Optimismus trotz Stilllegung

Stefan Martus im Gespräch mit Gabi Wuttke · 30.06.2011
Wenn der Bundestag heute die Energiewende beschließt, bedeutet das auch das Aus für den Reaktor im baden-württembergischen Philippsburg. Philippsburgs Bürgermeister Stefan Martus rechnet zwar mit Einbußen, sieht seine Gemeinde aber gut auf den Wandel vorbereitet.
Gabi Wuttke: Deutschlandradio Kultur an diesem 30. Juni 2011, am Tag, an dem der Bundestag die Energiewende beschließen wird, den Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022. Bereits vom Netz ist Kernkraftwerk Philippsburg I in Baden-Württemberg, der Druckwasserreaktor folgt wohl in acht Jahren. Was bedeutet diese Wende für die über 12.000 Einwohner der Stadt, für die EnBW seit über 30 Jahren der größte Arbeitgeber ist? Das wollte ich vom christdemokratischen Bürgermeister Stefan Martus wissen.

Stefan Martus: Ja, ich gehe davon aus, dass die EnBW auch noch großer Arbeitgeber hier sein wird für die Nachbetriebsphase und für die Stilllegungsphase. Man geht da wenigstens von 25 Jahren aus. Da nunmehr acht Reaktoren gleichzeitig in Deutschland in die Nachbetriebsphase und Stilllegungsphase gehen, gehe ich einfach davon aus, dass man keine Fachkraft aus der aktuellen Belegschaft ziehen lassen kann, sondern jeden braucht, um den Rückbau zu organisieren.

Wuttke: Wie hat der Energiekonzern denn zum Wohlstand von Philippsburg in den letzten über 30 Jahren beigetragen?

Martus: Der Wohlstand hat Einzug gehalten mit enorm viel Gewerbesteuereinnahmen bei der Stadt Philippsburg, und aufgrund dieser Gewerbesteuereinnahmen hat die 12.600-Einwohner-Gemeinde Philippsburg sich Infrastruktur geschaffen, die nun wahrscheinlich mit den wegbrechenden Einnahmen in der Gänze nicht mehr erhalten werden kann.

Wuttke: Was heißt denn genau wegbrechende Einnahme, in welcher Höhe wird das denn sein, was können Sie da prognostizieren, was liegt Ihnen möglicherweise auch schon schwarz auf weiß vor?

Martus: Wir gehen davon aus, dass 2011 die EnBW gar keine Gewerbesteuer mehr zahlen wird, wie sich das dann in den Folgejahren entwickelt, hängt davon ab, wie die Brennelementesteuer-Diskussion beziehungsweise Klagen ausgehen, und es hängt auch maßgeblich davon ab, wie viel Investitionen die EnBW zukünftig in andere Technologien zur Stromerzeugung steckt und stecken muss. Wir haben für uns selber mit Beschluss der Brennelementesteuer kalkuliert, dass wir auf circa zwei Millionen Euro negatives Saldo pro Jahr kommen werden, wo unsere Struktur für zwei Millionen eben mehr Ausgaben hat als Einnahmen.

Wuttke: Was heißt denn das ganz konkret für eine Stadt mit 12.600 Einwohnern?

Martus: Das sind wirklich richtig knallige knapp zehn Prozent des Verwaltungshaushaltes, die wir hier ...

Wuttke: Und wird sich wie niederschlagen, worauf werden die Philippsburger verzichten müssen?

Martus: Da sind wir gerade in einem Prozess, der von der KGST begleitet wird, der Kommunalen Geschäftsstelle für Verwaltungsvereinfachung, um zukünftig dann stärker als bisher ausgerichtet unsere Ziele zu verfolgen und die Ressourcen noch besser als vorher einzusetzen.

Wuttke: Das heißt, diese Nachbetriebsphase, die ja auch begrenzt ist, aber immerhin noch ein durchaus üppig überschaubarer Zeitraum, der bringt Ihnen nach Philippsburg keine wirklichen Zukunftsperspektiven. Was also tun? Hatten Sie schon vorher einen Plan B in der Schublade oder ist der Tag der Parlamentsentscheidung jetzt auch der Tag, von dem aus Sie in die Zukunft planen?

