Palästinenser erwarten deutsche Unterstützung bei Zweistaatenlösung

Salah Abdel-Shafi im Gespräch mit Jan-Christoph Kitzler · 18.01.2012
In ihrem Streben nach einem eigenständigen Staat erhoffen sich die Palästinenser "mehr Schritte" von der Bundesregierung. Denn Deutschland sei ein wichtiger Teil von Europa, sagte Salah Abdel-Shafi, der Generaldelegierte Palästinas in Deutschland.
Jan-Christoph Kitzler: Streit um Ostjerusalem zwischen Israel und den Palästinensern im Bericht von Torsten Teichmann. Das wird sicherlich auch ein Thema sein beim Besuch von Palästinenser-Präsident Mahmud Abbas in diesen Tagen in Berlin. Und darüber spreche ich jetzt mit Salah Abdel-Shafi, dem Generaldelegierten Palästinas in Deutschland. Schönen guten Morgen!

Salah Abdel-Shafi: Guten Morgen!

Kitzler: Bleiben wir gleich mal bei der Frage des Siedlungsbaus, das ist ja eine Dauerbaustelle, und für die Palästinenser war das immer eine Bedingung, der Siedlungsbau muss aufhören, der Weiterbau, damit es echten Frieden geben kann. Muss man nicht diese Bedingung allmählich über Bord werfen, weil man sieht ja, so geht es nicht weiter, so kommt man nicht voran?

Abdel-Shafi: Also dazu zwei Sachen: Erstens, das ist keine palästinensische Bedingung, das ist eine internationale Forderung, das steht schwarz auf weiß im Quartett Road Map, der Fahrplan, dass Israel alle Siedlungsaktivitäten einstellen muss, einfrieren muss. Und zweitens, seit einem Monat sitzen wir an einem Tisch mit den Israelis direkt, um zu sehen überhaupt, ob Israel Interesse an Friedensverhandlungen hat. Bis jetzt weigert sich Israel, erstens den Siedlungsbau zu stoppen und zweitens die Zweistaatenlösung basierend auf den Grenzen von 67 zu akzeptieren. Und deswegen glaube ich, wir als Palästinenser sind wir allen unseren Forderungen, wie sie vom Quartett definiert wurden, nachgegangen.

Kitzler: Die Verhandlungen sind wieder aufgenommen worden, nach 15 Monaten Pause, das haben Sie gesagt, aber ich höre bei Ihnen da nicht viel Optimismus raus, dass sich da wirklich etwas bewegt.

Abdel-Shafi: Ja, optimistisch sind wir gewiss nicht. Wie gesagt, bei den drei Verhandlungsrunden, die jetzt in Amman, Jordanien, stattgefunden haben, haben wir Palästinenser unsere Vorstellung von den Grenzen und Sicherheit schriftlich abgegeben, so wie das erforderlich war beim Quartett. Die israelische Seite ist die Seite, die sich wie gesagt immer noch weigert, ihre Vorstellung von den Grenzen und von der Frage der Sicherheit schriftlich abzugeben. Das heißt, noch mal haben wir als Palästinenser unsere Verpflichtungen nachgegangen, erfüllt, die israelische Seite ist diejenige Seite, die sich weigert, wirklich diese Anforderungen zu erfüllen.

Kitzler: Und Israel, das ist auch in den letzten Tagen bekannt geworden, hat 2011 in den Palästinensergebieten so viele neue Wohnungen gebaut wie noch nie – es geht also weiter und voran.
Abdel-Shafi: Richtig.

Kitzler: Kommen wir mal zum Besuch von Mahmud Abbas in Berlin. Worum geht es da, was ist der Schwerpunkt dieses Besuches? Kann es um mehr gehen als um symbolische Anerkennung, zum Beispiel, wenn er heute Mittag mit Präsident Wulff zu Mittag isst?

Abdel-Shafi: Ja, also die Symbolik ist natürlich richtig, wenn der palästinensische Präsident vom Staatsoberhaupt in Deutschland eingeladen wird und de facto als Staatsoberhaupt anerkannt wird, aber natürlich wird es Gespräche geben mit der Kanzlerin, mit dem Außenminister Westerwelle. Dabei wird es darum gehen, was macht man, wenn diese Verhandlungen in Amman scheitern, wie wird sich die Europäische Union verhalten, welche Gedanken haben die Europäer, speziell die Deutschen in diesem Fall, wegen der speziellen Beziehung Deutschland/Israel, wie soll man weiter verfahren, welche Ideen hat die Kanzlerin oder hat die Bundesregierung in Bezug auf das Weiterlaufen des Friedensprozesses?

