Oskar Roehler über seinen Film "HERRliche Zeiten"

"Für eine Satire die perfekte Grundkonstellation"

Oliver Masucci (M.) in der Rolle des Claus Müller-Todt in dem Film "HERRliche Zeiten"
Oliver Masucci (M.) als Schönheitschirurg Claus Müller-Todt in "HERRliche Zeiten" von Oskar Roehler © 2018 Concorde Filmverleih GmbH
Moderation: Susanne Burg · 28.04.2018
Oskar Roehlers "HERRliche Zeiten" basiert auf dem Roman "Subs" von Thor Kunkel. Der Geschichte des umstrittenen Autors um einen Schönheitschirurgen und dessen Ehefrau habe ihn sehr gereizt, sagt der Regisseur - weil er diese moderne Bourgeoisie verunglimpfen wollte.
Susanne Burg: Beim Namen Oskar Roehler schwingt immer auch etwas von Skandal mit, von Provokation. Das meiste ist kalkuliert. Oskar Roehler ärgert gern. Das hat er schon mit "Elementarteilchen" bewiesen, der Verfilmung des Provokateurs Michel Houellebecq. Und das wollte er wohl auch mit Thor Kunkels Roman "Subs" von 2011 machen. Aber vielleicht, vielleicht hat sich Roehler jetzt ein wenig verhoben. Denn die Provokation bekam ihre eigene Dynamik.
Am Donnerstag kommt Roehlers Film "HERRliche Zeiten" in die Kinos. In der vergangenen Woche war die Premiere. Und Thor Kunkel war nicht dabei. Kunkel – im letzten Jahr in der Öffentlichkeit wegen seiner Wahlplakate für die AfD – beschwerte sich vorab, dass die Produktion nichts mehr mit dem Film zu tun haben wolle, dass sie sich distanziere, dass er nicht zum roten Teppich eingeladen werde. Und tatsächlich scheint den Beteiligten Thor Kunkel und seine AfD-Nähe unheimlich geworden zu sein, scheinen sie ein bisschen kalte Füße bekommen zu haben. Vor eineinhalb Monaten war davon noch nicht die Rede.
Mitte März traf ich Oskar Roehler zum Interview. Er war kurz vor dem Abflug zu seinem Zweitwohnsitz auf Mallorca. Ich hatte den Film gesehen und auch Kunkels Roman gelesen. Im Zentrum: Ein Schönheitschirurg und eine Gartenarchitektin, gespielt von Oliver Masucci und Katja Riemann, die auf der Suche nach einer Haushaltshilfe sind. Ihnen dient sich Bartos an, gespielt von Samuel Finzi.
((Filmausschnitt))
Sowohl der Roman als auch der Film sind eine Überzeichnung, eine Satire auf die gut situierte, gesättigte bürgerliche Welt. Rechte Positionen konnte ich nicht finden. Und trotzdem hat mich natürlich interessant, was Oskar Roehler ausgerechnet an dem Roman von Thor Kunkel interessiert hat.

"Es triggert so deine Schadenfreude als Leser"

Oskar Roehler: Das war eine wahnsinnig interessante Grundkonstellation. A) hast du einen Schönheitschirurgen, eh schon mal eine interessante Filmfigur, finde ich, weil du gleich denkst, neureich, oberflächlich, hohl – was die Figur ja im Grunde genommen auch ist –, plus Ehefrau, die in so einer Cocooning-Welt leben. Und dann dient sich ihnen jemand an, der sagt, dass er ihnen das Paradies auf Erden schaffen will, ohne dass sie dafür bezahlen müssen.
Aber dann passiert halt genau diese Art von merkwürdiger sagen wir mal Mentalität, also diese Leute, dass die dann so das tatsächlich machen, weil sie einfach so egoistisch sind irgendwo und denken, das wäre alles selbstverständlich, was man so kriegt auf der Welt. Und in dem Moment, wo du merkst, die sind ja ganz schön unsympathisch, merkst du aber gleichzeitig voller Genuss und Befriedigung, dass es da irgend einen Moment gibt, wo du denkst, die werden bestimmt aufs Glatteis geführt. Also es triggert so deine Schadenfreude als Leser oder hoffentlich dann auch irgendwie Zuschauer.
Und das hat natürlich so einen wahnsinnigen Spannungsmoment, und das ist ja immer das Schönste im Film. Da wird dann auch so die Moralfrage gestellt. Es wird dann einfach so – was machen sie? Sie sind ja so hochmoralisch, vor allen Dingen auch die Frau – die Gesellschaft hat uns so viel gegeben, und wir geben aber nichts zurück, wir behalten das lieber. Das ist ja im höchsten Maße unmoralisch eigentlich, wie die sich verhalten. Das ist natürlich für eine Satire die perfekte Grundkonstellation, weil die Leute müssen dir nicht sympathisch sein. Du willst dir ja irgendwie angucken, wie sie aufs Glatteis geraten und wie sie dann am Ende, was weiß ich, was mit ihnen passiert.
Burg: Genau, wie Sie das beschrieben haben. Es geht auch in dem Roman, ich glaube, so in den ersten 140 Seiten, immer wieder um Sklaverei, was ist Sklaverei und wie verhalten wir uns dazu? Ist eigentlich, wenn wir uns einen Haushälter nehmen, erinnert diese Arbeitssituation nicht auch schon so ein bisschen an Sklaverei? Dann heuern ja bulgarische Wanderarbeiter an und bauen einen Swimming Pool. Dann gibt es im Nachbarhaus bei Ihnen im Film auch eine Party, die ein römisches Motto hat, und wie Sie beschrieben haben, wird ja da eigentlich schon so dieser ganze luxuriöse Lebensstil hinterfragt. Leben wir sozusagen in dem, was Guido Westerwelle mal die "spätrömische Dekadenz" genannt hat?