Martus: Ich bin ja seit 1. August 2005 im Amt, damals galt der rot-grüne Ausstiegsbeschluss, der ungefähr die gleichen Restlaufzeiten jetzt gebracht hat für die beiden Blöcke – Block I ging etwas früher jetzt vom Netz, Block II dafür etwas später. Und wir haben uns schon frühzeitig auf den Weg gemacht, hier definitiv was zu ändern, unsere Gewerbestruktur breiter aufzustellen, sind da auf einem guten Weg, hätten allerdings natürlich bis 2018 noch gebraucht. Die Brennelementesteuer beschert uns das, was 2018 eingetreten oder nach rot-grünem Ausstiegsbeschluss eingetreten wäre schon 2011, sodass wir jetzt schneller agieren müssen, wird wohl dann auf der freiwilligen Ausgabenseite größere Einschnitte bedeuten als vorgesehen.

Wuttke: Um das mal ein bisschen plakativ zu machen: Was steckt denn genau hinter dem sperrigen Wort Gewerbestruktur?

Martus: Wir waren bisher von zwei Großen abhängig, das war die EnBW und die Firma Goodyear, die hier am Standort produziert, und wir werden zukünftig versuchen, mehr bunt gemischtere Branchen im Gewerbebereich zu bekommen, waren da jetzt auch schon erfolgreich mit einer Ansiedlung von einem Holzgroßhandel und mit einer Ansiedlung von einem Textilrecycler, der jetzt noch kommen will. Im mittelständischen Bereich, handwerklichen Bereich haben wir einige sehr interessante Ansiedlungen geschafft, im Maschinenbaubereich, im Stahlgroßhandelsbereich.

Wuttke: Wie ist denn eigentlich die Stimmung jetzt in Philippsburg, auch natürlich vor dem Hintergrund, dass die schwarz-gelbe Bundesregierung erst hü machte und dann hott, und sie mussten das als Christdemokrat erklären und eben auch als Bürgermeister – wie waren die letzten drei Monate für Sie?

Martus: Die letzten drei Monate waren eigentlich relativ entspannt ...

Wuttke: Ach was!

Martus: Ja! Man geht hier bei der Stadt Philippsburg relativ entspannt mit dem Thema Kernenergie um, a) weil unheimlich viele Familien drin arbeiten, b) weil die EnBW hier vor Ort auch richtig gute Arbeit im Bereich Öffentlichkeitsarbeit macht und auch sehr gut vernetzt ist.

Wuttke: Wie – das heißt, die konnten logischerweise was erklären, was der Bundesregierung schwergefallen ist, logisch zu erklären, nämlich warum erst so und dann so?

Martus: Ja, man musste klar nach Fukushima erkennen, dass unsere Restrisikoannahme im Bereich Kernenergie zu niedrig angesetzt ist. Und wenn sich jetzt dann eben das Restrisiko, was undenkbar war, mal einstellt in einem industrietechnisierten Land wie Japan und man mit diesem Restrisiko dann gesellschaftlich nicht mehr leben kann und will, dann muss man natürlich auch reagieren. Was ungut ist, ist rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln.

Energieversorgung braucht, um stabil zu vernünftigen Preisen verlässlich eben auch entsprechend Investitionen tätigen zu können, mindestens 30 Jahre Planungssicherheit, und insofern sehe ich in dieser Krise für die Stadt Philippsburg auch durchaus eine Chance. Wenn wir jetzt 30 Jahre Planungssicherheit kriegen und wenn es wirklich ernst ist, dass man die Energiewende auch schaffen will, was Neues aufzustellen, auch mit der EnBW vor Ort.

Wuttke: Eine Chance sagen Sie, man kann sich ja jetzt gerade mal wieder daran erinnern, dass es 20 Jahre her ist, dass in Bonn viele dachten, jetzt können wir die Bürgersteige hochklappen, jetzt sind alle weg, trotzdem, die Stadt hat sich gut behauptet, Ihre Prognose für Philippsburg ist also auch ganz positiv?

Martus: Ja, klar, weil wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen. Vielleicht bauen wir im wahrsten Sinne des Wortes jetzt Windmühlen und nutzen die Energie des Wandels.

Wuttke: Dann möchte an dieser Stelle natürlich nicht an Don Quichotte erinnern. Herr Martus, ich danke Ihnen sehr! Der Bürgermeister von Philippsburg am Tag des Bundestagsentscheids zur Energiewende im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur. Schönen Tag!

Martus: Danke schön!