P&R Container Pleite

Wie Kleinanleger in die Falle gerieten

Symbolbild: Mann schaut in eine große, aufgeklappte Euromünze
Wo ist nur das Geld geblieben? Wer in das vermeintlich sichere Containergeschäft von P&R investiert hat, dem drohen jetzt hohe Verluste. © imago/Gary Waters
Von Anja Schrum · 16.10.2018
Wer privat fürs Alter vorsorgen will, hat es derzeit schwer. Und so geraten immer mehr Kleinanleger an hochriskante Finanzprodukte: Helmut G. etwa, der sein Geld in P&R-Schiffscontainer steckte und jetzt möglicherweise mit leeren Händen dasteht - wie 54.000 andere.
Helmut G. greift nach einem dicken, orangenen Ordner, "P&R" ist auf dem Ordnerrücken zu lesen. Nein, sagt er und schüttelt den Kopf, er wird nicht zur Gläubigerversammlung nach München fahren. Zum einen wegen der Reisekosten:
"Das wäre dann dieser alte Spruch: dem schlechten Geld noch gutes hinterherwerfen. Das ist ja nicht so einfach nach München zu fahren, zu übernachten und dann da auch nicht zu wissen, was ich da eigentlich machen kann. Es ist schon schwer genug gewesen. Ich glaube nicht."

"Miete, das klang irgendwie solide"

Helmut G. hat wahrscheinlich einen Großteil seiner privaten Altersversorgung verloren. Den Gegenwert eines gehobenen Mittelklassewagens, einige zehntausend Euro. Vor 14 Jahren hatte der Rentner erstmals beim Container-Vermieter P&R aus Grünwald bei München investiert. Ein Bausparvertrag wurde fällig. Helmut G. wollte nicht bauen, lieber das Geld fürs Alter anlegen. Der Tipp mit den Containern kam von einem Freund:
"Also, der hatte das schon jahrelang so gemacht, und war damit ganz zufrieden, habe ich gedacht, naja, ich will ja nicht reich werden, ich will nicht spekulieren. Ich fand das Modell sehr gut und dann habe ich gedacht: Mach ich auch."
Das Investitionsmodell: Der Anleger kauft Schiffscontainer bei der Firma P&R, die diese dann zurückmietet, um sie an große Reedereien zu verchartern. Dafür gab es vierteljährlich eine Mietzahlung sowie – nach fünf Jahren – den garantierten Rück-Kauf des Gebraucht-Containers.
"Miete, das klang irgendwie solide. Es ging um ein reelles Geschäftsmodell. Also, dass die Leute, die ihre Güter transportieren müssen, nicht noch das Geld haben, alle Container, die sie dafür brauchen, zu kaufen, und da finanziert das jemand. Das fand ich eigentlich sehr gut."
Zumal Helmut G. damals noch aktiver Segler war, mit einem Faible fürs Maritime. Auch deshalb schien das Container-Investment zu passen. Über Jahre ging alles gut. Die Miete kam pünktlich, die gebrauchten Stahlboxen wurden wie versprochen von P&R zurückgekauft: "Ja, hier steht's denn: auf das Investitionskapital nach Steuer 5,3 Prozent, 5,1 Prozent, je nach Steuersatz."

WEISSER KAPITALMARKT - GRAUER KAPITALMARKT
Zum sogenannten "weißen" Kapitalmarkt gehören alle Kredit- und Finanzinstitute, Finanzierungs- und Kapitalverwaltungsgesellschaften sowie Versicherungsunternehmen, die staatlich reguliert und laufend durch die BaFin oder andere Aufsichtsorgane beaufsichtigt und kontrolliert werden. Produkte des "grauen" Kapitalmarkts hingegen werden nur mäßig oder gar nicht kontrolliert: Hier zählen Geldanlagen wie Direktinvestments in Schiffe, Container oder regenerative Energien, Immobilienfonds, Nachrangdarlehen, Genussrechte oder Anlagen in Kryptowährung oder Crowdinvesting. Mehr zum grauen Kapitalmarkt und der P&R-Pleite hören Sie im Beitrag von Anja Schrum und Jan-Uwe Stahr: Audio Player

