"Oper für Obdach" in Berlin

Wenn der Bahnhof zur Bühne wird

Bariton Christoph von Weitzel (M) und der Pianist Frank Wasser (l) bei der Generalprobe der "Oper für Obdach" am 09.03.2017 im Hauptbahnhof in Berlin. Mit der Oper, die am 10. März 2017 im Hauptbahnhof aufgeführt wird, soll auf das Schicksal obdachloser Menschen aufmerksam gemacht werden.
Bariton Christoph von Weitzel (M) und der Pianist Frank Wasser (l) bei der Generalprobe der "Oper für Obdach" im Hauptbahnhof in Berlin © picture alliance / dpa / Jörg Carstensen
Von Anja Nehls · 10.03.2017
Der Berliner Hauptbahnhof als Opernhaus: Vorgetragen von einem Bariton und einem Pianisten wird Franz Schuberts Liederzyklus "Winterreise" zur "Oper für Obdach". So machen die Bahn und die Stadtmission auf die dramatische Situation von Obdachlosen aufmerksam.
Tapfer kämpft Bariton Christoph von Weitzel gegen Rollkoffer, Menschengemurmel und ICEs. Die "Winterreise" von Franz Schubert, mal nicht in einem Konzert, oder Opernhaus, sondern auf einer kleinen improvisierten Bühne Mitten im Berliner Hauptbahnhof. Für den Sänger, der sonst in den großen Konzertsälen, singt eine besondere Herausforderung:
"Sehr viel Konzentration, sehr viel Ablenkung, sehr viel Lautstärke um mich herum, sehr viel Kommen und Gehen. Aber es ist für mich eine richtige schwere, ich muss sagen auch eine gewisse Übung, diese intimen Inhalte hier noch zu transportieren."
In löchrigem Hemd, mit zerknittertem Mantel, Plastiktasche in der Hand und Dreck im Gesicht steht er auf der kleinen Bühne mitten auf dem Bahnhof und singt unter dem Motto Oper für Obdach:
"Und sein kleiner Teller bleibt ihm immer leer."

Melancholischer Liederzyklus als Ein-Mann-Oper

"Der Leiermann" heißt dieses Stück aus dem Liederzyklus von Schubert, das Christoph von Weitzel extra als Ein-Mann-Oper umgearbeitet hat. Um auf die Situation von Obdachlosen aufmerksam zu machen, sei diese Musik ein Weg, der die Menschen erreicht, mein Christoph von Weitzel:
"In diesem Zyklus wird ein Mensch geschildert, der meistens in der Ich-Form sprechend über sein Herausfliegen aus der Kurve berichtet und vor allem dann darüber berichtet in welchen Zuständen er ist. Und das gibt viel Auskunft über die Befindlichkeiten eines solchen Menschen in verschiedenen Situationen."
Der Gesang wird immer wieder unterbrochen von passenden Bibelstellen, die Pfarrer Gerold Vorländer von der Berliner Stadtmission vorträgt:
"Ich bin hungrig gewesen und ihr habt mir nichts zu essen gegeben, ich bin durstig gewesen und ihr habt mir nichts zu trinken gegeben, ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich nicht aufgenommen."
Die Berliner Stadtmission hat mit Hilfe der deutschen Bahn die vier halbstündigen Aufführungen heute im Berliner Hauptbahnhof organisiert. Rund um die Bühne stellen großformatige Plakate einzelne Obdachlose mit Foto und einem kurzen Text vor: Norbert zum Beispiel, der Maurer und Einrichter war und jetzt seine Tage schnorrend am Bahnhof Zoo verbringt, oder Yankov, der als Chauffeur für eine bulgarische Firma tätig war, bis sein Chef mitsamt allem Geld verschwand und der sich jetzt als Porträtzeichner auf der Straße über Wasser hält. Für all diese Menschen ist die Winterreise, sagt Gerold Vorländer:
"Weil die Texte der Winterreise Einblicke in die Seele eines heimatlosen Menschen geben, Also zum Beispiel gibt es ein Stück 'Irrlicht'. Das scheint eine Hoffnung zu sein, da tritt er hier auf mit einer Schnüffeltüte. Ist also vollkommen high nachher, aber das ist natürlich eine Illusion. Und ein anderes Stück 'Wirtshaus', da landet er auf dem Friedhof und will eigentlich sterben und merkt, das geht eigentlich auch nicht. Und das ist gleichzeitig nicht nur ein Thema für Obdachlose, sondern so kann es auch jemandem gegen, der eine Villa hat."

Reisende und auch Wohnungslose hören zu

Viele Reisende bleiben stehen, manche verschieben die S-Bahnfahrt nach Hause, die meisten bleiben bis zum Ende. Sogar Wohnungslose aus der nahegelegenen Notunterkunft haben sich ganz hinten unter die Zuhörenden gemischt:
"Es passt in den Bahnhof, weil es die Wirklichkeit zeigt, die Wirklichkeit in der Umgebung des Bahnhofs und manchmal auch im Bahnhof."
"Ich fand das Gemurmel, die Züge nicht störend, aber die Rollkoffer, das war Wahnsinn.
"Das geht einfach auf die Leute zu hier, das ist mal was anders, das ist impulsiv."
Naja, hier sind viele Obdachlose, unter anderem ich.
"Ich hoffe, dass viele Menschen daran denken, dass sie ein Dach über dem Kopf haben und andere nicht."
Den Obdachlosen eine Stimme geben, das war die Idee des Baritons Christoph von Weitzel. Seine grandiose Stimme, heute im Berliner Hauptbahnhof
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