"Die wollte ich unbedingt aufs Korn nehmen"

Roehler: Es gibt natürlich einen fantastischen Moment in dem Film, den darf man eigentlich gar nicht so verraten, aber ich sag es jetzt doch: Das ist, wenn dieser Butler plötzlich seine Wundertüte öffnet und da sind plötzlich 30 Bulgaren, die einen Pool bauen. Das ist natürlich dieser unermessliche Reservoir und Fundus von sagen wir mal, das hat der Thor Kunkel als Grundlage genommen von diesem Arbeiterstrich, wo illegale Arbeiter aus Europa ankommen.
Und das ist in dem Film natürlich ein fantastischer Moment, weil er natürlich a) horribel ist und weil er b) gleichzeitig erzählt, hier hast du unbegrenzte Möglichkeiten. Wenn es dir nicht reicht, einen Pool zu bauen, dann hole ich das nächste Mal 500 Leute aus Bulgarien, und dann bauen wir dir gegenüber noch ein riesiges Haus in sechs Wochen, was dich kein Geld kostet.
Ich hab tatsächlich so ein Trauma, weil ich hab einen zweiten Wohnsitz in Mallorca, und ich fliege sehr oft. Und ich hab immer diese drei Louis-Vuitton-Familien vor mir, und die stehen da immer, wie so Gespenster aus einem Bunuel-Film. Die sind hyperreal. Die anderen Menschen sind normal, tragen irgendwelche mittelmäßigen Klamotten und fallen nicht auf. Und diese drei, vier Mitglieder dieser Bürgergesellschaft, die glänzen durch ihre Privilegien und ihre Statussymbole ganz unverblümt und schamlos.
Und diese Leute, die nie sich um andere scheren, wo du immer das Gefühl hast, die sind nur für sich selbst da, für ihre Clique, die wollte ich unbedingt aufs Korn nehmen. Das ist so ein tiefes inneres Bedürfnis von mir, diese Bourgeois, diese modernen Bourgeois zu verunglimpfen, zu beschmutzen und ihr wahres Gesicht irgendwie so zu zeigen, wenn ich ganz ehrlich bin, wenn ich ganz, ganz ehrlich bin, was da so dahintersteckt.
Der Filmemacher und Buchautor Oskar Roehler
Er sei selbst viel zu dekadent, um Sozialdramen zu drehen, sagt Roehler.© dpa / picture alliance / Horst Galuschka
Burg: Nun kriegt eigentlich jede Figur ihr Fett ab. Im Prinzip sind alle überzeichnet, der Schönheitschirurg, der bei der OP ausflippt und das Klischee eines Schönheitschirurgen ist. Aber natürlich auch die bulgarischen Wanderarbeiter, die im Garten ein Lagerfeuer machen und da campen und auch ein bisschen das Klischee erfüllen. War es dann für Sie auch ...

"Es gibt keine individuellen Verhaltensweisen mehr"

Roehler: Wir Menschen erfüllen ja immer Klischees, wir sind Klischees geworden. Es gibt keine individuellen Verhaltensweisen mehr. Alles, was wir machen, ist einer bestimmten Klasse oder bestimmten Ritualen von der Klasse angepasst. Die Kleidung, das Sexualverhalten, die Ernährung, die Art der Musik, die man hört und so weiter. Mir kann keiner erzählen, dass Klischees nicht die absolut wahre Wirklichkeit sind.
Burg: Meine Frage geht dann eigentlich so ein bisschen in die Richtung. Sie hätten das ja auch als Sozialdrama inszenieren können. War dann Satire für Sie –

"Sozialdramen sind immer so klein"

