Ostdeutschland

Das lange Ringen um Anerkennung

Demonstration am 18.03.1991 in Leipzig gegen den massiv betriebenen Sozialabbau in den neuen Bundesländern ohne konkrete Sanierungskonzeptionen für erhaltenswerte Betriebe.
Demonstration 1991 in Leipzig gegen massiven Sozialabbau in den neuen Bundesländern. © picture alliance / dpa / Wolfgang Kluge
Ein Standpunkt von Markus Ziener · 02.10.2018
Schnell wird mit dem Finger auf den Osten Deutschlands gezeigt, wenn es um den neuen Rechtspopulismus geht. Analysen gibt es zuhauf. Woran es aber mangelt, ist eine aufrichtige Debatte über Anerkennung, meint der Journalist Markus Ziener.
Unser Leben dreht sich um Anerkennung. Täglich wünschen wir uns, dass unsere Leistungen, unser Tun, unsere Arbeit anerkannt wird, dass wir dafür Wertschätzung erfahren. Wertschätzung von anderen, von der Familie, von Arbeitskollegen, am besten von Vorgesetzten.
Anerkennung ist die eigentliche Währung in unserem Leben – und oft ist sie sogar wichtiger als ihr Pendant, das Geld. Der Sozialphilosoph Axel Honneth hat zu diesem, seinem Lebensthema, kürzlich ein neues Buch veröffentlicht. Er erklärt mit Verweis auf Kant und Hegel, warum gerade in Deutschland die Anerkennung einen so hohen Stellenwert besitzt.
Anders als in England oder Frankreich, so Honneth, ist hierzulande Anerkennung nicht nur ein Bedürfnis, sondern es "stellt eine Bedingung dafür dar, überhaupt ein vernünftiges, sich selbst bestimmendes Wesen werden zu können". Erst aus der Reaktion des Gegenübers sind wir in der Lage, unseren eigenen Ort zu definieren. Fehlt uns aber diese Reaktion, dann haben wir ein Problem mit unserer Identität. Dann sind wir uns über uns selbst nicht mehr sicher.

Lebensgeschichten würdigen

Anerkennung, Wertschätzung: Um diese Begriffe geht es auch, wenn in der aktuellen Debatte nach den Ursachen für den Frust und die Wut im Osten Deutschlands gesucht wird.
Petra Köpping, Ministerin für Integration in Sachsen, kommt immer wieder auf das zu sprechen, was mit dem Mauerfall vor 29 Jahren einsetzte. Es war das Gegenteil von Anerkennung, es war die zum Teil völlige Entwertung von Lebensleistung.
Über Nacht war das, was die Menschen in der DDR über vier Jahrzehnte getan hatten, wertlos. "Niemand hat die Lebensgeschichte gewürdigt", schreibt Köpping. "Niemand hat zugehört".
Der Westen rollte wie eine Walze über den Osten. Die industriellen Kapazitäten der alten Bundesrepublik reichten mühelos aus, um die ehemalige DDR mit zu versorgen. Ökonomisch bestand keine Notwendigkeit, im Osten Fabriken zu übernehmen oder neue zu bauen.
Ab jetzt galt das Primat von Wettbewerb und Rentabilität. Also wurden Menschen entlassen, millionenfach. Entweder direkt in die Arbeitslosigkeit oder in sogenannte Beschäftigungsgesellschaften. Verdiente und verantwortungsbewusste Mitarbeiter in volkseigenen Betrieben wurden auf einmal zu Umschülern, zu Erstklässlern.
Erzählen konnten sie ihre Lebensgeschichten nicht, weil niemand da war, der zuhörte. Und wenn dann doch mal einer erklärte, warum das mit der Wende alles nicht so einfach war, dann wurde er als "Jammer-Ossi" lächerlich gemacht.

Der Abbruch von Lebenswegen

Die Enttäuschung darüber, zu den Verlierern und Abgehängten zu gehören, sitzt bis heute bei vielen Menschen im Osten Deutschlands tief. Und sie lässt sich nur teilweise lindern, indem man Geld verteilt. Denn Geld ist eben kein hinreichender Ersatz für den Mangel an Anerkennung, für ausbleibende Wertschätzung, für das plötzliche Abbrechen von Lebenswegen.
Dabei spielt es keine Rolle, was man von der DDR hält, wie autoritär das politische System war oder dass es sich als unfähig erwies, ökonomisch einigermaßen effizient zu funktionieren. Denn am Ende will niemand sein Leben als verschwendet ansehen müssen, egal, wo es stattfindet. Jeder wünscht sich Anerkennung für das, was er leistet. Das galt für die alte Bundesrepublik wie für die DDR.
Persönliche Kränkungen und zerbrochene Lebensträume erklären einen Teil der Wut im Osten der Republik. Eine Rechtfertigung dafür, dass sich diese Wut ausgerechnet an jenen abreagiert, die unserer besonderen Aufmerksamkeit bedürfen – den Flüchtlingen -, kann sie jedoch niemals sein. Was sich auf den Straßen in Chemnitz, Köthen und Halle abspielt ist nichts anderes als Rassismus.

Themen sauber trennen

Warum die Schwelle zu diesem Rassismus gerade im Osten so schnell überschritten ist, hat viele Gründe. Die latente Fremdenfeindlichkeit der ehemaligen DDR ist einer davon, die kaum aufgearbeitete nationalsozialistische Vergangenheit ein anderer.
Die große Herausforderung für die Politik besteht darin, das eine vom anderen sauber zu trennen: Jenen zuzuhören, die endlich ihre Geschichte erzählen wollen. Und mit den anderen, die diesen Staat ablehnen, unerschrocken so umzugehen, wie diese es verdienen.

Markus Ziener, Jahrgang 1960, ist Autor, Journalist und Hochschulprofessor in Berlin. Er war Korrespondent in Moskau und Washington und berichtete mehrere Jahre aus dem Mittleren Osten. Im Herbst erscheint sein erster Roman "DDR, mon amour", der die Geschichte einer deutsch-deutschen Freundschaft erzählt.


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