Optimiert und ökonomisiert

Halten wir unser digitales Leben noch aus?

Melt-Festival
Jedes Erlebnis muss dokumentiert werden. © picture alliance/dpa/Foto: Sophia Kembowski
Iris Hauth im Gespräch mit Anke Schaefer  · 24.11.2016
Über die Hälfte der Bundesbürger fühle sich gestresst, sagt die Ärztin Iris Hauth. Durch einen zu hohen Lebensanspruch und ständigem Online sein stünden die Menschen unter hohem Druck. Mit den psychischen Folgen der modernen Lebenswelt beschäftigt sich ein Medizinkongress in Berlin.
Wir leben in Zeiten von Ökonomisierung, Selbstoptimierung und Digitalisierung. Welche psychischen Folgen hat das für den Menschen? Mit diesem Thema beschäftigt sich der heute beginnende, europaweit größte Fachkongress zur psychischen Gesundheit in Berlin, veranstaltet von der medizinischen Fachgesellschaft DGPPN.
"Wir stecken in einem sehr stressintensiven Leben", kritisiert Iris Hauth, Ärztin und Präsidentin des DGPPN, im Deutschlandradio Kultur:
"Über die Hälfte der Bundesbürger fühlt sich dauernd gestresst oder häufig gestresst. Am Arbeitsplatz sind es 20 Prozent. Das sind komplexe Dinge: Nicht mehr abschalten können, Medien, die man mit nach Hause nimmt, keine Möglichkeit mehr, zwischen Alltag und Freizeit zu trennen. Und ein hoher Leistungsdruck, was viele beklagen."
Hauth warnte vor den gesundheitlichen Gefahren, die mit einem ständigen Stress-Gefühl am Arbeitsplatz verbunden seien. Das könne zum Risikofaktor und zum Auslöser für Depressionen oder Angststörungen werden.

Wie schnell muss das Leben sein?

Aber auch im Privatbereich sei es häufig so, dass viele nicht abschalten könnten und ständig Online sein müssten – das bewege sich oft auf der Grenze zur Online-Sucht, meint Hauth.
"Durch diesen sehr hohen Lebensanspruch, durch hohe Lebensideale – das Leben muss schnell sein, man muss gesund sein, man muss schön sein – setzen wir uns unter Druck."

Erkenntnisse der Resilienzforschung

Kann da zum Beispiel digitales Fasten hilfreich sein? Einzelmaßnahmen reichten meist nicht aus, meint Hauth. Es komme vielmehr auf die Gesamthaltung an. Sie verwies auf neue Erkenntnisse der Resilienzforschung, mit der man widerstandsfähiger werden und somit auch Stress vermeiden könne:
"Faktoren, die die Widerstandskraft stärken, sind: Soziale Unterstützung zu haben, nicht isoliert zu leben, in Beziehungen zu sein. Auch der Ausgleich in Gesprächen mit Partnern, Familienmitgliedern oder Freunden ist wichtig."

Training der "Achtsamkeit" ist gefragt

Auch die therapeutische Bewegung der "Achtsamkeit" könne bei Stressproblemen helfen, sagt Hauth:
"Also mehr auf sich, auf seinen Körper, auf seine Umgebung zu achten. Wesentlich ist es auch, Ruhephasen einzuplanen. Wir wissen heute auch, dass Ausdauersport präventiv gegen Angststörungen und Depressionen wirkt. Und etwas sehr Wichtiges ist natürlich die Stärkung des Selbstwertgefühls."
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