Paläo als Lifestyle

Jagen und Sammeln − aber bitte mit Smartphone

Von Matthias Finger · 07.08.2016
Bei der "Paleo Convention" in Berlin traf sich eine ganz besondere Szene: die Freunde der Steinzeiternährung. Manche schwören auf Fruchtriegel mit Hirschfleisch, andere sind fit für den Zweikampf mit Raubtieren.
Kein Getreide. Keine Milch. Keinen Zucker. Keinen Alkohol. Kein Öl. Keinen Kaffee.
Die Paläodiät verlangt Verzicht von ihren Anhängern: Die verspeisen nur, was Steinzeitmenschen gegessen haben. Oder was sie dafür halten. Warum? Weil es glücklich machen soll. Und erfolgreicher. Und gesünder.
"Es geht schon mal damit los, dass man das körperlich merkt, wenn man sich Paläo ernährt. Dass man sich fitter fühlt. Und besser schläft, damit, wenn man wach ist, auch wacher ist. − Paläo könnte für dich einen Weg eröffnen, wie du besser mit dir kommunizieren kannst. − Das Beste, was es überhaupt gibt: das sogenannte Wohlfühlen. Viele Leute, wenn du sie mal fragst, fühlen sich nicht wirklich wohl. Wenn sie mal drauf eingehen. Auf ihre schmerzen. Oder sie sind müd durch den Zucker, den sie die ganze Zeit zuführen."
Wir werden immer älter, und gleichzeitig fühlen wir uns immer kränker. Wie gerufen scheint da die mythologisch aufgeladene Steinzeitnahrung − das Allheilmittel. Schließlich habe sich unser Verdauungssystem immer noch nicht an die Diät der Ackerbauer und Viehzüchter gewöhnt. Unsere Körper seien stehen geblieben vor 30.000 Jahren, als wir noch Jäger und Sammler waren.
Deshalb verlangen sie nach Fleisch, Gemüse, Hülsenfrüchten, Innereien, Nüssen und Honig. Janine König bietet auf dem Paläotreffen einen selbst erfundenen Fruchtriegel mit Hirschfleisch an:
"Es fängt damit an, dass ich koche und mir keine Tiefkühlpizza reinziehe. Dass ich auf den Markt fahre, mir frisches Obst kaufe. Dass ich rausfahre zum Förster meines Vertrauens und mir das Fleisch von dort hole. Das ist ja modernes Jagen."

Kochen ist das neue Clubbing

Paläo setzt auf regionale naturbelassene Produkte. Eigentlich öko, aber cool. Jetzt auch für Leute, die keine Strickpullover und Birkenstocks tragen. In der Steinzeitdiät steckt zudem viel Handarbeit. Das ist in.
Der Trend geht weg vom industriell Gefertigten: Kochen ist ja das neue Clubbing. Passt genau. Paläocoach Janina Lätsch:
"Paläo beinhaltet den Wunsch nach ein bisschen mehr natürlichem Mensch, was wir alle spüren. Wo du meintest esoterisch. Was es aber letztendlich ist. Paläo beschäftigt sich ja mit Ernährung, Bewegung und dem ganzheitlichen Konzept eines Menschen. Einer Lebensgestaltung sozusagen.
− Eine Art Philosophie?
Ja genau."
Manche Besucher auf der Paläoconvention laufen barfuß umher. Wie die Urmenschen. Ansonsten sind Steinzeitfreunde rein äußerlich kaum zu erkennen. Einer von über 50 Ausstellern erklärt das so:
"Wir wollen ja nicht so leben wie die in der Steinzeit, sondern wir wollen uns so mit den Produkten ernähren, die es zur Steinzeit so gab."
"Also man sucht sich was raus von dem Lifestyle, der einem gefällt, aber die Klamotten, die Behausungen und die Frisuren von den Steinzeitmenschen wären nicht so erstrebenswert für dich?"
"Nee, für mich nicht."
"Ich kann mich also steinzeitlich ernähren und ein iPhone haben?"
"Ja, habe ich auch."

Fit für die Mammutjagd

Retro ist seit Jahren angesagt. Deshalb kommt auch der Steinzeit-Lifestyle gut. Er hat etwas Rustikales, fast Archaisches. Beim Sport beispielsweise. Der gehört unbedingt dazu. Paläo-Fitnesstrainer Milan Papp schlägt mit zwei schweren Seilenden Wellen – Battle Ropes genannt. Als ob er für die Flucht vor Raubtieren trainiere:
"Der Körper ist ja dafür konzipiert worden."
"Zum Jagen?"
"Ja. Ob das Mammut oder Säbelzahntiger wären. Oder Beeren sammeln im Wald. Der Körper braucht Bewegung. Das ist das A und O. Uns geht es jetzt hier nicht darum, irgendeine Sommerfigur zu erschaffen. Oder ein Bodybuilding-Schema. Das ist gar nicht unser Ziel, sondern dass du wieder leistungsfähiger wirst."
"Und die Muckis sind dann sozusagen Nebeneffekt?"
"Das ist der sogenannte positive benefit."
"Das gute Aussehen?"
"Ganz genau." (lacht)"
In unsere Wellness-Gesellschaft geht es darum, sich etwas Gutes zu tun, auf sich zu achten und die innere Mitte zu finden. Besinnungslos malochen? Das war gestern. Irgendwie passt Paläo sehr gut in unsere selbstverliebte Welt.
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