Patzelt: Rechts ist nicht gleich rechtsextrem

Werner Patzelt im Gespräch mit Susanne Führer · 02.12.2008
Es sei in Deutschland üblich geworden unter dem Etikett "rechts" alles von nicht links bis rechtsextremistisch zusammenzufassen, meint Werner Patzelt von der TU Dresden, und plädiert für einen differenzierten Umgang mit den Begriffen. Ein SPD-Abgeordneter hatte in der "SZ" die Diskussion angestoßen und die Begriffsverwirrung auch in seiner eigenen Partei kritisiert.
Susanne Führer: Kampf gegen rechts. Das klingt irgendwie immer gut, denn gegen Rechts ist ja bekanntlich jeder anständige Mensch hierzulande. Ob nun engagierte Bürger, ob Journalisten, Politologen oder Politiker, gegen Rechts zu sein, ist nicht nur Ehrensache, das ist eine Selbstverständlichkeit. Aber was oder wer ist denn eigentlich rechts? Ist ein Rechter automatisch ein Nazi? Ist er automatisch rechtsextrem? Nein, meint Mathias Brodkorb, das ist ein SPD-Abgeordneter aus Mecklenburg-Vorpommern. Er findet, dass die Begriffsverwirrung von rechts und rechtsextrem, die auch von seiner eigenen Partei betrieben werde, der politischen Kultur schadet und auch der SPD. Das alles war am vergangenen Wochenende in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen und über diese Thesen will ich nun mit Werner Patzelt sprechen. Er ist Professor an der TU Dresden und hat dort den Lehrstuhl für politische Systeme und Systemvergleiche inne. Guten Tag, Herr Patzelt!

Werner Patzelt: Guten Tag!

Führer: Der Sozialdemokrat Mathias Brodkorb wirft seiner Partei, nicht nur ihr, einen undifferenzierten Umgang im Kampf gegen Rechts vor. Hat er recht?

Patzelt: Ja, da hat er vollständig recht. Es ist in Deutschland üblich geworden unter dem Etikett "rechts" alles von nicht links bis rechtsextremistisch zusammenzufassen. Und das Ganze hat im Grunde die Funktion, die CDU mit wirklichen Rechtsradikalen und Rechtsextremisten in einen Topf zu werfen und vom hohen Turm des wahrhaft politisch Korrekten aus den bösen Gegner zu bekämpfen. Und dass das hier nun differenzierter gesehen werden soll und dass Sozialdemokraten selbst zu dieser Einsicht gelangen, das ist äußerst lobenswert.

Führer: Sehen wir uns den bösen Gegner mal ein bisschen genauer an. Was ist denn der Unterschied zwischen rechts und rechtsextrem?

Patzelt: Das Zentrale ist der Begriff des Extremismus. Extremismus ist in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht, von den einschlägigen Zweigen der Politikwissenschaft klar definiert als Gegnerschaft zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Und die freiheitlich-demokratische Grundordnung ist wiederum vom Bundesverfassungsgericht präzis bestimmt worden. Das fängt an mit der Achtung vor den Menschenrechten, geht über das Demokratieprinzip bis zum Mehrheitsprinzip und Chancengleichheit der politischen Parteien und endet beim Recht auf Ausübung von Opposition. Und wer immer diese Prinzipien unseres freiheitlich-demokratischen Staates bekämpft, ist ein Extremist. Bekämpfen kann man diese Prinzipien aus verschiedenen Gründen. Unter links versteht man in der Regel, dass eine sozialistische, kommunistische Gesellschaft an die Stelle eines freiheitlich-demokratischen Staates gesetzt werden kann und unter rechts versteht man in der Regel ein Gebräu aus Rassismus, Nationalismus, Chauvinismus und links und rechts verbindet dabei der Wunsch nach einem starken Staat und eine autoritäre Grundhaltung.

Führer: Aber, Herr Patzelt, was wäre denn ein rechter Mensch, der trotzdem das Grundgesetz respektiert?

Patzelt: Ein rechter Mensch, der trotzdem das Grundgesetz respektiert, ließe sich im Grunde nur als nicht links, nicht grün, nicht liberal kennzeichnen, denn er ist für soziale Marktwirtschaft, er ist für einen liberal konservativen Staat, er ist durchaus für eine starke Rolle des Staates, der aber nicht das Wirtschaftsleben allzu intensiv dirigieren soll. Das heißt, rechts lässt sich im Grunde nur als nicht links, nicht grün, nicht liberal definieren.

Führer: Wäre das dann die sogenannte Neue Rechte?

Patzelt: Ja, mit dem Begriff der Neuen Rechten bezeichnet man in der Regel Rechtspopulisten, die das gleichsam Niemandsland zwischen Union und dem rechten Rand bevölkern wollen. Und ansonsten bezeichnet man mit dem Begriff der Neuen Rechten jene, die es wagen, gegen Tabus politischer Korrektheit von rechts her zu löcken. Der Begriff scheint mir wenig tauglich zu sein.

Führer: Der Politologe Prof. Werner Patzelt im Gespräch im Deutschlandradio Kultur. Herr Patzelt, es gibt ja die Wochenzeitung "Junge Freiheit", ein Organ der sogenannten Neuen Rechten, wo Sie gerade gesagt haben, der Begriff sei nicht tauglich, gedruckte Auflage 21.000 Stück. Im April dieses Jahres gab es ja große Aufregung, weil ein gewisser Peter Krause Kultusminister werden sollte in Thüringen. Er wurde es dann schließlich nicht, weil er für die "Junge Freiheit" gearbeitet hatte und später sagte, er wusste nicht, dass diese Zeitung rechtsextrem sei. Das wurde ihm dann als naiv ausgelegt. Aber hat er nicht recht und hat damit nicht auch wieder Brodkorb recht, der immer sagt, diese Reflexe rechts gleich rechtsextrem?

