Pannenreaktor Tihange in Belgien

Städteregion Aachen klagt gegen AKW

Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange.
Das umstrittene belgische Atomkraftwerk Tihange. © AFP / Belga / Eric Lalmand
Helmut Etschenberg im Gespräch mit Dieter Kassel  · 02.02.2016
Immer wieder kommt es in dem belgischen AKW Tihange nahe der deutschen Grenze zu Störfällen. "Wir sind hier total beunruhigt", sagt Städteregionsrat Helmut Etschenberg aus Aachen. Deswegen werde man nun in Belgien gegen den Pannenreaktor vor Gericht ziehen.
Tausende Haarrisse sollen sich in dem Reaktor Tihange befinden, der seit Jahren regelmäßig für Negativschlagzeilen sorgt. Bundesumweltministerin Hendricks war nun in Belgien, um über die Sicherheit der dortigen AKWs zu sprechen. Den Menschen in der deutschen Grenzregion reicht das längst nicht mehr - sie wollen nun in Belgien gegen den Pannenreaktor klagen.
Man nehme mit großer Enttäuschung wahr, dass Bund und Land derzeit vor allem um Beruhigung bemüht seien, so Helmut Etschenberg (CDU), Städteregionsrat der Städteregion Aachen und Hauptinitiator der angestrebten Klagen gegen das belgische AKW Tihange 2. "Wir sind hier total beunruhigt. Und wir erwarten durch eine Klage noch mal eine bewusste, auch politische Aussage, wir lassen uns das hier nicht gefallen, das reicht uns nicht."
Man habe sämtliche Klagemöglichkeiten geprüft, so Etschenberg. Dabei habe sich herauskristallisiert, dass man die besten Chancen habe, wenn man einerseits. beim höchsten belgischen Verwaltungsgericht einen Nichtigkeitsantrag gegen den Zulassungsbeschluss für einen Wiederstart von Tihange 2 einreiche. Parallel dazu werde man in Brüssel gegen den Betrieb des AKW klagen. "Das eine geht dahin, die Genehmigung, die erteilt worden ist, als nichtig erklären zu lassen mit der Folge, dass damit das nicht weiter betrieben werden kann. Und das andere ist, generell den Weiterbetrieb von Tihange 2 einzustellen."

Das Gespräch im Wortlaut:

Dieter Kassel: Das belgische Atomkraftwehrt Tihange befindet sich nur ungefähr 70 Kilometer von Aachen und bereitet deshalb den Menschen Sorgen, nicht nur dort, sondern generell auf der deutschen Seite der Grenze dieses AKW, das bereits 1975 in Betrieb ging und bei dem es in den letzten Jahren, auch kürzlich wieder beim Wiederhochfahren des Blocks 2, immer wieder zu Störfällen kam. Bundesumweltministerin Hendricks war deshalb gestern sogar in Belgien, um sich mit den zuständigen Ministern in Brüssel über die Sicherheit der dortigen Kernkraftwerke zu unterhalten. Die Städteregion Aachen, zu der insgesamt zehn Gemeinden alle in der Nähe der Grenze gehören, die will aber nicht nur reden, sie will in Belgien vor Gericht ziehen. Heute soll der Städteregionsausschuss das absegnen und die Finanzierung genehmigen. Hauptinitiator ist der Städteregionsrat Helmut Etschenberg, der jetzt am Telefon ist. Morgen, Herr Etschenberg!
Helmut Etschenberg: Hallo, guten Morgen!
Kassel: Barbara Hendricks hat nach diesem Treffen gestern in Brüssel gesagt, es werde jetzt bald gegenseitige Inspektionen von Atomkraftwerken geben und möglicherweise in Zukunft dann eine Art bilaterales Abkommen. Macht das Ihre Klagen überflüssig jetzt?
Etschenberg: Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil: Wir nehmen mit einer großen Enttäuschung wahr, dass in Berlin beim Umweltministerium, aber auch auf der Landesebene, bisher mit gegenseitigen Erklärungen Beruhigung stattfinden soll. Wir sind hier total beunruhigt, und wir erwarten durch eine Klage noch mal eine bewusste, auch politische Aussage, wir lassen uns das hier nicht gefallen, das reicht uns nicht.

