler Deutscher vor dem Islam, vor der – in Anführungsstrichen – Überfremdung wollen wir jetzt sprechen mit dem vielfach preisgekrönten Schriftsteller Zafer Şenocak, dessen Buch "Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift" – ich glaube, das ist vor drei Jahren erschienen – sich wie eine Erklärung dessen liest, was wir gerade erleben. Schönen guten Morgen, Herr Şenocak!
Zafer Senocak: Ja, guten Morgen!
Man möchte unter sich bleiben
Von Billerbeck: Woher kommt diese Angst der Deutschen? Wenn wir beachten, dass in Dresden 0,1 Prozent der Dresdner Bürger Muslime sind, in Sachsen, glaube ich, 0,2 Prozent, also eine verschwindende Zahl – 4.000 Menschen sind das genau –, warum hat man da Angst?
Şenocak: Zunächst einmal ist es ja kein neues Phänomen, ich glaube, dass es in der Bundesrepublik wie in vielen anderen europäischen Ländern auch einen Teil der Bevölkerung gibt, die mit den Verhältnissen der gemischten Gesellschaft nicht zurechtkommen, die das auch nicht will. Man möchte unter sich bleiben, man möchte eine geordnete Welt haben.
Ich sehe das direkt im Zusammenhang mit diesen Äußerungen, die ja bei den letzten Landtagswahlen in einigen ostdeutschen Bundesländern gemacht wurden, wo herauskam, dass es eine ganze Reihe von Bürgern gibt, die die Verhältnisse in der DDR viel positiver bewerten, als es so üblich ist. Dass sie sagen, es war viel sicherer, es war viel geordneter, Ordnung ...
Von Billerbeck: Und fast keine Ausländer.
Şenocak: Das wurde nicht einmal thematisiert, aber dieses Sicherheitsthema war im Vordergrund, auch dieses, wahrscheinlich geht es ja auch in Bereiche rein, in Alltagsbereiche, im Wirtschaftsleben und so weiter ... Das heißt, es gibt tatsächlich diese Strömung der Ordnungsliebenden. Und Vielfalt wird schon per se als Unordnung wahrgenommen. Das heißt, wenn Menschen, Fremde nach Deutschland kommen, dann haben sie sich unterzuordnen und einzuordnen, zu integrieren, meint nichts anderes als zu assimilieren. Das heißt, sie müssen mit ihren Symbolen, ihrer Andersheit möglichst schnell verschwinden.
Ein Gefühl der Verunsicherung
Von Billerbeck: Das heißt, sie sollen so werden wie die, die schon da waren.
Şenocak: Irgendwie ja. Und jetzt kommt aber das zweite Problem: Wie sind denn die, die sozusagen schon immer da waren? Wie ist eigentlich Deutschland national aufgestellt sozusagen, was für ein Gefühl herrscht hier? Und ich glaube, da sind sich eben viele Deutsche auch unsicher. Und das macht diese Bewegung aber eben auch gefährlich, weil man nicht so ganz klar sagen kann, in welche Richtung geht das jetzt, ist das jetzt ein neuer Nationalismus? Auf jeden Fall, das ist ein Nationalismus, was jetzt sich bemerkbar macht.
Das heißt, man will ja auch das Deutsche verteidigen, man geht ja auch mit Fahnen auf die Straße, man bekennt sich ja auch ganz stark zu diesen Symbolen, aber zu was anderem bekennt man sich noch? Weil, Deutschland ist ja ein sehr starkes Land, vor allem stark geworden durch den Rechtsstaat, durch die Meinungsvielfalt ...
Von Billerbeck: Also genau das, womit diese Leute ein Problem haben?
Şenocak: Das würde ich so pauschal nicht sagen. Ich glaube, dass man mit diesen Menschen diskutieren muss über die Werte in dieser Gesellschaft, viel offener, viel klarer. Und vielleicht müssen wir auch akzeptieren, dass es einfach Menschen gibt – das ist übrigens auf der anderen Seite genauso, wenn wir über Muslime sprechen –, es gibt Menschen, die sich einfach in die moderne Gesellschaft nicht einordnen. Was machen wir mit denen? Also, die müssen ja nicht gleich gewalttätig sein. Ich glaube, die wichtige Grenze ist die Gewalt. Also, wer der Gewalt sozusagen das Wort redet, der hat keinen Platz. Da muss man sehr vorsichtig sein, egal welcher Couleur.
Aber jenseits dieses ... wirklich zu diskutieren über Lebensentwürfe, Lebensvorstellungen ... Wir haben das ja auch in der Schweiz immer wieder gesehen, man will ja die Schweiz jetzt nicht als einen faschistoiden Staat bezeichnen. Aber es gibt immer wieder Umfragen in der Schweiz, die fremdenfeindlich ausgehen oder in der Nähe dessen landen. Das hat mit Ängsten zu tun, aber eben auch mit Lebensentwürfen.