Patzelt: Bordkorb hat vollständig recht. Es ist gelungen, in der deutschen Öffentlichkeit die Vorstellung durchzusetzen, dass die "Junge Freiheit" so etwas wie die "Deutsche Nationalzeitung", ein wirklich rechtsextremistisches Kampfblatt sei. Und es ist gelungen, die Deutung durchzusetzen, dass man überall publizieren darf, bloß eben nicht in rechten Journalen. Und wer sich in der "Jungen Freiheit" publizistisch äußert, der gilt im deutschen politischen Diskurs nun wirklich als ein zu Ächtender, der einfach sich auf die Seite der Rechtsradikalen stellt. Dass das auf die Dauer für unsere politische Kultur nicht heilsam ist, das liegt auf der Hand.

Führer: Herr Patzelt, da versucht immer jemand verzweifelt, Sie anzurufen. Bleiben wir aber doch noch mal ein bisschen im Gespräch. Wie hoch ist denn Ihrer Ansicht nach das Potenzial von möglichen Wählern zwischen der CDU und der NPD, diese rechte konservative, demokratisch-orientierte Schicht?

Patzelt: Mir scheint, dass dieses Spektrum eine Breite hat, die ganz wesentlich von der Aufstellung der CDU abhängt. Die CDU hat traditionell drei Flügel, den sozialen, den liberalen und den rechten nationalen. Wenn die CDU ihren rechten, ihren nationalen Flügel weiterhin schwächt und nicht zur Geltung kommen lässt, dann entsteht hier in der Tat Spielraum für eine demokratische rechte Partei, Gedankenstrich, unter der Voraussetzung, dass der Wunsch von Herrn Brodkorb sich erfüllt, dass man differenzierter mit rechts und rechtsradikal und rechtsextrem auf der begrifflichen Ebene umginge. So wie die Lage derzeit ist, sehe ich überhaupt keine Chancen für eine Partei rechts von der CDU und sozusagen links von NPD und DVU. Und die CDU wird auch gut daran tun, an dieser Stelle den rechten Rand sauber zu halten, das heißt, selbst zu dominieren.

Führer: Aber warum nicht? Die CDU ist doch eindeutig in die Mitte gerückt. Jetzt auch wieder auf dem Parteitag in Stuttgart sprechen die Redner vor einem großen Plakat, wo "Die Mitte" draufsteht, prominente, wirklich Rechte so wie Franz Josef Strauß oder Dregger gibt es ja eigentlich gar nicht mehr, von der Leyen bestimmt das Bild der CDU.

Patzelt: Ich glaube, das ist eine optische Täuschung. Die CDU hat sich immer schon als eine Partei verstanden, die von der Mitte bis an den rechten Rand des politischen Spektrums reicht. Und die CSU, die man ja gemeinhin als rechter als die CDU aufzufassen pflegt, die macht es sogar noch radikaler. Sie stand grundsätzlich auch linker als die CDU in sozialpolitischen Dingen und zugleich versuchte sie, mit Erfolg, den rechten Rand sauber zu halten. Es ist eher eine optische Täuschung, dass die CDU in die Mitte rückt, da war sie immer. Nur hat die CDU im Unterschied zur SPD es stets als ihre Aufgabe erachtet, nichts rechts von sich entstehen zu lassen. Die Sozialdemokraten sind mit dieser Herausforderung immer anders umgegangen. Bestrebungen links von sich haben sie als Fleisch vom eigenen Fleisch aufgefasst und nach kurzer Zeit der Abgrenzung als Teil der eigenen Familie, mit dem man freundschaftlich umgeht, behandelt. So bei den Grünen, bei der Linkspartei. Und das ist ja auch die machtpolitische Hintergrundposition von Herrn Brodkorb. Er möchte, nachdem die SPD sich hat Konkurrenz von links zuwachsen lassen, früher in Gestalt der Grünen, später in Gestalt der Linkspartei, er möchte, dass die CDU diesen großen strategischen Fehler auch selbst begeht. Er bezeichnet das als ein Gesundschrumpfen der CDU. Die meisten CDUler werden aber nicht glauben, dass sie übergewichtig sind. Sie meinen eher, sie müssten stärker werden, eben von der Mitte bis zum rechten Rand.

Führer: Ja, das ist doch eine interessante Hoffnung, dass ausgerechnet ein Sozialdemokrat darauf setzt, dass sich in Deutschland eine neue rechte Partei gründet, damit die CDU geschwächt wird und die SPD dadurch automatisch gestärkt.

Patzelt: Ja, machtpolitisch kann man das gut verstehen. Aber wenn die CDU nicht von allen guten Geistern verlassen ist, wird sie nicht den Gefallen tun, die gleichen Fehler zu begehen wie die Sozialdemokraten. Wenn im Anschluss an diese Idee von Herrn Brodkorb sich die Einsicht durchsetzen sollte, dass ein undifferenzierter Umgang mit dem Begriff rechts, rechtsradikal, rechtspopulistisch, rechtsextremistisch unserer politischen Kultur in der Tat nicht heilsam ist, dann wäre aus dieser machtpolitisch-motivierten Diskussion viel Gutes gewonnen.

Führer: Prof. Werner Patzelt von der TU Dresden. Vielen Dank für das Gespräch, Herr Patzel!

Patzelt: Gern geschehen!