Zwei Klagen gegen AKW geplant

Kassel: Können Sie kurz erklären, was Sie wirklich vorhaben. Es geht ja eigentlich um zwei Klagen, wenn ich es richtig verstanden habe.
Etschenberg: Ja, das ist richtig. Wir haben also alles durchgeprüft, kann man nach europäischem Recht, nach deutschem, belgischem Recht, Atomrecht, Völkerrecht, EU-Recht klagen, und es hat sich herauskristallisiert, dass die größten Chancen bestehen, dass wir auf der einen Seite die Einreichung eines Nichtigkeitsantrages bei dem belgischen Staatsrat – das ist das höchste Verwaltungsgericht –, zur Nichtigkeitserklärung des Beschlusses von FANK, das ist die Atomaufsichtsbehörde, zur Zulassung des Wiederstarts von Tihange 2 vorsehen – dazu kann ich auch nachher noch etwas Inhaltliches sagen.
Und parallel dazu wollen wir die Chance nutzen, bei einem ordentlichen Gericht in Brüssel eine Klageschrift einzureichen, überhaupt Tihange 2 weiter zu betreiben. Also das eine geht dahin, die Genehmigung, die erteilt worden ist, als nichtig erklären zu lassen mit der Folge, dass damit das nicht weiter betrieben werden kann, und das andere ist, generell den Weiterbetrieb von Tihange 2 einzustellen.
Kassel: Und schon können Sie inhaltlich darauf eingehen, denn die belgischen Behörden sagen ja, auch von Tihange 2 wie von den anderen Blöcken auch gehe keine Gefahr für Deutschland aus. Das glauben Sie denen nicht, oder?
Etschenberg: Nein, das glauben wir absolut nicht, wenn man sich mit dem Thema inhaltlich deutlich mehr befasst als nur oberflächlich. Diese Mühe haben wir uns gemacht. Dann ist es so, dass in Belgien im Rahmen des Genehmigungsverfahrens viele Seltsamkeiten, so würde ich das mal nett umschreiben, auffällig sind: Es gibt bestimmte förmliche Voraussetzungen, um eine Wiederbetriebserlaubnis zu erteilen. Nach unserer Überzeugung ist die nicht korrekt erteilt worden. Es gibt eine Reihe von Rahmenbedingungen, an die ein Staat sich selber halten muss, wenn er diese Normen auch verabschiedet. Da haben wir große Zweifel, dass das geschehen ist.
Das zweite ist, wir haben ein großes Misstrauen gegenüber der Atomaufsicht, weil der Chef dieser Atomaufsicht bis vor kurzem noch oder vor gut einem Jahr noch der Chef der Betreibergesellschaft Electrabel für diese Atomkraftwerke war.
Und wenn man dann noch wie gestern erfährt, dass das Kühlwasser beispielsweise, das normal mit 10 Grad eingeführt werden soll, aufgeheizt werden muss auf etwa 30 bis 40 Grad, weil sonst die Gefahr besteht, dass die Stahlkugel der Abdichtung, in der diese tausenden Risse sich befinden, einen Schock erleben werden und demzufolge dann auch da ein Unfall eintreten kann, dann muss ich Ihnen sagen, da ist das Vertrauen grenzenlos verloren.

Niederländische Gemeinden schließen sich Klage an

Kassel: Grenzenlos ist ein Stichwort: Sie befinden sich ja in einer Euregio, zu der neben Deutschland und Belgien auch die Niederlande gehöre. Haben Sie denn mit Ihren Kollegen in der Region Maastricht, in den Regionen Eupen und Lüttich darüber geredet? Sitzen die mit im Boot?
Etschenberg: Es ist so, dass ich persönlich ein großer Anhänger der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit bin. Seit vielen, vielen Jahren bringe ich mich da ein, gehe zu vielen Terminen, habe einen Neujahrsempfang vor zwei Jahren in den Niederlanden gemacht, dieses Jahr in Belgien. Das zeigt also, dass wir hier eigentlich schon ohne die Grenze als trennendes Element gemeinsam miteinander leben. Dann redet man auch miteinander.
Ich freue mich sehr, der Stadtrat in Maastricht hat einstimmig beschlossen, sich der Klage anzuschließen. Die benachbarten Kommunen Kerkrade, Heerlen – ich war am Samstag zu einem Kinderprinzenempfang in der Nachbargemeinde Gulpen-Wittem, die haben jetzt beschlossen, dass der Rat ebenfalls beitreten will.
Die Gemeinde Vaals, also auf niederländischer Seite ist da eine sehr, sehr große Solidarität im Sinne von, wir haben auch dieselbe Angst wie ihr. Ich habe natürlich auch mit belgischen Bürgermeistern und dem Ministerpräsidenten der deutschsprachigen Gemeinschaft gesprochen, und da kommt als Hinweis, wir haben Vertrauen, dass unsere staatlichen Behörden ihren Job machen und demzufolge die Sicherheit, wenn dort erklärt wird, sie ist gewährleistet, auch tatsächlich gewährleistet ist.
Was mich aber erfreut und uns alle zum Nachdenken gebracht hat, ist, dass die Parteien im Parlament der deutschsprachigen Gemeinschaft Belgiens, sowohl die Christdemokraten, die Sozialisten, die ProDG, das ist die Regierungsmehrheit als unabhängige Wähler, und die Ecolos, von ihren Parteien her alle Erklärungen inzwischen abgegeben haben, Tihange muss stillgelegt werden.
Von daher glaube ich, dass wir da auch einen Erfolg über die Diskussion haben herbeiführen können, weil die Menschen auch in Eupen Sorgen haben, Angst haben. Das bisherige Argument, wenn die Dinger abgeschaltet werden, dann habt ihr keinen Strom mehr, also ich glaube darüber brauchen wir uns im freien Europa keine Gedanken mehr zu machen.
Kassel: Städteregionsrat Helmut Etschenberg über die Pläne der Städteregion Aachen, gegen den Betrieb des Kernkraftwerks Tihange vor den zuständigen Gericht in Belgien zu klagen. Herr Etschenberg, vielen Dank für das Gespräch!
Etschenberg: Ja, gern geschehen!
Kassel: Tschüss nach Aachen!
Etschenberg: Tschüss!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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