Parsifal auf der Intensivstation

Von Ulrike Gondorf · 17.03.2013
Mit Ärzten, Krankenschwestern und High-Tech-Medizin inszeniert Regisseur Joachim Schloemer "Parsifal" zum 200. Geburtstag von Richard Wagner. Trotz interessanter Ansätze wird aber bis zum Schluss nicht ganz klar, worauf der Choreograf mit seinem Sammelsurium aus Figuren, Kostümen und Aktionen hinaus will.
Wohin gehört ein Mann mit einer lebensgefährlichen Stichverletzung und unerträglichen Schmerzen? Auf die Intensivstation. Und genau da finden wir den Gralskönig Amfortas, geschäftig umsorgt von Ärzten und Krankenschwestern.

Ein gläserner Kubus mit grünen Gardinen, ausgestattet mit High-Tech-Medizin, ist das tragende Element der "Parsifal"-Inszenierung von Joachim Schloemer am Essener Aalto-Theater. Bühnenbildner Jens Kilian nutzt ihn für immer neue, perfekt und farbig ausgeleuchtete Installationen; im zweiten Akt schwebt er sogar einige Meter über dem Bühnenboden. Es ist, als hätte das Regieteam alles vermeiden wollen, was nur von fern nach Tempel, männerbündischer Gralsgemeinschaft, Heils- und Leidenspathos, kurz nach "Bühnenweihfestspiel" aussehen könnte.

Das ist einen Versuch wert, aber leider gelingt es Schloemer nicht, eine neue tragfähige Geschichte zu erzählen. Es gibt interessante Ansätze, wie eine mit einer Tänzerin besetzte zweite Kundry. Aber das nutzt der Regisseur hauptsächlich dafür, im zweiten Akt die eine Dame wie angeschraubt singen und die andere dafür mit Parsifal eine dezente Liebespantomime aufführen zu lassen. Insgesamt schaut man fast immer ratlos auf das Sammelsurium von Figuren, Kostümen und Aktionen auf der Bühne.

Worauf Schloemer hinauswill, wird bis zum Schluss nicht klar, wenn eine riesige Schar von Essener Bürgern in privater Kleidung auf die Bühne kommt und ehrfürchtig eine leuchtende Glühbirne berührt, die ein kleiner Junge vor sich her trägt. Dabei kann eigentlich von Erlösung in Schloemers Lesart gar keine Rede sein. Denn den heiligen Speer, den Parsifal zurückbringt, hat sich der sieche Amfortas erst wenige Augenblicke zuvor selbstmörderisch in den Leib gerammt. Widersprüchliches wechselt mit Unverständlichem an diesem Abend. Das größte Ärgernis: Der Regisseur- immerhin erfolgreicher Choreograf und also erfahren mit der Bewegung von Menschen im Raum – hat den gesamten Chor ins Off wegmogelt. Das ist eine Verlegenheitslösung, die auch die musikalische Kraft dieser Szenen schwächt.

Stefan Soltesz am Pult der Essener Philharmoniker verabschiedet sich mit einer opulenten, schwelgerisch schönen und detailreichen Interpretation dieser raffinierten Partitur. Wagner war in Essen immer eine tragende Säule des Programms – "Parsifal", mit dem das Haus nun den 200. Geburtstag des Komponisten feiert, ist das einzige der "kanonischen" Werke, das Soltesz in Essen noch nicht einstudiert hat. Er lässt sich Zeit für ruhige Tempi und erreicht eine Balance zwischen Bühne und Graben, die in jedem Augenblick perfekt ist.

Sechzehn Jahre hat Stefan Soltesz das Aalto-Theater in der seltenen Personalunion von Generalmusikdirektor und Intendant geleitet. Seine Bilanz kann sich sehen lassen, sowohl was die Anerkennung der Kritik und der Öffentlichkeit angeht als auch die Auslastungszahlen. 2008 war Essen "Opernhaus des Jahres" und belegt regelmäßig vordere Plätze in Umfragen. Hinter den Kulissen lief das nicht das nicht immer konfliktfrei, denn Soltesz wird ein autokratisches Amtsverständnis nachgesagt. Aber der Abschied mit "Parsifal" zeigt noch einmal eindrucksvoll, auf welche Höhe er die Essener Philharmoniker in den letzten Jahren geführt hat.

Die Sängerbesetzung dieses "Parsifal" ist durchweg gut, nur die Kundry von Jane Dutton hat nicht das Format, das man in Essen erwarten kann. Jeffrey Dowd in der Titelrolle überzeugt durch intelligente Gestaltung. Heiko Trinsinger als Amfortas hat den luxuriösesten Klang des Abends zu bieten.


Weitere Informationen zu der Oper "Parsifal" in Essen finden Sie auf der Homepage des TheatersParsifal am Aalto Theater Essen