Die Rendite sank zwar im Laufe der Jahre auf rund vier Prozent, aber die Zinsen waren allerorten im Sinkflug. Zweifel an dem Geschäftsmodell kamen Helmut G. nicht. Die Mietzahlungen kamen ja weiterhin regelmäßig. Außerdem erhielt er für "seine" Container. "Zertifikate".
"Das Zertifikat sagt eben ganz deutlich: alleiniger Eigentümer für den nachfolgenden Container. Nach ISO-Norm und Attest vom Germanischen Lloyd und das klang ja alles solide. Und dann gab es eine Nummer, also alles eindeutig – hier: BSI U 98 4995."
Die Nummer "seines" Containers - angeblich. Nur einmal, da wurde der Segler doch stutzig. Bei seinen Törns auf der Ostsee fiel ihm auf:
"Alle Container sind ja beschriftet, die ich so sehe unterwegs, und nie kommt ein Container mit der Aufschrift "P&R". Na, hab mich gewundert, hab ich dort mal angerufen und hab gefragt, wie das dann ist, ist ja ein relativ großer Verleih, zehn Prozent hab ich gehört, dann müsste ja jeder zehnte von P&R sein. Und dann sagten sie mir: 'Ja, sie leihen die Container dann aus und die Reederei, die damit dann fährt, lackiert diese Container mit ihrem Zeichen.' Ja, das fand ich einleuchtend, aber ob das eine Ausrede war, das weiß ich nicht."
Der Container-Terminal des Rotterdamer Hafens
Bei seinen Segeltörns begegneten Helmut G. niemals "P&R"-Container. (Symbolbild Container-Terminal des Rotterdamer Hafens). © imago images / Hollandse Hoogte
Als drei Firmen der P&R-Unternehmensgruppe im März 2018 Insolvenz anmelden, kommt das völlig überraschend. Nicht nur für den Rentner, sondern auch für viele Anleger und Experten. Der 76-Jährige versucht, sich zu beruhigen: Die Firma habe zwar Schiffbruch erlitten, aber die Container seien ja nicht ins Wasser gefallen, hofft er.
"Für mich war klar, dass es einen sicheren Verlust gibt, aber nicht, dass dieser Verlust – wie jetzt schon angekündigt – über die 50 Prozent – hab ich nicht gedacht."
Doch Mitte Mai, nachdem der Insolvenzverwalter sich durch das Firmengeflecht und die Bücher bei P&R gewühlt hat, steht fest: Von den rund 1,6 Millionen Containern, die die Firma an 54.000 Anleger verkauft hat, existieren e i n e Million nur auf dem Papier. Ab 2007 soll P&R immer häufiger das Geld der Anleger nicht mehr in den Container-Kauf gesteckt haben. Stattdessen wurden neu eingeworbene Gelder benutzt, um Altanleger auszuzahlen. Ein Schneeballsystem.

"Ich weigere mich, mich daran zu gewöhnen, dass wir einen Finanzmarkt haben, der eine ideale Spielwiese für Betrüger ist, weil er so intransparent ist. Sondern wir müssen endlich den Finanzmarkt so aufstellen, dass er gut für die Kunden ist", sagt der Grünen-Politiker und Finanzmarktexperte Gerhard Schick. Zum Jahresende legt Schick sein Bundestagsmandat nieder, um sich ganz der von ihm gegründeten "Bürgerbewegung Finanzwende" zu widmen. Diese will für einen besseren Schutz von Kleinanlegern sorgen.

Gerhard Schick 
© imago / IPON
Die Anleger, die zusammen rund 3,5 Milliarden Euro investiert haben, fürchten nun den Totalverlust. Im Insolvenzverfahren fühlt sich Helmut G. allein gelassen. Beim Ausfüllen der Forderungs-Anmeldung etwa. In dem vom Insolvenzverwalter vorformulierten Schreiben sollen Anleger wie er, die konkrete Eigentumszertifikate von P&R erhalten haben, auf bestimmte Eigentümerrechte verzichten. Anwälte warnten davor, dies so zu unterschreiben.
"Der Insolvenzverwalter ist natürlich Partei. Und nicht für die Gläubiger da, sondern für die Firma. Und was der empfiehlt, muss nicht unbedingt in meinem Interesse sein."
Einen Anwalt kann der 76-Jährige sich nicht leisten. Sein finanzieller Spielraum ist eng geworden: "Einkommensreduzierung heißt, weniger Geld ausgeben. Merk schon, ich komm richtig ins Stottern. Ja, es geht nur über Einschränkungen."
Sparen, sich einschränken, um mit dem verbliebenen Geld möglichst weit zu kommen. Zu dem monetären Verlust komme die Häme, die ihm zum Teil entgegenschlägt, erzählt der Rentner:
"Nicht etwa, oh Mensch, da hast du aber Pech gehabt, sondern: selber schuld oder so. Das kommt noch dazu, dass das wie ein Makel ist. Natürlich ärgere ich mich, dass ich so blöd war. Und dass man da nicht mehr Sorgfalt drauf verwendet hat – also, ich war da zu blauäugig, ich hab mich verlassen auf den deutschen Ingenieur beim Autokauf und auf den deutschen Kaufmann für das Wirtschaftswunder – und nun sehe ich, das ist alles gelogen. Und das ist, was mich dabei am meisten erschüttert."
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