Parteitag der Harmonie und des Selbstbetrugs

Von Günter Hellmich · 23.10.2011
Jetzt kann den Siegeszug der Linken ja nichts mehr aufhalten. So viel Einigkeit, so viel Harmonie wie in Erfurt gab es nie. Auch wenn heute 96,3 Prozent der Delegierten dem neuen Grundsatzprogramm zugestimmt haben, heißt das nicht, dass die Partei sich einig wäre. Die grundlegenden Differenzen bestehen weiter.
Bemerkenswert ist, dass an den drei Tagen zwar mehr als 1400 Änderungsanträge beraten wurden, aber keine wirklich kontroverse Debatte stattfand. Den bürgerlichen Medien sollte in Erfurt keinesfalls ein Bild von Zerstrittenheit geboten werden. Deshalb hatte die Führung im Vorfeld ein Kompromissprogramm zusammengeschnürt, auf das alle Meinungsträger der unterschiedlichen Strömungen vergattert wurden. Zu entscheiden gab es hier in Erfurt nichts mehr. Die widerstrebenden Interessen von undogmatischen Linksradikalen aus dem Westen einerseits und koalitionsinteressierten Reformern aus dem Osten sind durch das Programm nicht ausgeräumt. Sie werden genauso wieder aufbrechen wie die erstmal erfolgreich ausgeklammerte Personaldiskussion.

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang das mediale Schaulaufen von Sarah Wagenknecht und die Auferstehung von Oskar Lafontaine, der als Volkstribun die Delegierten förmlich von den Stühlen riss. Der will es wieder wissen - bleibt als Eindruck. Wenn er es sich doch anders überlegt - wird es für jeden künftigen Vorsitzenden genauso schwer wie für die aktuelle unglücklich agierende Führung unter Gesine Lötzsch und Klaus Ernst.

Festzuhalten ist: Mit diesem Erfurter Programm hat sich die Partei noch stärker von den Grünen abgegrenzt, insbesondere aber von der SPD. Die Linken tun dies höchst dialektisch und perfide, indem sie sozialdemokratische Traditionen und nun selbst Willy Brandt für sich reklamieren. Und damit den Anspruch erheben, selbst die wahren Sozialdemokraten zu sein. Das wird mögliche Kooperationen nicht beflügeln. Obendrein hat sich die Linke nun ideologisch festgelegt - auf ein marxistisches Weltbild.

Wenn die Linke nun andererseits erwartet, sie könnte wegen ihres wunderbar antikapitalistischen Programms von der neuen "Occupy Wall Street"-Bewegung profitieren, dann ist dies eine Selbsttäuschung und Selbstüberschätzung. Schon der kläglich gescheiterte Versuch bei Stuttgart 21 auf den fahrenden Demo-Zug zu springen, ist ja, wie die Landtagswahlen in Baden-Württemberg zeigten, kläglich gescheitert. Piraten und Occupy passen zwar prima ins Weltbild von der antikapitalistischen Massenbewegung, lassen sich aber nicht von einer doch recht traditionellen sozialistischen Partei vereinnahmen. Andersherum wird ein Schuh draus: Die Linke muss mit der Konkurrenz rechnen. Alles andere ist Selbstbetrug.