Es gibt Menschen, die wollen in ihrem Vorgarten, in ihrem Reihenhaus, in ihrem Viertel unter sich bleiben und die wollen keine Fremden in der Gegend. Und das müssen sie auch so ausdrücken, damit man auch weiß, was wirklich gemeint ist, und nicht irgendwie so verblümt drum herumreden.
Die eigene Stärke wird umgekehrt in eine Schwäche
Von Billerbeck: Trotzdem macht uns das ja Angst, wenn da in Dresden 15.000 Menschen zu einer Anti-Islam-Bewegung auf die Straße gehen. Ich habe nun in dem Buch, was ich vorhin erwähnt habe – "Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift" –, von Ihnen gelesen, die Deutschen haben keine positive Definition davon, wer sie sind und was sie ausmacht, und manchmal haben sie nicht mal Wörter dafür. Das heißt ja, das ist ein Identitätsproblem?
Şenocak: Absolut, das ist eine Identitätslücke. Und eigentlich sind diese Demos jetzt so eine Instauration dessen. Weil, was macht man denn eigentlich? Man geht ja nicht auf die Straße und sagt, wir bauen die besten Autos, wir haben die besten Ingenieure, wir haben in Europa in dieser Krise die stärkste Wirtschaft, nein, darüber redet man gar nicht, sondern man hat das Gefühl, das Land ist gerade dabei, sich abzuschaffen, sich sozusagen ... nicht mehr vorhanden zu sein, in Gefahr, die Deutschen sind eine Minderheit, sie werden überrollt. Also ganz im Gegenteil, das ist so eine ganz komische ...
Die eigene Stärke wird umgekehrt in eine Schwäche, in eine Opferrolle. Und das ist eben genau diese Identitätslücke, in die eben auch Radikale reingehen können. Das ist sehr gefährlich, weil dieser Nationalismus, der überall da ist, in ganz Europa, in vielen anderen Ländern auch, der ist ja in Deutschland letztlich durch die Geschichte natürlich, auch zu Recht, beiseite gedrängt worden, doch was ist an die Stelle getreten?
Von Billerbeck: Nun habe ich gestern mit dem Pfarrer der Kreuzkirche in Dresden gesprochen, der unter anderem nicht die Gegen-, wie er sagte, sondern die Für- oder Pro-Demos organisiert, aber gegen Pegida auf die Straße geht. Und viele dieser Gegendemonstranten sagen auch, das ist so eine wabernde Gruppe von Menschen, denen wir da gegenüber stehen, man kann nicht genau greifen. Also, bei den Führungskräften ja, aber bei dem Publikum eben nicht. Was raten Sie denn den Gegendemonstranten, was raten Sie der Politik, was muss man da tun, was lässt sich da tun?
Şenocak: Wir müssen wirklich die Entwicklung in Teilen Deutschlands, vor allem im Osten, wirklich endlich ernst nehmen. Das ist ja ein Phänomen, das seit den 90er-Jahren immer wieder sichtbar wird.
Die Demokraten müssen zusammenstehen
Von Billerbeck: In Aufs und Abs.
Senocak: Richtig. Und wir müssen wirklich schauen, dass wir diese Menschen mehr einbinden, dass wir auch mehr über Demokratie sprechen, was das genau bedeutet. Und letztlich, einiges können wir auch nicht verhindern. Wir können nicht verhindern, dass es Menschen gibt, die sich eben in die moderne, offene, pluralistische Gesellschaft schlecht einordnen. Das ist so. Das wird bei den Muslimen genauso sein wie bei den Deutschen, den Engländern und den Franzosen, das werden wir immer wieder haben.
Und wichtig ist, dass die Demokraten und diejenigen, die die offene Gesellschaft befürworten, zusammenstehen und auch ein Gespräch suchen. Also nicht pauschal jetzt alle als Faschisten und Nazis und was weiß ich was beschimpfen, das bringt überhaupt gar nichts, sondern dass man wirklich schaut, was passiert da, was ist eigentlich die Gemütslage dieser Menschen? Ich glaube, das ist eine große Verunsicherung. Und jeder, der die Freiheit liebt, muss auch lernen, die Verunsicherung zu lieben und zu schätzen.
Von Billerbeck: Und auszuhalten.
Şenocak: Und auszuhalten! Und das fehlt uns ein bisschen in dieser Gesellschaft.
Von Billerbeck: Der Schriftsteller Zafer Şenocak. Wenn Sie das noch mal nachlesen wollen in aller Gänze, dann empfehle ich Ihnen sein Buch: "Deutschsein. Eine Aufklärungsschrift" ist bei der edition Körber-Stiftung erschienen. Herr Şenocak, danke für das Gespräch!
Şenocak: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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