Osterfestspiele in Salzburg vor der Zeitenwende

Von Jörn Florian Fuchs · 07.04.2012
Bei den Osterfestspielen in Salzburg gab es traditionell verschiedene Programme, die miteinander verzahnt wurden. Die letzten Jahre allerdings waren geprägt von dramaturgischem Wildwuchs - so auch diesmal, meint unser Kritiker Jörn Florian Fuchs.
Das hatten sich Simon Rattle und die Berliner Philharmoniker so gedacht: Einen Repertoirerenner zum Abschluss ihrer 45. und letzten Saison in Salzburg - da kann eigentlich gar nichts schiefgehen! Leider ging es aber doch schief, weil Rattle manche Details der "Carmen" zwar wunderbar fein und farbig erklingen lässt, den überwiegenden Teil der Partitur jedoch schroff und laut und polternd durchhechelt, was zur platten Regie von Aletta Collins bestens passte.

Dazu kam das Malheur einer völlig fehlbesetzten Titelpartie: Magdalena Kožená sang und spielte die feurige Verführerin zaghaft, betulich, allenfalls unterkühlt erotisch. Jonas Kaufmann mühte sich nicht immer erfolgreich durch den Don José, einzig Genia Kühmeier als Micaëla war hinreißend.

Neben der Oper gibt es bei den Osterfestspielen traditionell immer drei große Orchester- beziehungsweise Chorkonzerte. Früher bestand der Witz dieses immens teuren Festivals darin, die Programme miteinander zu verzahnen. Etwa so: Man gibt zum Auftakt "Peter Grimes", dann folgen drei Gesangszyklen Benjamin Brittens, dazu die drei letzten Mozart-Symphonien. Oder so: Die Eröffnungspremiere ist Debussys "Pelléas et Mélisande", in den Konzerten erklingen die Varianten von Fauré und Schönberg. Dazu kommt dann noch Kammermusik mit Zeitgenossen oder Gegenspielern Debussys.

Alles vorbei, die letzten Jahre waren geprägt von dramaturgischem Wildwuchs, das einzige Kriterium schien Simon Rattles persönlicher Geschmack zu sein. Auch heuer suchte man vergeblich Verbindungslinien. Nach der Carmen dirigierte Zubin Mehta Bruckners Achte als prachtvoll pompöses Spektakel. Rattle widmete sich - durchaus mit Fortune - Faurés Requiem und lud für die wenigen Solo-Stellen Kate Royal und Christian Gerhaher ein. Dazu kam ein doppelter Schumann: sein Klavierkonzert und das knappe, ergreifende "Nachtlied". In der Mitte sang Kate Royal die Luciano Berio-Miniatur "O King" - eine sehr merkwürdige Zusammenstellung. Anderntags folgte die ebenfalls nicht zwingende Kombination aus Beethovens zweitem Klavierkonzert und Mahlers "Lied von der Erde".

Im Mozarteum konnte man zwei Kammerkonzerte zu recht günstigen Preisen erleben, Mitglieder der Berliner Philharmoniker spielten Preziosen von Debussy, Busoni sowie Faurés erstes Klavierquartett Und es gab noch einmal Magdalena Kožéna. Diesmal widmete sie sich keiner rassigen Opernfigur, sondern Manuel de Fallas eher tastender "Psyché". Da ist die Rede von singenden Vögeln, Füßen aus Gold, einem klaren See zwischen Blumen und ewiger Morgenröte. So richtig froh wird man mit Koženás Dauer-Tremolo indes nicht, noch unangenehmer klingt allerdings ihre Interpretation einiger "Chants d'Auvergne" von Joseph Canteloupe. Diesen Liedzyklus in okzitanischer Sprache hat die US-amerikanische Sopranistin Dawn Upshaw uneinholbar auf CD verewigt. Magdalena Kožená arbeitet sich fast emotionslos durch die reichen Tonfluten Canteloupes - ein monochromes Trauerspiel.

2013 übersiedeln die Berliner Philharmoniker nach Baden-Baden und beginnen ihre erste Saison mit Mozarts "Zauberflöte", Regie führt der Routinier Robert Carsen. Petitesse am Rande: Carsen inszeniert das Stück nicht zum ersten Mal. In Salzburg startet ein neues Team: Christian Thielemann und die Staatskapelle Dresden. Im Gepäck haben sie unter anderem einen neuen "Parsifal", den Michael Schulz deuten wird. Schulz' "Ring des Nibelungen" vor ein paar Jahren in Weimar bestach durch gute Personführung und ein sehr stringentes Konzept.

An diesem Osterwochenende zwischen Berliner Abenddämmerung und Dresdner Morgenröte überwiegt zwar die Hoffnung auf Neues und Besseres, aber es stellt sich auch Traurigkeit ein. Denn etwas wird fehlen: der unvergleichliche Klang der Berliner in kleiner Besetzung, wie etwa bei Ravels wundervoller Miniatur "Le jardin féerique".