Roehler: Ach, Drama machen die Deutschen ja nur, das ist ja wahnsinnig langweilig. Das ist ja absolut nervtötend. Soll ich jetzt noch ein Sozialdrama zu den unzähligen, nie gesehenen, unendlich langweiligen Sozialdramen hinzufügen? Das ist keine Kategorie von Meisterschaft oder Kino, oder da ist die Messlatte so niedrig, das interessiert mich auch nicht.
Ich würde niemals so ein Sozialdrama als Stoff aussuchen, weil ich das – die Herausforderung ist ja, so ein kleines Meisterstück zu liefern in Sachen Inszenierung, in Sachen Komik, in Sachen Weltsicht und da ganz partikular für mich dann auch immer den absurden Aspekt des Daseins von so einer Gesellschaftsform einfach auch aufzuzeigen, wie das die großen Meister früher ja auch gemacht haben, wie das Chabrol gemacht hat, wie das Bunuel gemacht, wie das die Coen Brothers heute machen, wie das Lynch gemacht hat.
Das sind meine Vorbilder, und denen eifere ich natürlich nach, und ich will dann auch exzeptionell irgendwas machen, was schillernd ist und was in gewisser Weise auch Kino-Glamour hat und was auch Exzentrik hat und so weiter und was auch provozierend ist, und was auch von der Weltsicht her provozierend ist.
Sozialdramen sind immer so klein, weil die sich auf so eine Moral meist reduzieren lassen irgendwo. Also einer rächt das Böse, wie jetzt bei Fatih Akin oder so. Das sind ja alles so Themen, die mich nicht interessieren. Dazu bin ich ja viel zu dekadent.
Burg: Was sagen Sie dann zu einer Aussage im "Spiegel", als es um Thor Kunkel ging, als es um den Roman ging, dass zwischen den Zeilen, dass da auch eine Botschaft mitschwinge, was den Roman angeht, die auch die AfD propagiert, nämlich, ich zitiere: "Wer die Fremden ins Land lässt, wird am Ende von ihnen beherrscht."
Roehler: Sagt der Thor Kunkel das?
Burg: Das ist die Interpretation des "Spiegels", dass eben in dem Roman mitschwinge, dass diese Szene, also wenn Bulgaren in den Vorgarten kommen – "Wer die Fremden ins Land lässt, wird am Ende von ihnen beherrscht."

Thor Kunkels Worte massiv auf die Waagschale gelegt

Roehler: Ich kenne die Autorin, und die hat natürlich jedes Wort von dem Thor Kunkel massiv auf die Waagschale gelegt, aus all seinen Romanen. Die hat sich tatsächlich die Mühe gemacht, allein – das muss man schon mal bedenken – jeden Roman nach irgendwelchen AfD-ähnlichen Äußerungen zu durchforsten, auch Romane, wo es die AfD überhaupt noch gar nicht gab. Also, das ist schon sehr masochistisch, sage ich mal, und sehr merkwürdig.
Ich finde, dass der Film oder dass das Buch diese Frage im Grunde gar nicht stellt, und falls sie das im Buch herausgelesen hat, habe ich mich um die Frage überhaupt nicht gekümmert, weil ich glaube eher, dass es da einfach um ... Die Geschichte ist die einer Intrige. Sagen wir mal so, ich meine, trotzdem, ich will mich nicht um die Frage rumwinden. Sie haben jetzt sicher das Gefühl, Sie würden gern von mir eine Stellungnahme haben, ob ich das auch so empfinde, dass, wenn man die Fremden reinlässt, die dann die Herrschaft über einen übernehmen.
Das ist halt schon eine sehr komplexe Frage. Aber der Film hat damit tatsächlich wirklich nichts zu tun, weil der Film zeigt irgendwie tatsächlich arme bulgarische Arbeiter, die in diese Intrige eingespannt werden. Die machen ja eigentlich nichts anderes, als den Pool zu bauen. Die sind auch nicht böse, die machen auch nichts Böses, die übernehmen auch nicht die Herrschaft. Es geht ja darum, dass der Butler versucht, die Herrschaft zu übernehmen.
Der instrumentalisiert dann ein paar Bulgaren irgendwie, um über die seine Intrige zu spinnen. Die armen Bulgaren haben in dem ganzen Film nichts Böses gemacht und werden auch nicht ein einziges Mal als solche dargestellt. Ich weiß, dass der Ansatz des Buchs damals von Thor tatsächlich der war, diese prekären Arbeitsverhältnisse darzustellen, dass unzählige Leute ins Land gelassen werden, und dass es einen riesigen Markt an illegaler kompletter Ausbeutung von Menschen gibt. Und dass das eigentlich symptomatisch ist für den Spätkapitalismus.
Ob die Kritik jetzt von rechts oder von links kam, finde ich, ist aus dem Roman in überhaupt keiner Weise rauszulesen, und es stimmt auch überhaupt nicht, dass der Thor dem in irgendeiner Form was zugrunde legt, was damit zu tun hat, dass die, weil sie jetzt im Garten sind, die Herrschaft übernehmen. Es geht auch in dem Roman in keiner Minute darum. Es ist eine böswillige Unterstellung, die meiner Meinung nach vollkommen falsch ist.
Burg: Oskar Roehler zu dem umstrittenen Autor Thor Kunkel und der Verfilmung von Kunkels Roman. "HERRliche Zeiten" heißt der Film, und er kommt am Donnerstag in die Kinos. Und ein Gespräch mit der erwähnten Autorin des "Spiegel" und ihrer Ansicht von Thor Kunkel können Sie am kommenden Mittwoch hören, hier im Programm, in der Literatursendung "Lesart" im Deutschlandfunk Kultur.
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