Kitzler: Wie schätzen Sie denn überhaupt die Rolle Deutschlands in dieser Frage ein? Vor ein paar Monaten hat Deutschland ja zum Beispiel bei den Vereinten Nationen dagegen gestimmt, Palästina in die Vereinten Nationen aufzunehmen.

Abdel-Shafi: Das stimmt, Deutschland hat dagegen abgestimmt, Deutschland ist immer noch gegen unseren Gang zur UNO, aber gleichzeitig, die Kanzlerin hat in den letzten Monaten sehr deutlich und klar gesagt, Siedlungen sind völkerrechtswidrig, sind illegal und müssen gestoppt werden. Und das macht Deutschland, weil Deutschland sehr besorgt ist um die Zukunft der Zweistaatenlösung.

Und ich finde, es herrscht in Europa – und das haben wir gerade in Ihrem Bericht gehört – ein Konsens über die Zweistaatenlösung, über die Illegalität der Siedlungen. Und Deutschland ist ein Teil Europas, ist ein wichtiger Teil von Europa, und deswegen erwarten wir von Deutschland und von Europa mehr Schritte, mehr Handeln, damit Israel endlich seine Verpflichtungen erfüllt und endlich die Zweistaatenlösung basierend auf den Grenzen von 67 akzeptiert.

Kitzler: Es gibt nicht nur Erwartungen an Israel, es gibt auch Erwartungen an die Palästinenser selbst, zum Beispiel die Frage zu beantworten, wer steht eigentlich für die Palästinenser. Der Gazastreifen wird von der wesentlich radikaleren Hamas kontrolliert, Mahmud Abbas vertritt die Fatah und ist in der West Bank, müssen nicht die Palästinenser erst einmal mit einer Stimme sprechen? Es gibt da ja Verhandlungen, aber so richtig voran kommen die ja nicht.

Abdel-Shafi: Richtig, es gibt nicht nur Verhandlungen, es gibt eine Vereinbarung mit Hamas, dass am 4. Mai Wahlen stattfinden sollen, und wenn ein gewähltes Parlament vorhanden ist, kann eine gemeinsame Regierung gebildet werden. Zweitens, es gab eine politische Vereinbarung mit Hamas, und zwar Hamas hat einen Palästinenserstaat in den Grenzen von 67 akzeptiert, Hamas hat den bewaffneten Kampf offiziell aufgegeben, und sie setzen auf massenfriedlichen Widerstand. Das sind alles Schritte, die die palästinensische Führung unter der Leitung von Präsident Abbas getan hat, um der Welt zu sagen, wir sind geeint als Palästinenser. Und ich glaube, die Israelis jetzt sind am Schachzug.

Kitzler: Aber denken Sie wirklich, dass nach den Wahlen im Mai die Palästinenser mit einer Stimme sprechen werden?

Abdel-Shafi: Also Wahlen sind so eben wie Wahlen, das ist Demokratie. Die stärkte Fraktion soll die Regierung bilden, und dementsprechend wird diese Regierung die Palästinenser repräsentieren.

Kitzler: Jetzt ist natürlich die Frage, wird diese Regierung da eine radikale sein oder wird es eine gemäßigte Kraft sein?

Abdel-Shafi: Das muss das Volk entscheiden. Übrigens, das ist so in jeder Demokratie auf dieser Welt, dass jede demokratisch gewählte Regierung das Volk nicht hundertprozentig repräsentiert, aber wir hoffen, dass die Welt die Ergebnisse der Wahlen respektieren will. Man kann Demokratie nicht maßschneidern, Demokratie ist, das Volk entscheidet, von wem das Volk repräsentiert werden will.

Kitzler: Salah Abdel-Shafi war das, der Generaldelegierte Palästinas in Deutschland. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch und alles Gute für Sie!

Abdel-Shafi: Danke, bitteschön!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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