"Passerelles d'Europe – Brücken für Europa"

Literatur auf dem Hausboot

Das Hausboot "Ange Gabriel" auf dem Weg von Frankreich zur Frankfurter Buchmesse.
Schwimmende Schriftstellerresidenz: Die "Ange Gabriel" auf dem Weg von Frankreich zur Frankfurter Buchmesse © Susanne von Schenck
Von Susanne von Schenk · 12.09.2017
Das Hausboot "Ange Gabriel" macht sich aus Frankreich über Belgien auf den Weg nach Deutschland zur Frankfurter Buchmesse. An Deck gibt es literarische Abende, Filmvorführungen und Gespräche mit französischen und deutschen Autoren.
Erst hinauf aufs Deck und dann eine kleine Treppe hinunter: der Schiffsbauch des alten Hausbootes "Ange Gabriel" ist in einen kleinen Kinosaal verwandelt. Gezeigt wird der Film "Solokvi – die verschwundene Bibliothek".
Darin erzählt der Schriftsteller, Reisende und Russlandkenner Olivier Rolin von seiner Suche nach der untergegangenen Bibliothek eines Konzentrationslagers 1939 im russischen Polarkreis. Der Filmabend ist ein Programmpunkt auf der Schiffsreise "Passerelles d’Europe – Brücken für Europa".
"Brücken für Europa - das heißt, wir begegnen uns, wir tauschen uns aus und lernen uns kennen."
Olivier Rolin, siebzig Jahre alt und mit seinen Romanen "Meroe" und "Der Meteorologe" auch in Deutschland kein Unbekannter, ist der spiritus rector des Projekts. Er hat zahlreiche Schriftsteller etappenweise auf das Schiff geladen – zum Mitreisen und zu Lesungen und Gesprächen an Bord. In St. Mihiel, einem kleinen Ort an der Maas, gut 30 Kilometer südlich von Verdun, ist der Schriftsteller und Goncourtpreisträger Jean Echenoz zugestiegen:
"Ich habe, anders als Olivier Rolin, gar kein Talent zum Reisen", sagt der Autor, dessen Roman "Unsere Frau in Pjönjang" gerade auf Deutsch erschienen ist.
"Daher entspricht mir diese gemächliche Tour sehr. Man lässt die Maschine, das Wetter, die Landschaft einfach gewähren. Das ist übrigens eine Region Frankreichs, die ich immer schon mal besuchen wollte, als ich meinen Roman "14" über den ersten Weltkrieg schrieb. Denn hier sind wir genau in dieser Gegend."

Eine schwimmende Schriftstellerresidenz

Am nächsten Morgen wirft Schiffsführer Albert Pagnoly schon früh den Motor des alten Frachtkahns an. "Er wurde 1956 gebaut, ist 38 m lang und etwa fünf Meter breit. Lange Zeit wurden damit Waren transportiert."
Nach dessen Verkauf bauten die neuen Eigentümer das Schiff zu einem Hausboot um – mit Platz für acht Mitreisende.
"Als wir dieses Schiff ganz aus Holz sahen, war es klar: Das ist es."
Marie-Hélène Caroff ist die Organisatorin der schwimmenden Schriftstellerresidenz.
"Solche Hausboote gibt es kaum noch. Das macht die Originalität unseres Projektes aus – an Bord eines Schiffes zu reisen, das nur ganz langsam vorankommt."
Genau das gefällt Olivier Rolin.
"Ich bin noch nie mit einem Hausboot gefahren und es gefällt mir, dass es so langsam vorangeht. Wir leben alle so schnell und hektisch. Und hier sind fernab von allem mitten in der Natur."
Lesen und Arbeiten auf dem Hausboot "Ange Gabriel": Schriftsteller Olivier Rolin und Goncourtpreisträger Jean Echenoz.
Lesen und Arbeiten auf der "Ange Gabriel": Schriftsteller Olivier Rolin und Goncourtpreisträger Jean Echenoz.© Susanne von Schenck

Treffen mit Christoph Ransmayr und Ilja Trojanow

Mit 5 km/h fährt der "Ange Gabriel" gemächlich erst auf der Maas und dann in einen Seitenkanal. Immer wieder muss Kapitän Albert das Schiff durch Schleusen manövrieren – allein sechzehn sind es auf einer Strecke von knapp dreißig Kilometern – 1500 Kilometer sind es insgesamt. Die Landschaft gleitet vorüber, weidende Kühe, ein paar Reiher auf einer Wiese, ab und zu ein Kirchturm. Die beiden Schriftsteller haben sich aufs Oberdeck gesetzt, Echenoz schaut aufs Wasser, Rolin liest.
"Die Idee ist, dieses ganze Netz der Wasserwege zwischen Frankreich, Deutschland, Belgien und den Niederlanden zu nutzen und Ideen auszutauschen. Ich werde zum Beispiel Christoph Ransmayr treffen, von dem ich bisher noch nie gehört habe - das ist doch eine Brücke. Später diskutiere ich mit Ilja Trojanow in Mainz."
Der Charme des Hausbootes, das gemächliche Reisetempo und die erholsame Landschaft können allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass es dem jungen Projekt "Passerelles d’Europe" noch ein wenig an Struktur mangelt. Warum kommen fast alle mitreisenden Autoren aus Paris? Warum sind nicht auch jüngere dabei?
Marie-Hélène Caroff erklärt: "Es ist eine Premiere und natürlich gibt es noch einiges zu verbessern. Ich plane schon fürs nächste Jahr. Da wird es mehr um die jungen Leser gehen."
Langsam nähert sich der "Ange Gabriel" der Endstation des Tages: Toul, einer kleinen, hübschen Stadt, von der es dann auf der Mosel weiter in Richtung Nancy geht. Über der mächtigen gotischen Kathedrale steigt der Mond auf, und Olivier Rolin macht sich auf den Weg zum Bahnhof, um die nächsten Gäste abzuholen.
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