Ottessa Moshfegh: Eileen

Die alltäglichen Grausamkeiten

Buchcover "Eileen"
Buchcover "Eileen" und eine Landstraße © Verlag Liebeskind/picture alliance/dpa/Foto: Ole Spata
Von Sonja Hartl · 15.09.2017
X-Ville, Neuengland 1964. Eileen: voll Selbsthass, Prüderie, Stolz, Wut und Langeweile, vierundzwanzig, Jungfrau. Vater Ex-Cop, Säufer. Auftritt die glamouröse Rebecca, ihr Licht fällt in Eileens desaströse Schattenwelt.
Eileen hasst ihre Brüste, ihre Verdauung, ihr Leben. Mit ihrem alkoholkranken Vater lebt die junge Frau im Jahr 1964 einer Kleinstadt in Neuengland und arbeitet als Sekretärin in einer Vollzugsanstalt für straffällig gewordene Jugendliche.
Alles ist heruntergekommen: das Haus, in dem sie lebt, ihr Körper, ihr Selbstwertgefühl. Nach außen hin übt sie sich in Gelassenheit und Unnahbarkeit, während sie sich zwischen Selbstbetrachtung und Selbsthass ihren Fantasien über heiße Liebschaften oder Planungen ihrer Flucht hingibt.
Doch dann geschieht etwas: Über die Weihnachtstage kommt die schöne Rebecca Saint John in die Kleinstadt und fängt in derselben Vollzugsanstalt zu arbeiten an. Damit wittert Eileen die Chance auf eine Freundschaft – und auf ein neues Leben.

Gnadenlos

Im Rückblick lässt Ottessa Moshfegh ihre Protagonistin von den Ereignissen in jenem Winter erzählen, die zu einem Vorfall führen, der zunächst nur angedeutet wird: Er war der Wendepunkt in ihrem Dasein, durch ihn verließ sie die Kleinstadt und scheint seither ein unauffälliges Leben zu führen.
Gnadenlos geht die gealterte Eileen in dieser Rückbetrachtung mit sich selbst ins Gericht. Als junge Frau - damals ist sie 24 Jahre alt - ist sie von Selbsthass und Selbstekel durchzogen, immer wieder macht sie sich fertig wegen ihres Aussehens, ihres Verlangens, ihres Lebens.
Doch mit jeder erneuten Beobachtung ihrer Körperfunktionen, ihres Lebens mit ihrem Vater – einem paranoiden Ex-Polizisten – und der Abwesenheit von Freunden und Vertrauten verändert sich Eileen immer mehr in der Wahrnehmung des Lesers. Sie ist gleichermaßen abstoßend wie faszinierend, man bemitleidet sie - und verachtet sie.

Fast ein Antiklimax

In "Eileen" entblättert sich die gewaltvolle Emanzipation der Erzählerin in einer nicht nur vom Winter erstarrten Kleinstadt. Dabei wendet Ottessa Moshfegh Erzählmuster an, die gelegentlich an Jim Thompson erinnern und auch in der gegenwärtigen Kriminalliteratur noch eher männlich tradiert sind. Clever zögert sie zudem mit jeder Wiederholung jenen wichtigen Wendepunkt heraus, von dem Eileen doch eigentlich erzählen wird.
Und wenn er dann nach knapp 300 Seiten eintritt, entpuppt er sich fast als Antiklimax. Daher entsteht durch die Erzählung, die Sprache und die alltäglichen Grausamkeiten, die Eileen sich selbst antut, erfährt und beobachtet, ohne deren Konsequenzen und Ausmaß vollends zu benennen, eine finstere Grausamkeit – und das Porträt einer Frau mit soziopathischen Zügen.

Ottessa Moshfegh: Eileen. Roman
Aus dem Amerikanischen von Caroline Burger
Liebeskind, München2017
336 Seiten; 22 Euro

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