Paradiesvogel der Kulturszene

08.01.2013
Else Lasker-Schüler gilt als erste Dichterin der Moderne. Aus ihren zahlreichen Werken ist nun ein Band mit Feuilleton-Texten erschienen, mit denen sie sich nach dem Scheitern ihrer zweiten Ehe über Wasser halten musste. Darunter sind poetische Momentaufnahmen und liebevolle Porträts von Freunden und Kollegen.
Knapp vierzig Jahre lebte Else Lasker-Schüler in Berlin. Hier wurde sie zur ersten Dichterin der Moderne. Schon zu Kaisers Zeiten, 1894, kam die Wuppertaler Bürgerstochter an der Seite ihres Mannes, des Arztes Berthold Lasker, in die "kreisende Weltfabrik", wo die Uhren anders gingen.

In Berlin wurde sie schnell zum Paradiesvogel der Kulturszene, ihre multimedialen Auftritte als "Prinz von Theben" mit Flöte, Glockenspiel und unverwechselbarem Sprechgesang machten sie zur stadtbekannten Erscheinung. Um sie scharten sich die literarischen Talente. Die Kaffeehäuser waren ihre Heimat. Hier schrieb sie ihre Bücher, hier saß sie täglich bei Wasserkakao und Anisplätzchen. Leicht entflammbar, begeisterte sie sich für jede neue Begabung, für jede neue Kunstrichtung.

Nach dem Scheitern ihrer beider Ehen, auch der mit dem Komponisten und Verleger Herwarth Walden, brachte sie sich mühsam mit dem Schreiben von Feuilletons durch. Ihre Bücher - fast jedes Jahr erschien bis in die 1910er Jahre ein Gedichtband - verkauften sich schlecht, ein größeres Lesepublikum fanden sie nicht. Weil ihr bürgerliche Werte wie Geld, eine Wohnung und finanzielle Sicherheit nichts bedeuteten, war sie vielfach auf die Zuwendungen ihrer Freunde angewiesen.

Eine Auswahl aus diesen Feuilletons, allesamt Texte, die der 15-bändigen Kritischen Werkausgabe entnommen sind, sind nun unter dem programmatischen Titel erschienen, mit dem Else Lasker-Schüler ihre Wahlheimat Berlin 1922 in der "Vossischen Zeitung" feierte: "Die kreisende Weltfabrik". Entstanden sind die Texte von den 1910er Jahren an bis zu ihrer Emigration 1933: poetische Momentaufnahmen vom Leben zwischen Kurfürstendamm und den Literaturcafés wie dem Romanischen Café, vom Hotel Sachsenhof, in dem sie jahrelang logierte, den Tieren in Zirkus und Zoo, von Auftritten im Wintergarten und im Cabaret "Der Blaue Vogel".

Aber es sind auch liebevolle, durchaus ironische Porträts von Freunden und Kollegen versammelt. Von Alfred Kerr, dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld oder von Karl Kraus, der sie protegierte und ihre Gedichte in der "Fackel" abdruckte: "ein gütiger Pater mit Pranken", dessen "gestiefelte Papstfüße den Kuss erwarten". Oder von Tilla Durieux. Die große Schauspielerin der Max-Reinhardt-Ära, die in Rollen wie der maliziösen Eboli glänzte, nennt sie "die schwarze Leopardin mit dem Blutstropfen am Nacken". In Gottfried Benn, dem dichtenden Pathologen und der großen Liebe ihres Lebens, bewundert sie den "Christ mit Götzenhaupt", "jeder seiner Verse ein Wildtiersprung".

Unverkennbar ist auch in der Prosa ihr lyrischer Ton: versponnen, melancholisch, spielerisch und gefühlsintensiv. Den mitunter rätselhaften Verweisen und Anspielungen gibt die Herausgeberin Heidrun Loeper ein Vademecum erläuternder Anmerkungen mit. Obendrein zeichnet sie in einem informativen Nachwort in großen Bögen die Berliner Jahre der Lyrikerin mit den Erfolgen und Niederlagen nach, ein Leben zwischen Dichten und Lieben, das weitaus mehr war als ein schillerndes Kostümfest.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Else Lasker-Schüler: "Die kreisende Weltfabrik. Berliner Ansichten und Porträts"
Transit-Verlag, Berlin 2012
112 Seiten, 14,80 Euro
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