Papst warnt vor selbstgemachtem Glauben - und wird nicht gehört

Von Nikolaus German · 29.09.2011
Der Papst sagte auf seiner Deutschlandreise, was er von einer autonomen persönlichen Religiosität hält: nämlich gar nichts. Doch eine gleichgeschaltete Kirche kann es in der modernen Welt nicht mehr geben - erst Recht nicht in Deutschland, meint der Journalist Nikolaus German.
Für Benedikt XVI., den autokratischen Glaubenswächter auf dem päpstlichen Thron, sind sie im Grunde alle Häretiker: diese Reformer, Kritiker und Selbstdenker im deutschen Katholizismus - von Hans Küng bis zur rebellischen Bewegung "Wir sind Kirche".

Da ist zum Beispiel Professor Magnus Striet - einer von über 300 Theologen, die in einem Memorandum kirchliche Reformen dringend fordern. Er sagt, ein moderner, aufgeklärter Christ kann heute redlicherweise nicht mehr glauben wie seine Vorväter. Ja, nicht einmal wie Jesus, der in einer ganz anderen Zeit und Welt gelebt hat als wir. Wir müssen heute neu und anders glauben lernen.

Oder Willigis Jäger, weltbekannter Benediktiner-Mönch und Zen-Meister, der lehrt: Himmel und Hölle, Auferstehung und Jüngstes Gericht sind keine objektiv faktischen Gegebenheiten, sondern religiöse Bilder. Der katholische Glaube ist nur ein religiöses Modell unter anderen, ohne absolute Geltung. Dem päpstlichen Katechismus zufolge ist das alles krasser Irrglaube, ebenso wie die immer mehr um sich greifende Patchwork-Religiosität, die Vermischung von christlichem Glauben mit anderen religiösen Auffassungen.

Was den Papst besonders schmerzen muss: Selbst die jungen Benedetto-Fans glauben nicht dogmatisch korrekt, sie halten den Unterschied zwischen evangelisch und katholisch für "unwichtig" und gleichgeschlechtliche Liebe für "nicht sündhaft". Und was verkündet der katholisch-propagandistische Bestsellerautor Matthias Matussek? Die Apokatastasis, dass am Ende der Zeiten wohl alle Menschen mit Gott versöhnt und gerettet werden - für den Papst eine glatte Irrlehre, längst offiziell verdammt.

Doch was im Katechismus des Joseph Ratzinger verbindlich geschrieben steht, interessiert die deutschen Katholiken - wie es scheint - immer weniger, vielleicht wissen sie es auch gar nicht. Jedenfalls entwickeln sie ihr Leben und ihren Glauben zunehmend nach eigenen Vorstellungen, nicht nach denen der Kirche. Da kann der Papst noch so warnen: eine gleichgeschaltete Kirche kann es in der modernen Welt nicht mehr geben - erst Recht nicht in Deutschland, einem Stammland der Aufklärung und des Protestantismus.

Und das ist gut so. Wo kämen wir hin, wenn in unserem freiheitlich verfassten Land ein klerikaler römischer Potentat heute noch dekretieren könnte, wie und was selbstdenkende, mündige Menschen zu glauben haben und was nicht, oder mit welchem Partner sie ihr Leben teilen dürfen und mit wem nicht - und das Ganze auch noch unter Androhung ewiger Höllenstrafen!

Freilich: Der Papst sagte auf seiner Deutschlandreise, was er von einer autonomen persönlichen Religiosität hält: nämlich gar nichts. "Ein selbstgemachter Glaube", so Benedikt in Erfurt, "ist wertlos." Der Papst verwirft den religiösen Individualismus, fürchtet um seine Macht, fürchtet vielleicht sogar eine neue Reformation. Die Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" hat ja offen zum Ungehorsam gegen den Starrsinn Roms in Fragen der Ökumene und innerkatholischer Reformen aufgerufen.

Und auch das kennzeichnet diesen Papst: Er möchte, dass die Menschen wieder nach Gott fragen, Gott suchen. Aber Meister Eckhart, den größten Mystiker des Mittelalters, der im Erfurter Dominikanerkloster den inneren, seelischen Weg zu Gott gewiesen hat und heute weltweit Beachtung findet, erwähnt Benedikt bei seinem Besuch in Erfurt mit keinem Wort - Meister Eckhart, der für die Erneuerung des Gottesglaubens in unserer Zeit so wichtig wäre. Aber der Papst hat den großen Mystiker in Erfurt lieber totgeschwiegen. Kein Wunder, denn Eckhart fordert zur eigenständigen Suche nach Gott in der eigenen Seele auf. Von Papst und Kirche ist da nicht die Rede.

Nikolaus German, Autor und freier Journalist, M.A., geb. 1950, Studium der Politikwissenschaft, Soziologie, Geschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Lebt als Autor und freier Journalist in München, schreibt v. a. für Süddeutsche Zeitung, Das Parlament; zahlreiche Beiträge für Rundfunk und Fernsehen sowie mehrere Dokumentarfilme, darunter "Botschafter der Hoffnung - Sergiu Celibidache in Rumänien", "München unterm Hakenkreuz - Hitlers Hauptstadt der Bewegung", "Max Mannheimer - ein Überlebender aus Dachau".
Nikolaus German
Nikolaus German© Privat
Mehr zum Thema