Oscar Wilde: Der glückliche Prinz

Rezensiert von Tobias Wenzel · 08.04.2005
Oscar Wilde schrieb nicht nur Romane und Theaterstücke. Bereits 1888, zwei Jahre vor dem "Bildnis des Dorian Gray", erschien der Band "Der glückliche Prinz und andere Märchen". Die Titelgeschichte liegt jetzt als Hörbuch vor. Und das ist bereits für den Deutschen Schallplattenpreis 2005 nominiert worden.
"Hoch über der Stadt, auf einer schmalen Säule stand die Statue des glücklichen Prinzen. Er war über und über mit feinem Blattgold bedeckt. Als Augen hatte er zwei strahlende Saphire. Und ein großer roter Rubin glühte auf seinem Schwertknauf. "

So lässt Oscar Wilde das Märchen vom "Glücklichen Prinzen" beginnen, das als Hörbuch im newsic-Verlag erschienen ist. Die Leute bewundern die Statue des verstorbenen Prinzen, weil sie so prachtvoll aussieht. Und auch, weil der Prinz zu Lebzeiten glücklich war: Er lebte in Sanssouci, durch Mauern abgeschirmt von der Außenwelt. Jetzt aber überblickt die Statue die ganze Stadt und die Sorgen und Nöte der Armen. Eine Schwalbe, die gerade auf dem Weg nach Süden ist, macht auf der Statue halt und wird plötzlich ganz nass: Der Prinz aus Metall weint und erzählt der Schwalbe von einer armen Näherin:

""In der Ecke des Zimmers liegt ihr kleiner Junge krank im Bett. Er hat Fieber und verlangt nach Orangen. Seine Mutter aber kann ihm nichts geben als Wasser aus dem Fluss. Deshalb weint er. Schwalbe, Schwalbe, kleine Schwalbe: Willst du ihr nicht den Rubin aus einem Schwertknauf bringen? Meine Füße sind an einem Sockel befestigt und ich kann mich nicht bewegen." "Ich werde in Ägypten erwartet!", entgegnete die Schwalbe. "

Doch schließlich willigt sie ein und bringt den Rubin zur Schneiderin. Als die Schwalbe sich aber von der Statue verabschieden will, um endlich ins warme Ägypten zu fliegen, bittet der Prinz sie um weitere Gefallen. Sie soll die Saphire seiner Augen einem mittellosen Theaterdichter bringen und einem armen Mädchen, das sich nicht nach Hause traut, weil es Streichhölzer in den Rinnstein hat fallen lassen. Tage später, als die Schwalbe schon zu frieren anfängt, hat der Prinz noch eine Bitte:

""Ich bin ganz mit feinem Blattgold bedeckt", sagte der Prinz, "du musst es abnehmen, Blatt für Blatt, und meinen Armen geben. Die Lebenden denken immer, dass Gold sie glücklich machen kann." Blatt für Blatt pickte die Schwalbe das feine Gold weg, bis der glückliche Prinz ganz stumpf und grau aussah."

Die Schwalbe tut dem Prinzen auch noch diesen Gefallen und verteilt das Gold unter den Waisenkindern. Mittlerweile ist es frostiger Winter. Die Eiszapfen hängen überall von den Dachrinnen der Stadt:

"Der armen kleinen Schwalbe wurde es kälter und kälter. Aber sie wollte den Prinzen nicht verlassen."

Man ahnt es schon: Die Schwalbe und die mittlerweile entstellte Statue des Prinzen erwartet ein böses Ende. Zumindest vorübergehend. Denn letztlich belohnt der Autor in seiner moralischen Geschichte seine beiden Figuren dafür, dass sie die Augen nicht vor dem geschlossen haben, was sie sahen.

Es ist das wohl schönste Märchen, das Oscar Wilde geschrieben hat. Und der newsic-Verlag hat es sehr aufwändig produziert. Diesem Erstling des Verlags verzeiht man es gerne, dass er nicht an allen Stellen ganz so technisch perfekt klingt, wie man das von Hörbüchern erfahrener Verlage kennt. Karla Sponar mit ihrer Stimme und Dorothée Hahne mit ihren Kompositionen treffen jedenfalls perfekt den Ton des Wilde'schen Textes.

Oscar Wilde: Der glückliche Prinz
Eine Geschichte gegen das Wegschauen.
Gelesen von Karla Sponar. Mit Musik von Dorothée Hahne.
Erschienen im Verlag newsic.
1 CD, Länge: 40 Minuten. Preis: 9,99 Euro.


"Eine Geschichte gegen das Wegschauen", diesen Untertitel hat der Hörbuch-Verlag hinzugefügt. Denn ein Teil des Verkaufserlöses wird an den Verein ECPAT Deutschland gestiftet. Der Verein setzt sich gegen Kinderprostitution, gegen Kinderpornographie und für Kinderrechte ein.